Gesetzliche Krankenkassen Warum die Beiträge stark steigen könnten
Gesetzlich Krankenversicherte müssen nächstes Jahr mit höheren Beiträgen rechnen. Denn der GKV-Schätzerkreis hat mit seiner Prognose eine deutliche Anhebung empfohlen. Woran liegt das? Und was bedeutet das für Versicherte?
Die Beiträge von Beschäftigten und Arbeitgebern zur gesetzlichen Krankenversicherung könnten 2025 deutlich steigen. Der Schätzerkreis der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geht für 2025 von einer Finanzierungslücke in einer Größenordnung von 13,8 Milliarden Euro aus und empfiehlt daher eine Anhebung des durchschnittlichen Zusatzbeitrages um 0,8 Prozentpunkte auf dann 2,5 Prozent.
Die Prognose des Schätzerkreises ist nach GKV-Angaben eine theoretische Größe, die sich aus dem Verhältnis von laufenden Einnahmen und Ausgaben der Krankenkassen insgesamt ergibt. Die Ausgaben der Krankenkassen im Jahr 2025 werden demnach mit 341,4 Milliarden Euro veranschlagt.
Was bedeutet das für Versicherte?
Laut GKV gibt es in Deutschland 75 Millionen gesetzlich Versicherte. Genaue Angaben zur tatsächlichen Höhe der Kosten für den Einzelnen lassen sich aber noch nicht machen. Das Gesundheitsministerium gibt auf Basis der Schätzung bis zum 1. November einen durchschnittlichen Zusatzbeitrag für das kommende Jahr bekannt. Die genaue Höhe legen die Krankenkassen dann aber jeweils für sich fest.
Einer ständig aktualisierten GKV-Liste zufolge liegt der Zusatzbeitrag im Moment zwischen 0,7 und 3,28 Prozent. Darunter ist eine Kasse, die keinen Zusatzbeitrag erhebt. Der durchschnittlich von den Krankenkassen erhobene Zusatzbeitragssatz lag im August bei 1,78 Prozent, wie das Bundesgesundheitsministerium mitgeteilt hatte.
Rechnerisch würde eine Erhöhung um 0,8 Prozentpunkte bei einem Einkommen von 3.000 Euro brutto im Monat zwölf Euro weniger netto bedeuten - die anderen zwölf zahlt der Arbeitgeber. Erhöht eine Kasse den Zusatzbeitragssatz, haben die Mitglieder ein Sonderkündigungsrecht.
Warum steigen die Beiträge?
Nach Angaben des Gesundheitsministeriums lagen die Ausgaben der Kassen im ersten Halbjahr bei 161,3 Milliarden Euro - ein Plus von 7,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die Ausgaben für Krankenhausbehandlungen seien in den ersten sechs Monaten um 3,6 Milliarden Euro gestiegen und stellten damit einen maßgeblichen Treiber der hohen Ausgabendynamik dar, hieß es im September vom Ministerium.
Steigende Fallzahlen und steigende Pflegepersonalkosten werden unter anderem als Gründe genannt. Außerdem seien die Ausgaben für Arzneimittel im ersten Halbjahr um zehn Prozent (2,5 Milliarden Euro) gestiegen.
Die Kassen hatten schon Anfang September gewarnt, dass ihre Ausgaben im ersten Halbjahr noch stärker gestiegen seien als im ersten Quartal. Das Defizit sei auf mehr als zwei Milliarden Euro angewachsen und werde im Gesamtjahr bis zu 4,5 Milliarden Euro erreichen. Für eine auskömmliche Finanzierung hätte der Zusatzbeitrag für das laufende Jahr im Herbst letzten Jahres nicht bei geschätzten 1,7, sondern bei zwei Prozent liegen müssen, so der der GKV-Spitzenverband. Er hatte außerdem mitgeteilt, dass er für 2025 von einem Zusatzbeitragssatz von mindestens 2,3 Prozent ausgeht.
Wieso gibt es den Zusatzbeitrag?
Der Zusatzbeitrag wurde 2015 von der damals regierenden Großen Koalition eingeführt. Krankenkassen sollen damit finanzielle Engpässe ausgleichen können. Bis in das Jahr 2018 wurde er allein durch die Krankenkassenmitglieder getragen. Seit dem 1. Januar 2019 wird der Zusatzbeitrag zu gleichen Teilen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern geleistet.
Mit Einführung des Zusatzbeitrages wurde der allgemeine Beitragssatz auf 14,6 Prozent gesenkt. Vorher lag er bei 15,5 Prozent.
Welche Rolle spielt die Bundesregierung?
Gesundheitsminister Lauterbach hatte bereits Ende August steigende Beiträge erwartet. Ende August sagte er in einem Interview, es sei jetzt "die Phase, in der wir Geld in die Hand nehmen müssen, auch das der Beitragszahler". Er begründet das mit dem Ausbleiben von Reformen in der Vergangenheit, etwa für die Krankenhäuser. Diese soll am Donnerstag im Bundestag beschlossen werden.
Kritiker sehen aber auch die aktuelle Regierung in der Verantwortung. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, kritisierte, dass "die Gesundheitspolitik der sich immer schneller drehenden Beitragsspirale tatenlos zuschaut". Der Bund müsse "seiner Verantwortung für bislang von den Krankenkassen getragene gesamtgesellschaftliche Aufgaben" gerecht werden.
Die Ampel-Regierung hatte sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, höhere Beiträge für die Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II aus Steuermitteln zu finanzieren.
Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes sagte: "Es ist ein sozialpolitischer Skandal, dass der Lückenschluss allein den Beitragszahlenden aufgehalst wird und gleichzeitig die Finanzierungsverantwortung des Bundes bei der Refinanzierung der Gesundheitskosten von Bürgergeld-Beziehern ignoriert wird." So würden Arbeitgeber und Beitragszahlende gezwungen, die Einhaltung der Schuldenbremse zu finanzieren.
Was heißt das für die Sozialabgaben insgesamt?
Die Summe aller Beitragssätze bei den Sozialversicherungen nähert sich 2025 damit einem 20-Jahre-Hoch. Zusammen mit den Beiträgen an Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung würden die Sozialabgaben dann von derzeit 40,9 Prozent auf 41,7 Prozent steigen. Kinderlose Beitragszahler entrichten in der Pflegeversicherung zusätzlich 0,6 Prozentpunkte. Noch höher waren die Beitragssätze zuletzt 2006 mit 41,9 Prozent. Der Rekordwert wurde 2003 mit 42,0 Prozent erreicht.
Die Höhe der Sozialabgaben ist immer wieder Thema in Deutschland, weil sie als Lohnnebenkosten Arbeit verteuern und die Nettolöhne schmälern. Derzeit streitet sich die Ampelkoalition bei mehreren Vorhaben darüber. Die FDP-Fraktion im Bundestag bremst das in der Bundesregierung vereinbarte Rentenpaket, weil durch die damit verbundene Garantie für das Rentenniveau der Beitragssatz weiter steigt.
Außerdem lässt Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner im Kabinett eine Verordnung von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nicht passieren, mit der jährlich die Sozialbeiträge für Gutverdienende an die allgemeine Lohnentwicklung angepasst und damit erhöht werden.