Konkurrenz im Parteienspektrum Wem wird Wagenknecht gefährlich?
Bei öffentlichen Auftritten greift die Bundestagsabgeordnete Wagenknecht vor allem die Grünen an. Doch vor ihrer zukünftigen Partei müssen sich wahrscheinlich eher andere fürchten.
Sahra Wagenknechts Partei hat Schlagzeilen gemacht, obwohl es sie noch gar nicht gibt. Das "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW), mit dem sie vergangene Woche an die Öffentlichkeit ging, ist lediglich ein Verein, der die Parteigründung vorantreiben soll. Trotzdem rechnen Meinungsforscher für Wagenknecht Zustimmungswerte von 15 und mehr Prozent aus. Damit könnte sie den anderen Parteien gefährlich werden.
Noch rätselt man in den Parteizentralen, was genau Wagenknecht in ihr Parteiprogramm schreiben wird. Das fünfseitige Papier des BSW ist insgesamt noch ziemlich vage, die Stichworte bei der Auftakt-Pressekonferenz sind "blumig" geblieben, urteilt SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert in demonstrativer Gelassenheit. Konkurrenz belebe das Geschäft, so sieht er das. Er will abwarten, wie die neue Partei sich konkret politisch aufstellt. Dann sehe man weiter.
Umverteilung und Skepsis gegen Minderheiten
Tatsächlich kennt man Sahra Wagenknechts Meinungen und Argumente aber längst - aus Talkshows, Büchern und von all den Auftritten in Medien und vor gut gefüllten Sälen. Der Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier bringt, was Wagenknecht vertritt, auf diese Formel: für Umverteilung - aber skeptisch in Sachen Migration, beim Klimaschutz und gegenüber kulturellen Minderheiten.
Mit dieser Mischung macht Wagenknecht ein inhaltliches Angebot, das es so noch nicht gibt. Die Parteien sind Jun zufolge ganz unterschiedlich davon betroffen. Die Grünen sind zwar Wagenknechts Lieblingsgegner und angeblich "die gefährlichste Partei Deutschlands", müssen sie aber als Konkurrenz kaum fürchten. Wagenknechts Polemiken gegen Öko-Aktivismus und Genderfragen sind meilenweit von dem entfernt, was Grünen-Anhänger denken.
CDU/CSU und FDP müssen Wagenknecht auch kaum als Konkurrenz fürchten. Zwar redet Wagenknecht viel vom Mittelstand und davon, den Industriestandort zu erhalten, aber ihre Vorstellungen von Umverteilung und Enteignung von Großkonzernen dürften im bürgerlichen Spektrum kaum verfangen. Dagegen wendet Wagenknecht sich ganz gezielt an Anhänger der SPD, der AfD und an Nichtwähler.
Wagenknecht und das Prinzip Apokalypse
SPD-Generalsekretär Kühnert sieht einen Grundunterschied zwischen dem Politik-Ansatz seiner Partei und dem neuen Konkurrenzprojekt: "Frau Wagenknecht ist vom 'Prinzip dagegen' angetrieben. In all ihren politischen Entwicklungen, die sie in den letzten drei Jahren gemacht hat, ist das die Konstante: Sie ist immer gegen Dinge gewesen. Die Sozialdemokratie ist eine Dafür-Partei, wir wollen politische Verantwortung übernehmen, wir sind bereit, uns auch in Widersprüche zu begeben und sie auszuhalten." Auch in der aktuellen Regierungskoalition, sagt Kühnert.
Bei den Sozialdemokraten an der Basis komme Wagenknechts neues Projekt mit ihrem "Prinzip Apokalypse", wie Kühnert es nennt, bisher nicht besonders an: Er habe ganz gezielt ein Auge darauf, ob jetzt mehr Leute gehen oder es entsprechende Zuschriften gibt, aber: nichts dergleichen.
Ende der lähmenden Selbstbeschäftigung
Tobias Bank, der Bundesgeschäftsführer der Linken, berichtet, dass es aktuell keinen Aderlass der Linken zu beklagen gibt. Im Gegenteil: deutlich mehr Eintritte als Austritte, seit Wagenknecht auch ganz offiziell eigene Wege geht. Vielleicht sind die meisten Wagenknecht-Anhänger schon gegangen, nachdem es der Prominenten länger nicht mehr gelungen war, innerparteiliche Mehrheiten zu erzielen.
In den Ortsvereinen, die Bank regelmäßig aufsucht, erlebt er vor allem eines: "Die Erleichterung vieler Mitglieder darüber, dass die lähmende Selbstbeschäftigung, verantwortet von Sahra Wagenknecht, jetzt endlich ein Ende findet." Bank argumentiert, dass man bei der Vorstellung des Projektes gesehen habe, dass Wagenknecht mehr bei anderen Wählergruppen fische. "Wenn sie sich mit einem Millionär und einem Wirtschaftswissenschaftler auf ein Podium setzt und um Unternehmensspenden wirbt, dann hat das seiner Meinung nach nichts mit einer linken Partei zu tun."
Zwar hat Wagenknecht selbst gesagt, dass sie ihrer ehemaligen politischen Heimat keine Konkurrenz machen will, aber das kann auch ein Versuch zur Besänftigung gewesen sein. Schließlich haben sie und ihre Anhänger beantragt, vorerst in der Bundestagsfraktion der Linken zu bleiben.
Spaltung des regierungskritischen Lagers
Stattdessen hat Wagenknecht es auf Nichtwähler abgesehen. Immer wieder spricht sie von einer Repräsentationslücke, weil so viele Menschen nicht mehr wählen gehen. Und sie will an das Protestpotential bei der AfD: "Damit all die Menschen, die auch aus Wut, aus Verzweiflung, aber eben nicht, weil sie rechts sind, jetzt darüber nachdenken AfD zu wählen oder das auch schon gemacht haben - damit diese Menschen eine seriöse Adresse haben."
Vielleicht auch wegen dieser Kampfansage gibt die AfD sich eher zugeknöpft. Ein Versuch, den politischen Gegner klein zu schweigen. Auf Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios sieht die Pressestelle der Partei sich außerstande, einen Interviewtermin mit der Parteispitze anzubieten. Bisher zeigte Parteichefin Alice Weidel zwar immer mal wieder Sympathien für Wagenknecht. Sie sagte im Sommer aber auch: "Dass jede Spaltung des regierungskritischen Lagers die AfD von der Regierungsbeteiligung abhalten soll."
Nur in einem Punkt sind sich alle Parteien einig: erstmal abwarten, was Wagenknecht und ihre Anhänger politisch genau wollen. Erst dann weiß man, wie gefährlich sie wirklich werden kann.