Referendare beantragen Bürgergeld Arbeitslos über die Sommerferien
Viele Bundesländer schicken ihre Referendare und Referendarinnen im Sommer in die Arbeitslosigkeit. Gewerkschaften finden das nicht nachvollziehbar - vor allem vor dem Hintergrund des dramatischen Lehrkräftemangels.
Endlich Sommerferien. Strahlende Schülerinnen und Schüler strömen mit dem letzten Gong aus dem Paul-Klee-Gymnasium in Rottenburg. Referendar David Hanke hingegen sieht nicht besonders glücklich aus. Der Schlussgong bedeutet für ihn: Arbeitslosigkeit über die kompletten Sommerferien. Obwohl er am ersten Tag nach den Ferien wieder vor den Schülerinnen und Schülern stehen wird, um Deutsch und Geschichte zu unterrichten.
Jetzt muss er erstmal Bürgergeld beantragen. Das fühle sich gar nicht gut an, sagt er: "Man fällt quasi wieder aufs Existenzminimum zurück und muss sich im Zweifelsfall - weil es ja auch ein bisschen dauert, bis das Bürgergeld wirklich kommt - dann Geld irgendwo leihen."
Er falle zum Glück persönlich relativ weich, weil er Freunde und Familie habe, die ihm helfen könnten. Bei vielen seiner Bekannten sei das aber eine ganz andere Situation. Und vom Referendargehalt könne man auch nichts ansparen.
David Hanke ist einer von vielen Referendaren, die über die Ferienzeit arbeitslos sind.
Allein in Baden-Württemberg 4.000 - 5.000 Betroffene
Laut der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sind allein in Baden-Württemberg zwischen 4.000 und 5.000 Referendare betroffen. Ihr Vertrag endet mit dem letzten Schultag. Deutschlandweite Zahlen gibt es keine, jedes Bundesland hat seine eigene Linie bei dem Thema. Stichwort: Bildungsföderalismus.
Der Bundesverband der GEW hat eine Umfrage innerhalb der eigenen Landesverbände gemacht. Laut dieser gibt es unter anderem in Bayern, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein keine Gehaltslücke für Referendarinnen bzw. sind sie dort durchgehend beschäftigt. In anderen Bundesländern gibt es kürzere Lücken als die sechs Wochen Sommerferien. In anderen beträgt die Lücke sogar bis zu sechs Monaten. Das liegt an den unterschiedlich langen Referendariaten.
Der deutsche Lehrerverband verurteilt, dass Referendare mehr oder weniger lang auf Bürgergeld angewiesen sind. Es sei ein leidiges Thema. "Wer an Werktagen und Wochenenden für ein Bundesland gearbeitet hat, ihm und seinen Kindern gedient hat, der hat die Bezahlung der Sommerferien verdient", so der Präsident des Lehrerverbandes Stefan Düll.
- Zweite Phase der Ausbildung nach dem Studium mit praktischem Einsatz in der Schule, wird auch Vorbereitungsdienst genannt.
- Dauer je nach Bundesland 12 Monate (z.B. Brandenburg) bis 24 Monate (z.B. Bayern und Thüringen), in den meisten Ländern sind es 18 Monate wie in Baden-Württemberg.
- Vergütung abhängig von Bundesland und Schulform. Der "Anwärtergrundbetrag" liegt laut GEW zwischen 1.426 € und 1.595 € brutto (Stand Oktober 2021).
Arbeitslos trotz Lehrkräftemangel
"Stattdessen schicken Bundesländer wie beispielsweise Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen die frisch gebackenen Lehrerinnen und Lehrer zunächst in die Arbeitslosigkeit. Wertschätzung sieht anders aus". Vor dem Hintergrund des dramatischen Lehrkräftemangels sei das Verhalten einiger Bundesländer nicht nachvollziehbar, so der GEW-Bundesverband.
Und der Lehrkräftemangel ist auch in Baden-Württemberg groß. Das Land hat aktuell gleich zwei Werbekampagnen gestartet, um neue Interessenten für den Job zu begeistern. Sowohl das Wissenschaftsministerium als auch das Kultusministerium werben mit Slogans wie: "Lieber Lehramt" und "Lust auf Veränderung? Dann werde Lehrkraft."
"Sie erhalten ein sehr attraktives Gehalt"
Dass die Referendarinnen und Referendare die Sommerferien über auf Bürgergeld angewiesen seien, sei kein Widerspruch dazu. Nach den Sommerferien hätten diese eine lebenslange Jobgarantie, wenn sie ein gewisses Maß an örtlicher Flexibilität zeigen würden. So das Kultusministerium. "Sie erhalten ein sehr attraktives Gehalt, eine private Krankenversicherung, Beihilfe, Familienzuschläge und eine Pension im Alter."
Alles in allem sei das ein hervorragendes Angebot, das auch nicht im Widerspruch dazu stehe, mehr Personen für ein Lehramtsstudium beziehungsweise für eine Tätigkeit als Lehrkraft zu begeistern. Die Werbekampagne koste so viel wie eine einzige Lehrerstelle für etwas mehr als zwei Jahre.
Man spare über die Sommerferien kein Geld ein, da man die Referendarinnen und Referendare nicht entlasse, sondern deren Arbeitsvertrag auslaufe.
Arbeiten ohne Bezahlung
Nach Rechnung der GEW Baden-Württemberg würde es das Land rund acht bis zehn Millionen Euro kosten, den 4.000 bis 5.000 Referendaren und Referendarinnen ihr Gehalt über die Sommerferien zu bezahlen. Das sei weniger als ein Tausendstel des Kultushaushalts.
Außerdem dürften die Referendare formal das Schulgebäude während der Sommerferien nicht betreten, weil sie nicht dort angestellt sind. Sie müssten aber, weil vor Schuljahresbeginn schon Konferenzen stattfinden. Und sie müssen unbezahlt im Sommer für die Schule arbeiten, so wie Referendar David Hanke. "Wenn man mit einem vollen Deputat wieder anfängt und dann nachher 25 Stunden in der Woche unterrichten soll, müssen die auch irgendwann vorbereitet werden."
Befristet angestellte Lehrer werden in Baden-Württemberg unter bestimmten Voraussetzungen in diesen Sommerferien zum ersten Mal weiterbezahlt. David Hanke hofft, dass das irgendwann auch bei den Referendaren der Fall ist.
Rund 120 Dokumente
Er muss jetzt erstmal rund 120 Dokumente ausfüllen und mit Anhängen verschicken. Zum einen, weil das Land alle Informationen über ihn neu braucht, weil er nicht durchgängig beschäftigt wird. Schließlich ist sein alter Vertrag mit dem Schuljahr beendet und sein neuer beginnt erst im neuen Schuljahr. Zum anderen um das Bürgergeld zu erhalten.
Er wünscht sich, dass das möglichst schnell geändert wird. Idealerweise schon für die nachfolgende Generation an Referendarinnen und Referendaren, sagt er. "Dass die nachher nicht so dastehen wie wir jetzt."