Hilfe für Menschen ohne Versicherung Ein Lückenfüller fürs System
In Deutschland leben Schätzungen zufolge bis zu eine Million Menschen ohne Krankenversicherung. Ein Behandlungszentrum in Bremen hilft Betroffenen, die durch das System fallen.
Ein Tisch, zwei Sofas, ein paar zusammengewürfelte Stühle und ein Schaukelpferd als "Spielecke" - in diesem Wartezimmer dürfen Menschen Platz nehmen, die eigentlich in kein Wartezimmer dürfen: Denn sie haben keine Krankenversicherung. Hier - im Medizinischen Behandlungszentrum für papierlose und nichtversicherte Menschen (kurz MVP) in Bremen - aber ist Platz für diese Menschen.
"Also ehrlich gesagt habe ich zuerst so ein bisschen Angst gehabt, alles zu erzählen. Zum ersten Mal. Diese ganze Problematik, die ich habe. Aber das Gefühl war gleich da, dass man gut aufgehoben ist", erzählt eine Person in einem Evaluationsbericht.
Das Gefühl gut aufgehoben zu sein - das ist hier wohl das Wichtigste. Denn die Menschen, die hierherkommen, sind meistens überhaupt nicht gut aufgehoben, was ihre medizinische und gesundheitliche Versorgung betrifft. Die meisten haben keine Krankenversicherung. Sie können nicht zum Arzt gehen, wenn sie sich krank fühlen, sie bekommen keine Medikamente. Zumindest nicht im "normalen System".
Angebot wird gut angenommen
Hilfe finden diese Menschen in den Räumen einer alten Arztpraxis unweit des Bremer Hauptbahnhofs: ein Behandlungszimmer, ein Raum, der Büro- und Beratungszimmer in einem ist, dazu ein altes Labor und ein eher provisorisch eingerichtetes Wartezimmer. Seit 2022 gibt es das MVP.
An drei Tagen in der Woche hat das Behandlungszentrum geöffnet. Honorarärztinnen- und ärzte untersuchen die Menschen mit kleineren gesundheitlichen Problemen. Wenn es eine fachärztliche Begutachtung braucht, stellt das MVP Behandlungsscheine aus. Mit denen können die Klientinnen und Klienten dann zu niedergelassenen Praxen oder auch ins Krankenhaus gehen. Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte können den Behandlungsschein über das MVP abrechnen.
Das Angebot wird gut angenommen: Knapp 1.000 Menschen aus 76 verschiedenen Ländern haben es besucht. Sie werden dort - und das ist besonders wichtig - auch beraten, ob und wie sie vielleicht in einen Versichertenstatus kommen können. "Clearing" nennt sich das und findet in einem kleinen Büro, direkt neben dem Behandlungszimmer, statt.
Beratung will langfristig helfen
In diesem Raum beraten Holger Dieckmann und Charlotte Vöhl Personen, die sonst durchs System fallen würden. "Wir haben zum Beispiel gerade zwei Menschen in der Beratung, die sind 18 und 19 Jahre alt, leben hier bei ihren Eltern. Gelten aber nicht mehr als Familienangehörige, weil volljährig. Und haben dann keinen Zugang zum Aufenthaltsrecht. Und dann auch keinen Zugang zu gesundheitlicher Versorgung", sagt Dieckmann.
Doch es kommen nicht nur Menschen ohne Aufenthaltsrecht in die Beratung. Das Angebot ist für EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, die zwar einen Anspruch auf eine Krankenversicherung haben, aber noch nicht vom System erfasst sind, deutsche Staatsbürgerinnen und -bürger ohne Krankenversicherung und Menschen, die ohne Papiere in Deutschland leben.
"Das Ziel ist, dass die Menschen medizinisch und gesundheitlich versorgt werden. Das muss nicht hier sein. Im Idealfall sind Menschen dann irgendwann an Hausarztpraxen angebunden und die Versorgung läuft darüber", sagt Beraterin Vöhl. Und das scheint teilweise zu funktionieren: Innerhalb von gut anderthalb Jahren konnten 168 Menschen in einen Versichertenstatus vermittelt werden.
Ähnliche Modelle in anderen Städten
In vielen deutschen Städten gibt es ähnliche Angebote wie das Behandlungszentrum in Bremen. Über den anonymen Krankenschein können sich Menschen, die keine Krankenversicherung haben, medizinisch behandeln lassen. Hilfsorganisationen bieten die Versorgung und Beratung an, die Stadt oder das Land unterstützt das Projekt finanziell.
Denn es leben viele Menschen ohne Krankenversicherung in Deutschland: Experten und Expertinnen gehen von gut einer halben bis einer Million Menschen aus. Die Zahl lässt sich nur schätzen, denn viele, die keine Krankenversicherung haben, tauchen auch sonst nicht im System auf: Wohnungslose oder Obdachlose, Menschen ohne Papiere, EU-Bürgerinnen und -Bürger, die in keinem sozialversicherungspflichtigen Anstellungsverhältnis sind.
Bremer Projekt erstmal begrenzt
In Bremen ist die Finanzierung des Projekts erstmal bis Ende 2025 gesichert. Der Wunsch - auch der Behörde - ist es, das Angebot zu verstetigen. Mit rund 1,2 Millionen Euro fördert die Gesundheitsbehörde das Angebot im Jahr 2024.
"Es gibt keinen Rechtsanspruch auf diese Leistung. Es ist eine freiwillige Leistung. Deswegen ist es natürlich begrenzt. Und das ist natürlich ein Problem. Das ist klar. Wir kommen aber mit dem Bedarf, den wir jetzt bisher wahrnehmen können, klar", sagt Holger Dieckmann.
Trotzdem wäre es aus Dieckmanns Sicht sinnvoll, das Projekt auszuweiten. Ein ähnliches Angebot auch in anderen Stadtteilen machen zu können. Denn gesundheitliche und medizinische Versorgung für alle Menschen - davon sind die Mitarbeitenden überzeugt - ist ein Menschenrecht.