
Hamburg "Aus! Aus! Aus!": Dirigent Karl Böhm wütet in Hamburg - als Puppe
Jedes Frühjahr werden Stücke von den größten Bühnen im deutschsprachigen Raum zum Hamburger Theaterfestival eingeladen - dieses Mal auch ein Star des Puppentheaters: Nikolaus Habjan und sein Stück "Böhm".
Karl Böhm, dieser Jahrhundert-Dirigent aus Österreich, besteht hier aus Kopf und Brust - das Gesicht ist erschreckend blass, tief zerfurcht, die wachen Augen scheinen alles zu sehen. Er hat sich ungeniert den Nazis angedient, und er war bekannt für seine giftigen, vernichtenden Kommentare. Das spürt man hier sofort. "Aus! Aus! Aus! Ein Crescendo, was ist das? Da steht schon wieder Crescendo, und was tun Sie nicht? Sie crescendieren nicht", flucht Böhm, also die Puppe Böhm.
Und die hat etwas Monströses: Der Dirigent verwandelt das St. Pauli Theater kurzerhand in einen Orchestergraben, mit schrillem Wiener Akzent: "Meine Herren, wenn alles in ihrem Körper so steif wäre wie die Finger Ihrer linken Hand, na da wär'n sie zu beglückwünschen. Aber dann sind Sie falsch hier im Orchester!"
Nikolaus Habjan erweckt eine Welt zum Leben
Die Bühne ist ein leicht heruntergekommenes Wohnzimmer eines älteren Herrn im Rollstuhl. dieser namenlose Mann ist nicht etwa Karl Böhm, sondern sein Verehrer und auch Kritiker. Verbissen sitzt er in seinem Zuhause, hört Karl Böhms alte Schallplatten und dirigiert dazu. Immer wieder besucht ihn ein junges Mädchen und holt ihn aus seiner Lethargie. Sie ist die Schwester seines Pflegers. Der ältere Mann erinnert sich an Karl Böhm, und dadurch taucht man tief ein in die Abgründe der Nazizeit. "Der Böhm", heißt es nach der Vorstellung aus dem Publikum, "der ja wirklich bekanntermaßen ein ganz böser Giftzwerg gewesen ist, der ist so bombastisch rübergekommen, das war ein wirkliches Erlebnis."
Nikolaus Habjan ist immer zu sehen. Der studierte Puppenspieler, Regisseur und Kunstpfeifer stammt aus Graz und feierte mit seinem Stück "Böhm" am 21. Juni 2024 Premiere am Deutschen Theater Berlin. Seine Wesen scheinen zu atmen, zu flüstern, mit den Augen zu klimpern, zu denken und zu fühlen. Dafür taucht er mit der Hand tief ein in die Köpfe seiner lebensgroßen Geschöpfe, Klappmaulpuppen, bedient kleine Stabpuppen, moduliert die Stimme und erweckt eine Welt zum Leben.
Gibt es ein richtiges Leben im falschen?
"Mit der Tannhäuser-Ouvertüre packst du sie, und mit der Bruckner walzt du sie nieder", heißt es im Stück. Und: "Wenn das Politische auf Sie zukommt, dann schauen Sie in die Noten. Während Sie in die Noten schauen, überlegen Sie sich gut, was sie von den Leuten kriegen können." Dieses Puppentheater-Stück, das schon 2018 in Graz uraufgeführt wurde, mit Texten von Paulus Hochgatterer, wird zu einem poetischen Plädoyer für den Dialog, fürs genaue Hinhören. Am Ende stößt der ältere Herr den Dirigenten-Gott Karl Böhm von seinem Sockel. Nikolaus Habjan hat die Möglichkeit eines anderen Lebens gezeigt, mit 15 Puppen - und einem grandiosen Solo.
Das Hamburger Theaterfestival endet am 25. Juni mit dem Stück "Egal" vom Wiener Burgtheater, unter anderem mit Caroline Peters.
Dieses Thema im Programm:
NDR Kultur | Kulturjournal | 05.06.2025 | 19:00 Uhr