Vorstellung eines neuen Vereins Was bedeuten Wagenknechts Pläne für die Politik?
Sahra Wagenknecht hat den Verein "Bündnis Sahra Wagenknecht" präsentiert. Er ist die Vorstufe zu ihrer neuen Partei. Welche Positionen vertritt sie? Und was heißt das für die anderen Parteien? Der Überblick.
Wer 2024 zur Europawahl geht, soll eine neue Partei auf dem Abstimmungszettel finden. Sahra Wagenknecht hat am Vormittag in Berlin ihren Verein "Bündnis Sahra Wagenknecht" präsentiert. Dessen Zweck ist die Gründung einer eigenen Partei. Wagenknecht besiegelt so den Bruch mit ihren Genossen. Was ist da los? Die wichtigsten Antworten.
Was will Sahra Wagenknecht?
Wagenknecht war bis zu ihrem nun verkündeten Austritt eines der bekanntesten Gesichter der Partei Die Linke, doch dort eckte sie immer wieder an. Die 1969 in Jena geborene Tochter eines iranischen Vaters und einer deutschen Mutter trat 1989 in die SED ein. Als Mitglied der "Kommunistischen Plattform" in der PDS lobte sie rückblickend die DDR. Von 2015 bis 2019 war Wagenknecht Co-Chefin der Linken-Bundestagsfraktion. In der Funktion war sie aber oft uneins mit der Parteispitze.
Parteiintern sorgte sie 2018 für Aufruhr, als sie mit ihrem Ehemann Oskar Lafontaine das "Aufstehen"-Bündnis auf die Beine stellte - um Menschen des gesamten Linken-Spektrums zu vereinen. Der Erfolg der Protestbewegung blieb aber aus.
Den Co-Fraktionsvorsitz der Linken gab Wagenknecht aus gesundheitlichen Gründen 2019 ab und übernahm wieder die Rolle der Kommentatorin von der Seitenlinie. 2021 schoss sie mit dem Buch "Die Selbstgerechten" gegen die von ihr sogenannten Lifestyle-Linken. Das Buch ist ein Bestseller, bei öffentlichen Auftritten findet sie sehr viel Anklang. "Sie war von Beginn an auch eine Marke", schrieb der Politikwissenschaftler Oliver Nachtwey in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Jetzt macht sie sich mit ihrem politischen Markenkern selbstständig.
Wann könnte es soweit sein?
In Berlin stellte Wagenknecht am Vormittag den neuen Verein vor, er soll die Parteigründung vorantreiben. Die Partei soll Anfang 2024 gegründet werden und zur Europawahl im Juni 2024 antreten.
Vorher soll das "Bündnis Sahra Wagenknecht" Vorarbeit leisten und Spenden sammeln. Der Verein "BSW - Für Vernunft und Gerechtigkeit" wurde bereits von Vertrauten Wagenknechts registriert. Die Satzung stellt klar, der Verein strebe "nicht an, an staatlichen Wahlen mit eigenen Bewerbern teilzunehmen". Er könne aber "die Tätigkeit bestehender politischer Parteien oder die Gründung politischer Parteien unterstützen".
Wie könnte das Programm einer Wagenknecht-Partei aussehen?
Die Webseite des Vereins listet vier große Themen auf: Wirtschaftliche Vernunft, soziale Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit. In einer schriftlichen Erklärung des Vereins heißt es, in Deutschland werde seit Jahren "an den Wünschen der Mehrheit vorbei regiert". Statt Leistung zu belohnen, werde von den Fleißigen zu den oberen Zehntausend umverteilt. Lobbywünsche würden bedient und öffentliche Kassen geleert. Beklagt wird ein "autoritärer Politikstil". Industrie und Mittelstand stünden auf dem Spiel. "Viele Menschen haben das Vertrauen in den Staat verloren und fühlen sich durch keine der vorhandenen Parteien mehr vertreten", heißt es in der Erklärung weiter.
Anders als die Linke fordert Wagenknecht eine Begrenzung der Zahl von Geflüchteten und den Import billiger fossiler Energie wie Erdgas aus Russland. Die Russland-Sanktionen wegen des Kriegs gegen die Ukraine lehnt sie ab ebenso wie Waffenlieferungen an die Ukraine. Während die Linke den Kampf gegen den Klimawandel beschleunigen will, kritisiert Wagenknecht, Wärmepumpe und E-Auto seien nur etwas für Besserverdienende. Der Linken-Politiker Gregor Gysi beschreibt ihre Positionen so: "Sie will mischen: Sozialpolitik wie die Linke, Wirtschaftspolitik wie Ludwig Erhard und Flüchtlingspolitik wie die AfD." Sie selbst sagt: "Viele fühlen sich von keiner Partei mehr vertreten und wählen aus Verzweiflung AfD. Ich fände es gut, wenn diese Menschen wieder eine seriöse Adresse hätten." Ein konkretes Programm hat sie noch nicht vorgelegt.
Wer von den Linken unterstützt Wagenknecht?
Zur Präsentation in Berlin waren neben Wagenknecht einige Mitstreiterinnen und Mitstreiter gekommen: Auf dem Podium nahmen die bisherige Co-Vorsitzende der Linksfraktion Amira Mohamed Ali, Wagenknechts Vertrauter und Fraktionskollege Christian Leye, der ehemalige Geschäftsführer der Linken in Nordrhein-Westfalen, Lukas Schön, und der Unternehmer Ralph Suikat Platz. Aus der Bundestagsfraktion der Linken zählen zudem die Abgeordneten Klaus Ernst, Alexander Ulrich, Sevim Dagdelen, Ali Al-Dailami, Zaklin Nastic, Andrej Hunko und Jessica Tatti zu den insgesamt 16 Unterzeichnern einer am Montag veröffentlichten Austrittserklärung.
Fraktionschefin Amira Mohamed Ali sagte bei der Pressekonferenz, sie und Wagenknecht sowie weitere Linken-Abgeordnete hätten am Morgen ihren Austritt aus der Partei erklärt. Zugleich kündigte sie an, Wagenknecht und ihre Unterstützer seien "bereit, in der Linksfraktion zu verbleiben". Damit solle für einen geregelten Übergang gesorgt werden. Wie viele Mitglieder der Linken sich Wagenknecht noch anschließen, ist unklar. Eine Mehrheit in der Partei trägt ihre Positionen nicht mit.
Amira Mohamed Ali unterstützt Sahra Wagenknecht.
Wie reagiert Die Linke?
Die Präsentation des "Bündnis Sahra Wagenknecht" ist eine Provokation für die Parteivorsitzenden der Linken. Mit Janine Wissler und Martin Schirdewan hat sich Wagenknecht längst überworfen. Wissler und Schirdewan versuchten, das Heft des Handelns wieder in die Hand zu nehmen. In einer Beschlussvorlage, die heute im geschäftsführenden Parteivorstand beschlossen werden sollte und dem ARD-Hauptstadtstudio exklusiv vorliegt, wird unter anderem angekündigt, gegen die Beteiligten des Vereins "Bündnis Sahra Wagenknecht" ein Parteiausschlussverfahren einzuleiten und gemeinsam mit den zuständigen Gliederungen zu prüfen, wie die Mitgliedsrechte entzogen werden könnten. Die Beteiligten haben nach eigener Aussage aber bereits ihren Austritt eingereicht.
Die Co-Vorsitzende Wissler sagte im rbb, mit dem heutigen Tag sei klar, dass sie getrennte Leute sind. "Es ist eine Selbstverständlichkeit. Wer eine neue Partei aufbaut, einer zur Linken konkurrierenden Partei, kann ja nicht gleichzeitig Mitglied der Linken sein." Sie bedaure, dass es so weit gekommen sei.
"Wer sich aktiv daran beteiligt, eine konkurrierende Partei zu gründen, hat in unserer Partei nichts mehr verloren, das ist doch klar", sagte der Co-Vorsitzende Schirdewan im ARD-Morgenmagazin. Außerdem fordert der Parteivorstand nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios alle Abgeordneten, die sich an dem Wagenknecht-Verein beteiligen, dazu auf, "ihre durch die Linke errungenen Mandate niederzulegen". Das sei ein Gebot des Anstands.
Was dürfte eine neue Partei für die Linke bedeuten?
Die Linke erzielte bei der Bundestagswahl 2021 nur 4,9 Prozent der Stimmen und drei Direktmandate. Derzeit hat sie 38 Abgeordnete. Wären Wagenknecht und Co. nicht mehr Teil der Fraktion, könnte sie nicht mehr als Fraktion, sondern nur noch als Gruppe weitermachen. Auch die jüngsten Landtagswahlergebnisse fielen mit zwei bis drei Prozent sehr schwach aus. Die Vorsitzenden Martin Schirdewan und Janine Wissler hoffen auf ein "Comeback", wenn der Richtungsstreit mit Wagenknecht endlich vorbei ist. Allerdings könnte die neue Partei der Linken auch Stimmen wegnehmen.
Linken-Chef Schirdewan sagte im ARD-Morgenmagazin, es gehe nun darum, die Linke "zu stärken" und die Folgen des Wagenknecht-Projekts für die Linke "zu minimieren". Wagenknecht verhalte sich "egoistisch", sagte Schirdewan. Dass Wagenknecht und andere die Bundestagsfraktion verlassen wollen, halte er für "fatal" und "verantwortungslos".
Die Co-Vorsitzende Wissler sagte, man werde nicht die Auflösung der Partei erleben. "Es kann sein, dass wir unseren Fraktionsstatus [im Bundestag] verlieren. Das ist bedauerlich. Das habe ich nicht gewollt, aber dafür trägt allein die Verantwortung Sahra Wagenknecht und die Leute, die eine neue Partei gründen."
Und was würde es für die übrigen Parteien bedeuten?
Einer neuen Umfrage des Instituts Insa für die "Bild am Sonntag" zufolge könnten sich 27 Prozent der Menschen in Deutschland vorstellen, eine Wagenknecht-Partei zu wählen. Ob sie das Potenzial wirklich ausschöpft, hängt wohl vom tatsächlichen Programm ab und davon, ob sich die Partei wirklich bundesweit etablieren und organisieren kann. Klar ist die auch von Wagenknecht formulierte Konkurrenz zur AfD. Diese vertritt ähnliche Positionen bei Migration oder bei der Kritik an Russland-Sanktionen. In der Sozial-, Steuer- und Europapolitik unterscheiden sich die Ziele.
Die Reaktionen
Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD im Bundestag, Katja Mast, zeigte sich angesichts der Spaltung der Linken besorgt. "Unsere Gesellschaft braucht keine weitere Polarisierung und Spaltung", sagte Mast der Nachrichtenagentur dpa. "In diesen Zeiten geht es darum, unsere Gesellschaft zusammenzuführen", so Mast: "Dazu ist Sahra Wagenknecht nicht in der Lage - sie spaltet sogar ihre eigene bisherige Partei. Ohne Rücksicht auf Verluste."
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sieht die Parteigründungspläne gelassen. "Sahra Wagenknecht ist seit 30 Jahren eine sehr etablierte Ein-Frau-Opposition", sagte er in der Sendung "Frühstart" von RTL/ntv. "Aber es gibt nicht eine einzige politische Maßnahme, die mit ihrer politischen Tätigkeit verbunden wäre, wo etwas besser geworden ist für Menschen." Bislang sei vor allem klar, wogegen sich die Partei richte. "Eine neue Partei wird aber irgendwann auch sagen müssen, wofür sie eigentlich steht, und dann differenzieren sich die Dinge meistens doch sehr aus."
SPD-Chef Lars Klingbeil hatte sich bereit gezeigt, Mitglieder der Linken, die ihrer Partei den Rücken kehren wollen, unter bestimmten Bedingungen aufzunehmen.
Quelle: dpa