Erneute Probleme bei Medikamenten Apotheker und Ärzte warnen vor Lieferengpässen
Ärzte und Apotheker warnen vor Engpässen bei Medikamenten - darunter wichtige Präparate wie Antibiotika und Insuline. Gesundheitsminister Lauterbach hatte im vergangenen Jahr Verbesserungen versprochen. Wo liegt das Problem?
Apotheker und Ärzte blicken mit Sorge auf die Erkältungssaison im Herbst. Momentan sind laut Apothekerverband etwa 500 verschiedene rezeptpflichtige Medikamente von Lieferengpässen betroffen. Durch die Erkältungszeit könnte die Nachfrage so stark erhöht werden, dass Patientinnen und Patienten nicht immer voll versorgt werden könnten, so die Befürchtung.
"Die Lieferengpässe umfassen viele Wirkstoffgruppen - das reicht von Antibiotika über Diabetesmittel bis hin zu Schmerztabletten. Ein Lieferengpass kann also jemanden betreffen, der ganz akut ein Antibiotikum braucht, aber auch einen Chroniker, der schon seit Jahren dasselbe Präparat nimmt, aber es nun nicht mehr so einfach bekommt", so der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbands (DAV), Hans-Peter Hubmann.
Immer weniger Hersteller
Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft blickt ebenfalls auf dieses Problem und stellt deshalb im Vorfeld ihrer Jahrestagung eine wissenschaftliche Untersuchung von Professorin Ulrike Holzgrabe zur Diskussion. Sie forscht am Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie der Universität Würzburg unter anderem zum Thema Medikamentenmangel.
Holzgrabe sieht vor allem ein Problem darin, dass es am Markt für viele Substanzen immer weniger Hersteller gebe, manchmal sogar nur noch einen. Sollte ein Hersteller aus finanziellen Gründen den Markt verlassen, könnte das zu Problemen führen. "Hat er große Mengen hergestellt, können andere Firmen häufig die entstehende Lücke nicht mehr füllen", so die Wissenschaftlerin.
Bundesgesundheitsministerium: Keine Versorgungsknappheit
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte nach den Problemen im vergangenen Jahr Verbesserungen versprochen. Ein Teil scheint davon zu greifen. So hat es laut Apothekerverband bürokratische Erleichterungen beim Austausch von nicht lieferbaren gegen tatsächlich verfügbare Medikamente gegeben. "Doch wenn in den Apotheken bestimmte Wirkstoffgruppen gar nicht mehr aus der Industrieproduktion ankommen, dann muss man sagen, dass die versprochenen Verbesserungen kaum spürbar sind", so der DAV-Vorsitzende, Hans-Peter Hubmann.
Das Bundesgesundheitsministerium betont, dass es in Deutschland keine "Versorgungsknappheit" von Arzneimitteln gebe, sondern "punktuelle Lieferengpässe in einem sehr komplexen Markt". Man müsse zwischen Lieferengpässen und Versorgungsengpässen unterscheiden, so Sprecher Hanno Kautz.
"Trotz Lieferengpässen können die Patientinnen und Patienten in Deutschland mit therapiegerechten Arzneimitteln versorgt werden - bei Lieferengpässen bestimmter Arzneimittel stehen fast immer wirkstoffgleiche Arzneimittel oder therapeutische Alternativen zur Verfügung", so Kautz. Nur noch etwa ein Prozent der rund 50.000 verschreibungspflichtigen Arzneimittel seien von Lieferengpässen betroffen.
Expertin: Maßnahmen der Regierung funktionieren nur begrenzt
Dies zeige, dass das von Lauterbach initiierte Lieferengpassbekämpfungsgesetz wirke. "Wir haben für kritische Arzneimittel, insbesondere Kinderarzneimittel neue Rabattverträge verboten, Festbeträge ausgesetzt, das Vergütungsniveau um 50 Prozent angehoben, die Möglichkeiten des Austausches in Apotheken vereinfacht", zählt der Sprecher einen Teil der Maßnahmen auf. Zudem seien pharmazeutische Unternehmen inzwischen verpflichtet, einen Vorrat von sechs Monaten zu lagern, wenn sie sich an Rabattverträgen beteiligen möchten.
Dies alles funktioniere aber nur begrenzt, sagt Ulrike Holzgrabe, da die Margen bei den Generika, anders als bei neu entwickelten Medikamenten, so gering seien. "Ein Hersteller wird immer eine Prognose stellen und dann weniger herstellen, beziehungsweise auf Lager legen. Denn wenn er zu viel auf Lager hat und das wegen Verfall vernichten muss, dann ist es ihm kaum möglich, den Verlust mit dem Verkauf anderer Arzneimittel wegen der zu geringen Margen auszugleichen.
Auf Grund dieses Herstellerverhaltens ist eine gewisse Zahl an Lieferengpässen gar nicht zu vermeiden", so Holzgrabe. Zudem weist sie darauf hin, dass sich nicht jedes Medikament so einfach austauschen lasse. Bei Medikamenten wie Antibiotika könne das sogar gefährlich sein.
Großteil der Produktion im Ausland
Um das Problem zu lösen, müsse man es bei der Wurzel packen. "60 bis 70 Prozent der Arzneistoffproduktion finden nach wie vor in China und Indien statt. Das macht uns nicht nur politisch, hier gesundheitspolitisch, abhängig, sondern auch wirtschaftlich. Wir müssten also die Produktion von wichtigen Arzneimitteln wieder nach Europa holen, wie das Lieferengpassbekämpfungsgesetz auch fordert. Das ist aber nicht so einfach, da wir auch dann häufig Ausgangssubstanzen in China und Indien kaufen müssen", so Holzgrabe.
Viele Medikamente dürften hier aufgrund der Umweltgesetze gar nicht hergestellt werden. Ziel müsse es also sein, neue Herstellungswege zu finden, um Medikamente günstiger und umweltschonender produzieren zu können. Das sei aber schwierig und koste deshalb nicht nur viel Zeit, sondern auch Geld. So lange aber die Abhängigkeit von anderen Ländern besteht, so lange wird es hierzulande immer wieder zu Engpässen kommen.