Linkspartei zu Wagenknecht "Unverantwortlich und inakzeptabel"
In der Linkspartei ist der Ärger über die Wagenknecht-Gefolgsleute groß - vor allem, weil der Fraktion im Bundestag nun das Aus droht. Die Parteispitze dringt auf die Rückgabe der Mandate und erwägt auch juristische Schritte.
Nach den Parteiaustritten der Gruppe um Sahra Wagenknecht versucht die Linkspartei, ihre Bundestagsfraktion zumindest übergangsweise zu erhalten. Parteichef Martin Schirdewan rief die zehn ausgetretenen Bundestagsabgeordneten erneut dazu auf, "ihre durch die Linke errungenen Mandate" zurückzugeben. Andernfalls wäre dies ein "höchst unmoralischer Diebstahl" der Sitze, zitierte Schirdewan eine Erklärung der drei direkt gewählten Linken-Abgeordneten Gesine Lötzsch, Sören Pellmann und Gregor Gysi.
Wenn andere Linken-Politiker in den Bundestag nachrücken könnten, ließe sich die Existenz der Fraktion sichern, sagte Schirdewan. Allerdings hatte Wagenknecht einen Verzicht zuvor abgelehnt.
Für den Fall, dass Wagenknecht und ihre neun Unterstützer seiner Aufforderung nicht nachkommen, schloss Schirdewan auch nicht aus, dass die Ausgetretenen noch bis Jahresende in der Fraktion bleiben. Dabei geht es um die Weiterbeschäftigung der mehr als 100 Fraktionsbeschäftigten. "Das Interesse der Beschäftigten dieser Fraktion ist uns eine Herzensangelegenheit", so der Parteichef.
Abgaben "notfalls einklagen"
Wagenknecht und ihre Unterstützer hatten am Vormittag die Gründung einer eigenen Partei für Anfang 2024 und den Austritt aus der Linken bestätigt. Verlassen sie mit ihren Mandaten die Bundestagsfraktion, wäre diese zu klein und könnte nur noch als Gruppe weitermachen. Ohne Fraktionsstatus hätte die Linke im Parlament weniger Rechte und bekäme weniger Geld, so dass Mitarbeiter entlassen werden müssten. "Ich halte das für eine echte Sauerei, auf dem Rücken der Beschäftigten der Bundestagsfraktion solche egoistischen Spiele zu betreiben", sagte Schirdewan dazu.
Er drohte auch mit juristischen Schritten. Die Partei werde es "notfalls einklagen", dass die ausgetretenen Abgeordneten weiter ihre Mandatsträgerabgabe an die Partei entrichteten. Die Linke verpflichtet ihre Mandatsträger etwa im Bundestag, einen Teil der Diäten an die Partei abzugeben. Die Wagenknecht-Gruppe hatte zuvor angekündigt, diese Abgabe nach den erfolgten Parteiaustritten nicht mehr zahlen zu wollen.
"Persönlich von einigen sehr enttäuscht"
Zur Abspaltung der Wagenknecht-Gruppe sagte Schirdewan: "Das ist eine Zäsur, das ist ein Einschnitt für die gesellschaftliche Linke." Er fügte hinzu: "Persönlich bin ich von einigen, die diesen Schritt gegangen sind, sehr enttäuscht." Für die derzeitige Schwäche der Linken machte Schirdewan auch das "diffuse Erscheinungsbild in der Partei" verantwortlich. Nach der Abspaltung des Wagenknecht-Flügels habe die Linke nun aber die Chance, sich als "moderne Gerechtigkeitspartei" zu profilieren.
Die Regierungsbeteiligungen der Linken blieben erhalten, die Partei habe zudem Tausende Kommunalpolitikerinnen und -politiker. Zur Konkurrenz oder einer künftigen Zusammenarbeit mit der neuen Wagenknecht-Partei sagte er: "Jetzt gucken wir erstmal, ob die überhaupt etwas auf die Reihe kriegen oder nicht."
"Unverantwortlich und inakzeptabel"
Fraktionschef Dietmar Bartsch hat den Parteiaustritt der Abgeordneten zuvor als "unverantwortlich und inakzeptabel" kritisiert. Er bestätigte, dass die zehn betroffenen Abgeordneten trotz ihres Parteiaustritts einen Antrag auf Verbleib in der Linksfraktion gestellt hätten. "Unsere Fraktion wird souverän und in großer Ruhe darüber entscheiden", kündigte er an.
Der frühere Linken-Parteichef Bernd Riexinger hält einen Verbleib von Wagenknecht und ihren Unterstützern in der Bundestagsfraktion für ausgeschlossen. "Nach diesem Auftritt ist das nicht vorstellbar", sagte er der "Rheinischen Post". "Das Tischtuch ist zerschnitten."
Kühnert: "Ein-Frau-Opposition"
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sah die Parteipläne Wagenknechts gelassen. "Sahra Wagenknecht ist seit 30 Jahren eine sehr etablierte Ein-Frau-Opposition", sagte er in der Sendung "Frühstart" von RTL/ntv. "Aber es gibt nicht eine einzige politische Maßnahme, die mit ihrer politischen Tätigkeit verbunden wäre, wo etwas besser geworden ist für Menschen." Zudem sei Wagenknecht selten im Bundestag anwesend. Sollte sie ihr Parteiprojekt mit genauso wenig Engagement verfolgen, müsse er sich wenig Sorgen machen.
"Es ist wenig überraschend, dass eine noch nicht gegründete Partei immer ein wenig die eierlegende Wollmilchsau ist - da kann jeder seine Hoffnungen drauf projizieren", so Kühnert weiter. Bislang sei aber vor allem klar, wogegen sich die Partei richte. "Eine neue Partei wird aber irgendwann auch sagen müssen, wofür sie eigentlich steht, und dann differenzieren sich die Dinge meistens doch sehr aus."
Im Krieg gegen die Ukraine könne Wagenknecht beispielsweise seit eineinhalb Jahren nicht beantworten, wie man den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu Verhandlungen bringen könne, obwohl der gar nicht verhandeln wolle. "Da lässt sich schnell Applaus einheimsen, aber ein politisches Programm, das kann man nicht ernsthaft darauf aufbauen."
Die Grünen reagierten zurückhaltend auf Wagenknechts Politik-Pläne. "Zur Partei- und Vereinsgründung gibt es noch sehr viele offene Fragen", sagte Parteichef Omid Nouripour. "Ich weiß nicht, wo die Reise hingeht, wie die Verfasstheit sein wird und welche Kraft diese Partei entwickeln kann. Das entscheidet sich nicht in Talkshows, sondern bei Kärrnerarbeit vor Ort. Und die würde ich gerne noch sehen. Die steht noch aus."
Pläne für Parteigründung vorgestellt
Am Vormittag hatte Wagenknecht bei einer Pressekonferenz bestätigt, dass sie die Linke verlässt und eine neue Partei gründen will. Zugleich stellte sie ihr Projekt "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) vor, dessen Ziel es sei, bis Anfang nächsten Jahres eine neue Partei auf den Weg zu bringen. Diese solle dann bei der Europawahl 2024 erstmals antreten.
Neben Wagenknecht erklärten neun weitere Bundestagsabgeordnete ihren Austritt aus der Partei, unter anderem die bisherige Co-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali. Durch die Austritte dürfte die Linke ihren Fraktionsstatus verlieren. Derzeit hat die Bundestagsfraktion 38 Mitglieder. Schon ab zwei Abgeordneten weniger ist die derzeitige Mindestzahl für eine Fraktion im Bundestag nicht mehr erfüllt.
Wagenknecht kündigte an, dass sie und ihre Mitstreiter mit Bundestagsmandat bis zur Gründung in der Fraktion bleiben wollen. Sie begründete das auch mit Rücksicht auf Beschäftigte in der Fraktion und einen "geordneten Übergang". Spätestens ab Januar werde die Linken-Bundestagsfraktion aber nicht mehr bestehen können.