Linken-Parteitag in Augsburg "Schlagen ein neues Kapitel auf"
Nach dem langen Streit mit dem Wagenknecht-Lager hat Linken-Chefin Wissler zur Erneuerung aufgerufen. Die Partei müsse sich öffnen und Vertrauen zurückgewinnen, sagte sie auf dem Parteitag in Augsburg.
Die Linken-Bundesvorsitzende Janine Wissler sieht laut eigenen Worten nach der Spaltung der Bundestagsfraktion die Chance auf einen erfolgreichen Neustart. "Die Konflikte in den letzten Jahren haben uns zunehmend gelähmt und waren nicht mehr aufzulösen", sagte sie am zweiten Tag des Bundesparteitags in Augsburg hinsichtlich der zehn ausgetretenen Linken-Bundestagsabgeordneten um Sahra Wagenknecht.
Die Probleme seien jedoch nicht einfach gelöst, weil ein Streit nun beendet worden sei, sagte Wissler. Strukturelle und strategische Aufgaben seien liegen geblieben. Sie verwies auf "schmerzhafte Wahlniederlagen" und "schwächelnde Strukturen in der Fläche". Die Linke müsse sich selbstkritisch fragen, warum viele, die die Ziele der Partei teilten, sich dennoch abgewandt hätten.
"Die Zeichen sollen auf Aufbruch stehen", Uli Hauck, ARD Berlin, zzt. Augsburg, vom Linken-Parteitag
"Erneuern, öffnen und verändern"
Es gehe nun darum, Vertrauen zurückzugewinnen um die Partei wieder stark zu machen und denen eine Stimme zu geben, "die viel zu wenig gehört werden", sagte sie. Die Linke kämpfe dafür, Eigentumsverhältnisse grundlegend zu verändern, sagte Wissler. Die Ampelregierung dagegen plane "den größten Kürzungshaushalt seit Jahrzehnten", anstatt "den enormen Reichtum in diesem Land angemessen zu besteuern". Sie kürze bei denen, "die ohnehin wenig haben, die Hilfe brauchen, die krank sind und arm".
Um die Ziele zu erreichen müsse sich die Partei "erneuern, öffnen und verändern", sagte Wissler. Sie hob hervor, dass in den vergangenen Wochen "über 700 neue Mitglieder dazugekommen und einige ehemalige Mitglieder wieder eingetreten" seien. Drei der neu Eingetretenen stellten sich auf dem Parteitag persönlich vor.
Wissler und ihr Co-Vorsitzender Martin Schirdewan starten auf dem Parteitag eine Erneuerungskampagne. Ein entsprechender Antrag wird am Samstag diskutiert und beschlossen. "An diesem Wochenende schlagen wir ein neues Kapitel auf", sagte Wissler.
Bartsch: "Zeit der Ausreden ist vorbei"
Auch Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch rief die Partei zu einem Neuanfang auf. Die Botschaft des Augsburger Parteitags müsse "ganz klar sein, es ist endgültig Schluss mit der lähmenden Selbstbeschäftigung". Niemand könne mehr die Verantwortung auf andere abschieben: "Die Zeit der Ausreden ist vorbei." Die Linke müsse sich mit Blick auf die vergangenen Landtagswahlen eingestehen, dass sie "nicht im Aufwind ist", so Bartsch. Ein solcher werde erzeugt durch "Passgenauigkeit zwischen dem programmatischen Angebot und den Erwartungen der ganz normalen Menschen in diesem Land".
Er sehe nicht, dass die Ampelkoalition "nochmal die Kurve kriegt", sagte der langjährige Fraktionsvorsitzende und fügte hinzu: "Wir haben in Deutschland ein Armuts-, ein Lohn- und ein Rentenproblem." Gebraucht würden höhere Steuern und Abgaben für Multimillionäre und Milliardäre. Die SPD sei keine linke Partei mehr. Es würden Milliarden für Waffen ausgegeben, anstatt mehr Geld etwa in eine Kindergrundsicherung zu investieren.
Auflösung der Bundestagsfraktion "gewaltiger Einschnitt"
Die Auflösung der Bundestagsfraktion bezeichnete Bartsch als "dramatisch". Er sprach in Augsburg von einem "gewaltigen Einschnitt" und einer "gewaltigen Niederlage". Die Verantwortung trügen "die neun Abgeordneten, die in der zehnten eine politische Heilsbringerin sehen", fügte er mit Blick auf Wagenknecht und deren Gefolgsleute hinzu.
Bartsch sagte zugleich: "Es ist keine Spaltung, es ist eine marginale Abspaltung von Abgeordneten meist im Spätherbst ihrer Karriere." Er warf den Abtrünnigen vor, sie hätten nicht das "Rückgrat" gehabt, auf Parteitagen für Mehrheiten zu kämpfen. Bartsch betonte mit Blick auf den Verlust des Fraktionsstatus: "Lieber einig mit 28 Abgeordneten als zerstritten mit 38."
Zu der von den verbliebenen Linken-Abgeordneten nun angestrebten parlamentarischen Gruppe sagte er: "Eine Gruppe zu werden ist kein Selbstläufer, das entscheiden andere." Eine Gruppe muss vom Bundestag als solche anerkannt werden; die Linke ist somit auf die Zustimmung der anderen Fraktionen angewiesen.
Wagenknecht war im Oktober gemeinsam mit neun weiteren Abgeordneten aus der Linken ausgetreten. Im Januar soll eine neue Partei an den Start gehen, die aus dem bereits gegründeten Verein "Bündnis Sahra Wagenknecht" hervorgehen soll. Kurz vor dem Parteitag hatte die Linken-Bundestagsfraktion als Konsequenz daraus ihre Selbstauflösung zum 6. Dezember beschlossen. Im Bundestag wird sie künftig voraussichtlich nur noch als Gruppe vertreten sein.
Schirdewan und Rackete als Kandidaten für Europawahl
Hauptthema des dreitägigen Treffens der Partei in Bayern ist die Europawahl im Juni 2024. Als Teil ihres Europawahlprogramms beschloss die Versammlung bereits, der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland müsse "auf mindestens 15 Euro steigen und jährlich automatisch in Höhe der Inflationsrate erhöht werden".
Spitzenkandidat soll Schirdewan werden, der bereits seit 2017 im EU-Parlament sitzt. Auf Platz zwei soll nach dem Willen der Parteispitze die parteilose Klima- und Menschenrechtsaktivistin Carola Rackete kandidieren, gefolgt von der Europapolitikerin und Gewerkschafterin Özlem Demirel und dem parteilosen Sozialmediziner Gerhard Trabert. Im Mittelpunkt des Programms für die Europawahl sollen die Themen soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz, Frieden und Mitbestimmung stehen.