Sozialleistungen Was steckt hinter Lindners Bürgergeldplänen?
Finanzminister Lindner will die Sozialleistungen neu ausrichten. Dabei geht es um Unterkunftskosten für Bürgergeldempfänger und um die Leistungen für ukrainische Geflüchtete. Was schlägt er vor - und wie ist die Rechtslage?
Was plant Lindner bei Wohnkosten?
Bürgergeld-Empfängerinnen und -Empfänger sollen nach dem Vorstoß von FDP-Chef Christian Lindner künftig ihre Wohnkosten pauschal und nicht nach tatsächlichen Kosten erstattet bekommen. "Dann können die Leistungsempfänger entscheiden, ob sie eine kleinere Wohnung beziehen und wie sie heizen", sagte der Bundesfinanzminister der Wirtschaftswoche. Lindner hofft, auf diese Weise Milliarden einsparen zu können.
Derzeit übernehmen die Kommunen in bestimmten Grenzen die Kosten für Kaltmiete und Heizung sowie die Betriebskosten von Bürgergeld-Beziehenden und ihren Familien "in angemessener Höhe". Der Bund unterstützt die Kommunen dabei.
Wie vielen Menschen gewährt der Staat Zuschüsse für die Unterkunft?
Von den 2,94 Millionen sogenannten Bedarfsgemeinschaften, also in der Regel zusammenwohnende Familien, werden derzeit bei 2,73 Millionen Kosten der Unterkunft anerkannt - Kostenpunkt: 1,77 Milliarden Euro im Monat. Dazu kommen einmalige Kosten in Höhe von 43 Millionen Euro. Pro Bedarfsgemeinschaft werden im Schnitt 649,96 Euro bezahlt, pro Quadratmeter im Schnitt 11,82 Euro, pro Person einer Bedarfsgemeinschaft 362,69 Euro.
Die Statistik weist auch die Betriebs- und Heizkosten extra aus. Bei 2,68 Millionen Bedarfsgemeinschaften handelt es sich um Mietkosten, bei 46.000 um Wohneigentum. Die Durchschnittswohnfläche der Familien liegt bei 62 Quadratmetern. Pro Person sind es im Schnitt 35 Quadratmeter.
Welche Kosten übernimmt der Staat?
Der Staat übernimmt bei Bürgergeld-Beziehenden die sogenannten tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, soweit sie angemessen sind. Auch Schönheitsreparaturen oder beispielsweise ein vereinbartes Nutzungsentgelt etwa für Küchenmöbel werden übernommen, soweit diese unausweichlich im Mietvertrag vereinbart sind. Weitere Nebenkosten, zum Beispiel für einen Pkw-Stellplatz, werden nicht übernommen.
Bei selbst genutztem Wohneigentum werden Aufwendungen wie Schuldzinsen oder Grundsteuern übernommen. Wie eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg erläuterte, sind die BA sowie Kreise und Städte für Bürgergeld-Leistungen verantwortlich, bei Unterkunft und Heizung die Kommunen. Sie regeln, was lokal angemessen ist. Die Jobcenter setzen das um. Die Mieten unterscheiden sich innerhalb Deutschlands erheblich.
Was plant Finanzminister Lindner bei den ukrainischen Geflüchteten?
Einsparmöglichkeiten sieht Lindner auch bei den Leistungen für Flüchtlinge aus der Ukraine. "Wir sollten für die aus der Ukraine Geflüchteten einen eigenen Rechtsstatus erwägen", schlug er vor. Dieser solle die Leistungen für Asylbewerber mit arbeitsmarktpolitischen Instrumenten kombinieren, die für Bürgergeld-Empfänger gedacht sind.
"Ukrainer müssen wegen des Krieges in ihrer Heimat nicht eigens ein Asylbewerberverfahren durchlaufen", erläuterte Lindner. "Sie sollten aber auf der anderen Seite nicht gleich ein Bürgergeld erhalten, das auf ein sozioökonomisches Existenzminimum mit gesellschaftlicher Teilhabe auch ohne Arbeit ausgerichtet ist."
Wie ist der Schutzstatus für Ukrainer?
Tatsächlich erhalten ukrainische Kriegsflüchtlinge grundsätzlich EU-weit Schutz unter der "Massenzustrom-Richtlinie". Die EU-Richtlinie wurde erstmals Anfang März 2022 aktiviert und ist bis März 2026 verlängert. Die Richtlinie bestimmt unter anderem, dass Flüchtlinge, die unter diese Regelung fallen, vorübergehenden Schutz in den Ländern der EU bekommen. Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine bekommen auf diesem Wege automatisch in Deutschland einen Aufenthaltsstatus.
Während dieser Zeit muss auch der Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Wohnraum und zu medizinischer Versorgung gewährt werden. Sofern die Flüchtlinge, die unter die Massenzustrom-Richtlinie fallen, kein eigenes Geld verdienen, müssen ihnen auch Sozialleistungen gezahlt werden. Wie genau diese Sozialleistungen ausgestaltet sein müssen und wie hoch, legt die Massenzustrom-Richtlinie nicht fest. Insoweit haben die einzelnen Mitgliedsstaaten also eigenen Spielraum.
Seit Russlands Überfall auf die Ukraine 2022 haben rund 1,2 Millionen Menschen von dort in Deutschland Schutz gefunden.
Wie genau ist das Bürgergeld für Ukrainer geregelt?
Flüchtlinge aus der Ukraine können in Deutschland seit Juni 2022 Leistungen der Grundsicherung (damals noch Hartz IV, heute Bürgergeld) erhalten - anstelle der geringeren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Darauf hatten sich damals Bund und Länder verständigt.
Begründet wurde die Änderung unter anderem damit, dass Menschen aus der Ukraine direkt Anspruch auf einen Aufenthaltstitel haben und keine Entscheidung wie bei Asylbewerbern abwarten müssten. Geflüchtete Ukrainer dürfen hierzulande auch arbeiten. Anspruch auf Bürgergeld haben sie wie üblich nur, wenn sie über kein oder nur ein geringes Einkommen verfügen.
Wie hoch ist das Bürgergeld?
Bei den Ukrainerinnen und Ukrainern liegt der Anteil der Bürgergeld-Beziehenden an der Bevölkerungsgruppe insgesamt bei derzeit knapp 65 Prozent - im Vergleich zu anderen Nationalitäten ein hoher Wert. Alleinstehende ukrainische Geflüchtete erhalten zum Beispiel 563 Euro pro Monat. Die Regelsätze sollen 2025 aufgrund einer Nullrunde unverändert bleiben. Hinzu kommen Hilfen für Miete und Heizung sowie Krankenversorgung. Das Arbeitsministerium betont, die Beträge sicherten das Existenzminimum in Deutschland.
Asylbewerberinnen und Asylbewerber, über deren Asylanträge noch nicht entschieden wurde, bekommen weniger: 460 Euro pro Monat nach Asylbewerberleistungsgesetz. Beratung durch das Jobcenter bekommen sie noch nicht.
Wie viele Ukrainerinnen und Ukrainer sind erwerbsfähig?
Im Mai 2024 waren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit rund 529.000 Ukrainerinnen und Ukrainer als "erwerbsfähig" bei den Jobcentern gemeldet - und Bürgergeld-berechtigt. Viele sind noch in Jobcenter-Maßnahmen, Integrationskursen oder in kurzfristiger Arbeitsunfähigkeit, zum Beispiel Alleinerziehende mit Kindern ohne Kitaplatz. Zwei Drittel davon sind Frauen.
Nicht jeder aus der Ukraine, der Bürgergeld bekommt, kann also einen Job annehmen. Etwas mehr als ein Drittel der erwerbsfähigen Geflüchteten habe im Mai 2024 für den Arbeitsmarkt zur Verfügung (37 Prozent) gestanden - etwa 4.000 weniger als noch im April, so der Mediendienst Integration.
Kritik an den Bürgergeld-Leistungen für Ukrainerinnen und Ukrainer gibt es immer wieder. Der Vorschlag nach einer Streichung des Bürgergelds, wie er jetzt von Lindner kommt, wurde in der FDP schon einmal präsentiert. Das Argument: ukrainische Geflüchtete hätten wegen des Bürgergelds nicht genug Anreiz, sich hier Arbeit zu suchen.
BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht sieht wegen der Zahl der ukrainischen Bürgergeldbezieherinnen und Bezieher den deutschen Sozialstaat bedroht. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatte im Juni gefordert, arbeitslose Ukrainerinnen und Ukrainer zurück in die Heimat zu schicken.
Wie sind die Reaktionen auf Lindners Vorstoß?
Beim Koalitionspartner SPD kommt Lindners Vorstoß nicht gut an. Arbeitsminister Heil (SPD) lässt über eine Sprecherin zu Lindners Wohnkostenplänen mitteilen: "Die Kosten der Unterkunft einschließlich der Nebenkosten zu pauschalieren, birgt die Gefahr einer Kostenexplosion." Denn eine angemessene Wohnung zähle zum verfassungsrechtlichen Existenzminimum. "Eine Pauschale müsste also so gestaltet sein, dass sie eine angemessene Wohnung sicherstellt."
Wenn es nur eine Pauschale geben solle, müsste die so hoch sein, "dass man sich damit eine Wohnung genauso gut in München wie in Merseburg leisten kann". Merseburg liegt in Sachsen-Anhalt. Die Mieten sind dort im Schnitt deutlich niedriger als in der bayerischen Landeshauptstadt. "Lebenspraktisch" sei eine neue Wohnung auch bei Weitem nicht immer günstiger als ein alter Mietvertrag.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lässt ausrichten, er habe "die Äußerung des Finanzministers zur Kenntnis genommen". Weiter sagt Scholz-Sprecher Steffen Hebestreit: "Aber dazu gibt es im Augenblick keine übergeordneten Planungen innerhalb der Bundesregierung."
Die Linken-Politikerin Clara Bünger sagte: "Anstatt (...) Geld bei den Reichen zu holen, greift Bundesfinanzminister Lindner jene an, die ohnehin wenig haben." Die Gründe für die Bedürftigkeit vieler Betroffener seien fehlende Kitaplätze, Hürden bei der Anerkennung von Abschlüssen oder lange Wartezeiten auf Sprachkurse.