Regierungsbildung im Osten Koalitionen? Noch nicht in Sicht
In Thüringen, Sachsen und Brandenburg loten CDU, SPD und BSW die Chancen für neue Bündnisse aus. Vor allem in einem Land läuft es zäh. Sahra Wagenknecht mischt kräftig mit.
In Dresden hat sich am Dienstag der neue sächsische Landtag konstituiert. Es war eine Bewährungsprobe für eine mögliche Koalition von CDU, SPD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) - und sie ist missglückt. Während zwei Kandidaten der CDU und ein Kandidat der AfD problemlos in das Landtagspräsidium gewählt wurden, fiel der Kandidat des BSW einmal durch, der Kandidat der SPD sogar zweimal. Offensichtlich ließ die CDU beide zappeln.
BSW-Landes- und Fraktionschefin Sabine Zimmermann sagte anschließend der Freien Presse: "Was bei der Landtagssitzung passiert ist, finde ich sinnlos, das war eine Machtdemonstration der CDU." Die Szene unterstreicht, was viele Beobachter bereits geahnt hatten: In Sachsen verläuft die Annäherung von CDU, SPD und BSW noch schwieriger als in Thüringen und Brandenburg.
Sachsen: Parteien gehen es langsam an
Schon am Montag und Freitag vergangener Wochen hatten die drei Parteien in Dresden zusammengesessen. Die Ergebnisse dieser "Kennlerntreffen" schienen dürftig: Von einer "konstruktiven" Atmosphäre war die Rede. Für richtige Sondierungen sei es aber noch zu früh.
Zweifel machen sich breit. Es geht nicht mehr darum, ob und wie sich die bundespolitischen Maximalforderungen des BSW gegen Waffenlieferungen und Raktenstationierungen in einen Koalitionsvertrag auf Landesebene einbinden lassen. Sondern darum, ob das BSW überhaupt regieren will. In der Partei selbst gibt es dazu kein einheitliches Bild.
Zwei Entscheidungen wirken zudem wenig vertrauensfördernd auf mögliche Koalitionspartner. So lieferten sich Sabine Zimmermann und ihr BSW-Co-Landeschef Jörg Scheibe eine Kampfabstimmung um den Vorsitz der Landtagsfraktion. Zudem hat ihre Fraktion im Alleingang einen Antrag für einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss gestellt, der eine "Aufarbeitung der politischen Verantwortlichkeiten" in der Corona-Pandemie bringen soll. CDU und SPD hätten das gern verhindert.
Aus Verhandlerkreisen heißt es am Tag nach der Konstituierung: "Der gestrige Tag macht es nicht einfacher und nicht schwerer." Die Beteiligten gehen es betont ruhig an. Ein nächstes Gespräch ist erst für Montag in zwei Wochen angesetzt.
Eine Minderheitsregierung lehnt CDU-Chef Michael Kretschmer bislang kategorisch ab, obwohl die Idee in seinem Landesverband viele Anhänger hat. Kretschmer würde notfalls lieber Neuwahlen stattfinden lassen.
Thüringen: Erster Test geschafft
In anderen Ländern laufen die Verhandlungen derweil weiter. Am weitesten scheinen CDU, SPD und BSW sich in Thüringen einander angenähert zu haben. Bei der Konstituierung des Erfurter Landtags vergangenen Donnerstag steckten die beiden BSW- und CDU-Chefs, Katja Wolf und Mario Voigt, immer wieder die Köpfe zusammen, während sich ihre Fraktionen gegen das verfassungswidrige Agieren des AfD-Alterspräsidenten stemmten.
Wolf und Voigt haben auch ähnliche Ausdrücke gefunden, was eine neue Koalition leisten sollte: "eine andere politische Kultur" beziehungsweise "ein größeres Miteinander". Für Voigt heißt das offenbar auch, dass er persönlich mit drei weiteren CDU-Abgeordneten einen BSW-Antrag für einen Corona-Untersuchungsausschuss in Thüringen unterstützt. Ein entsprechender Antrag wurde am Mittwoch beim Landtag eingereicht. Der Text gleicht dem aus Sachsen.
Zudem sondieren CDU, SPD und BSW seit dieser Woche nun auch inhaltlich. Bei einem zweiten Treffen am Mittwoch standen unter anderem die Themen "Heimat und gesellschaftlichen Zusammenhalt" auf der Tagesordnung. Anschließend traten Vertreter jeder Partei vor die Journalisten und bemühten sich vor allem einen Eindruck zu vermitteln: dass dieses Bündnis in Thüringen eine Chance hat. Kommende Woche Dienstag soll weiter verhandelt werden.
Zweifel an einem Bündnis
Allerdings werden auch diese Gespräche von Störgeräuschen begleitet. So fordern innerhalb der Thüringer SPD sowohl die Jusos als auch die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen den Gang in die Opposition. Von einem "unkalkulierbaren Risiko" ist bei einer Zusammenarbeit mit dem BSW die Rede.
Eine weitere Überlegung: Ein Bündnis aus CDU, SPD und BSW käme nur auf die Hälfte aller Stimmen im Landtag. Für Mehrheiten wäre es damit auf Enthaltungen oder Stimmen der Linkspartei angewiesen. Die einzige wirkliche Oppositionsrolle würde damit der AfD zufallen, glauben einige Sozialdemokraten.
Die Linke erwartet jedenfalls Zugeständnisse und feste Vereinbarungen von einer Koalition. Ein Vorstoß von Noch-Ministerpräsident Bodo Ramelow, sich einfach in wichtigen Entscheidungen zu enthalten, war nicht mit der Landesspitze seiner Partei abgesprochen.
Mario Voigt wiederum hält die Hälfte aller Stimmen für ausreichend, um eine Koalition zu bilden. Er brauche "zunächst mal die innere Gewissheit, dass keiner gegen mich eine Mehrheit bilden kann", so Voigt in der ZDF-Talkshow "Markus Lanz". Dabei hatte Voigt noch im Landtagswahlkampf gesagt, er wolle keine weitere Minderheitsregierung.
Brandenburg: Schnell umgeschaltet
In Brandenburg hat die CDU der SPD und dem BSW komplett das Feld überlassen. Nach dem historisch schlechtesten Landtagswahlergebnis der Partei in Ostdeutschland hätte es für eine Koalition mit der SPD nur noch für die Hälfte aller Sitze gereicht. Die CDU sieht sich nun in der Oppositionsrolle.
SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke muss sich deshalb auf das BSW ausrichten. Eine Situation, die Woidke gerne vermieden hätte, vor allem, weil er lange gerade Sahra Wagenknecht als Risikofaktor einer möglichen Zusammenarbeit sah.
Doch der mitunter kantige Brandenburger zeigte sich handlungsschnell und traf sich bereits am Donnerstag nach der Landtagswahl mit Wagenknecht. Die sprach anschließend von einem "konstruktiven" Gespräch. Ähnlich hatte sie sich auch nach solchen Gesprächen mit Mario Voigt und Michael Kretschmer geäußert.
Doch von einer Charme-Offensive kann keine Rede sein. Das Auftreten der SPD in Thüringen und Sachsen hatte Wagenknecht kurz zuvor im Redaktionsnetzwerk-Deutschland noch "nervig" genannt. Zudem warnte sie vor einem "politischen Selbstmord", sollte sich ihre noch junge Partei zu schnell für Koalitionen entscheiden. Die BSW-Landesverbände dürften deshalb nicht eigenständig Forderungen aufgeben und müssten sich eng mit dem Bundesvorstand abstimmen.
Der Brandenburger BSW-Landesvorsitzende Robert Crumbach pflichtete seiner Parteichefin prompt bei. Aus der Landes-SPD wiederum kam der Ruf, als Wahlgewinner nicht zu sehr vor dem BSW einzuknicken.
Mit derart vielen Vorgaben im Gepäck haben sich Verhandler beider Parteien nun am Mittwoch erstmals zu einem Gespräch getroffen. Dabei wurde Stillschweigen vereinbart, hieß es anschließend in einer kurzen gemeinsamen Mitteilung. Aber SPD und BSW wollen demnach auch in Brandenburg weiter miteinander reden.
Gemeinsamer Vorstoß von Woidke, Kretschmer und Voigt
Damit wollten allerdings nicht alle in das verlängerte Woche gehen. Am Donnerstag veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen gemeinsamen Gastbeitrag von Woidke, Kretschmer und Voigt. Darin sprechen sich die drei für schnelle Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine aus.
Eine Position, die sie schon im Wahlkampf eingenommen hatten, jetzt allerdings bekräftigen. Deutschland und die EU hätten bislang noch "zu unentschlossen" an einer starken internationalen Allianz gearbeitet, "um Russland an den Verhandlungstisch zu bringen", so Kretschmer, Voigt und Woidke. Das Ziel müssten ein Waffenstillstand und "belastbare Sicherheitsgarantien" für die Ukraine sein.
Das Trio äußert zudem Kritik an der geplanten Stationierung von US-Mittelstreckenraketen. Diese hätte "besser erklärt und breiter diskutiert" werden müssen - wenngleich Deutschland seine Verteidigungsfähigkeit benötige.
Der Text könnte als Vorwegnahme einer möglichen Koalition verstanden werden - oder aber als voreiliges Einknicken gegenüber Wagenknecht. Wohl auch deshalb heißt es darin: "Es ist unsere Aufgabe, auch als Landespolitiker, diese Freiheit und diese Ordnung zu verteidigen und für sie einzustehen. Daran wird keine landespolitische Zusammenarbeit etwas ändern."