Friedensdemo in Berlin Definiere Frieden
Ein breites Bündnis lädt zur Friedensdemonstration nach Berlin. Aber was ist Frieden? Die Definition unterscheidet sich stark - je nachdem, wen man in der Bundespolitik fragt.
"Nie wieder Krieg - die Waffen nieder" ist der Name der bundesweiten Initiative, die hofft, heute ähnlich wie einst die Friedensbewegung in den 1980er-Jahren Tausende in Berlin auf die Straße zu bringen. So unterschiedlich die verschiedenen Organisationen, so klar die Botschaft: Verhandlungen zu einer sofortigen Beendigung der Kriege in der Ukraine und in Gaza, keine Waffenlieferungen an die Ukraine, Israel und in alle Welt.
Obendrein wenden sich die Veranstalter gegen Atomwaffen in Deutschland und gegen die von der Bundesregierung gerade erst beschlossene vorübergehende Stationierung amerikanischer Langstreckenwaffen.
"Ja zum Frieden", heißt es. Eigentlich klingt sogar Olaf Scholz recht ähnlich. "Kaum etwas hat unsere Welt so nötig wie Frieden", sagt der Kanzler. Er versteht Frieden mit Blick auf die Ukraine aber gänzlich anders als beispielsweise die Gründerin des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Sie verlangt einen sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine, Verhandlungen mit Russland und ein Stopp aller Waffenlieferungen.
Wagenknecht ist eine der Hauptrederinnen
"Unsere europäische Friedensordnung ist wehrhaft", so sieht der Kanzler die Dinge. Der Ruf "Nie wieder" ist in Scholz' Lesart das Bekenntnis, dass sich Putins Imperialismus nicht durchsetzen dürfe.
Eine der Hauptrednerinnen bei der Abschlusskundgebung heute ist eben jene Sahra Wagenknecht. Für viele Sozialdemokraten Grund genug, die Friedensdemonstration zu meiden. Für den SPD-Linken Ralf Stegner Grund genug, erst recht dort aufzutreten und auch zu reden.
Stegners Logik: "Ich bin für Frieden, die SPD ist eine Friedenspartei und wenn wir Deutschland den Populisten wie Wagenknecht überlassen, dann gute Nacht." Er habe im Übrigens nichts mit Wagenknecht gemein, halte die Meinungsvielfalt aber aus.
"Deutschland nicht den Populisten überlassen"
Es gab umgehenden Widerspruch auch aus den eigenen Reihen: Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, der SPD-Politiker Michael Roth, spricht von "Schande", dass Russland und die Hamas mit keinem Wort von den Organisatoren als Kriegstreiber gebrandmarkt würden.
Bei Wagenknecht und ihrer china- und russlandfreundlichen Politik bekomme er Brechreiz, so Roth in der ARD. Die Fronten in der Politik verlaufen dieser Tage sehr klar.
Habeck: "Frieden bedeutet Arbeit"
Aus der SPD wiederum gibt es einen eigenen Aufruf zur heutigen Demo, unterschrieben unter anderen vom ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse, aber auch vom Ex-Parteichef Norbert Walter-Borjans. Tenor: Die Friedensbewegung sei immer ein Sammlungsbecken mit unterschiedlichen Akteuren gewesen. "Bei allen Unterschieden war es immer ein ehrenhaftes Unterfangen, für den Frieden auf die Straße zu gehen."
Es sind aufgeladene Zeiten - und unter Frieden verstehen Politiker alle offenbar etwas Grundverschiedenes. Vizekanzler und Grünen-Politiker Robert Habeck sagt, Frieden bedeute Arbeit. "Frieden ist eine Aufgabe, die Diplomatie ein-, aber Naivität ausschließt."
Habeck fordert, Europa müsse schutzfähig werden. Es gebe Zeiten, in denen Nichthandeln die Bedrohung des Friedens erhöhe. Das heißt übersetzt: Waffenlieferungen an die Ukraine sind Teil aktiver Friedenspolitik.
Verteidigungsminister Boris Pistorius, der die Deutschen "kriegstüchtig" machen will, sagt, er sei Mitglied einer Friedenspartei SPD. Mit Blick auf die Ukraine schiebt er nach: Pazifismus in Kriegszeiten bedeute nicht, dass man Selbstmord begehe. Eine wehrhafte Ukraine sei sie Voraussetzung für einen "gerechten Frieden".
Makeiev: "Frieden fällt nicht vom Himmel"
Ukraines Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, blickt ebenfalls mit anderen Augen auf die möglicherweise Tausenden Menschen, die heute für Frieden in Berlin auf die Straße gehen. Frieden falle nicht vom Himmel, sagt er.
In der Ukraine seien es derzeit russische Drohnen und Raketen, die vom Himmel fielen. Frieden für die Ukraine muss in der Logik des Botschafters erkämpft werden.
Gerade hat die Schweiz eine Initiative von Brasilien und China unterstützt. Kernpunkt ist ein Waffenstillstand in der Ukraine entlang der derzeitigen Frontlinie. Die Ukraine reagierte empört und wiederholte die Warnung vor einem russischen Diktatfrieden.
Was also ist Frieden? Sind Friedensdemonstranten bestenfalls Träumer, schlimmstenfalls Helfer der Regime, die die regelbasierte internationale Ordnung sabotieren?
Verteidigungsminister Pistorius spricht von der "Hausordnung der Welt", die geschützt werden müsse. SPD-Chef Lars Klingbeil warnt vor einem falschen Gegensatz: Entweder der Ukraine mit Waffen helfen oder Frieden wollen, sei eine zu einfache Rechnung. Die Lage sei deutlich komplizierter.
Scholz: "Frieden muss mühsam erarbeitet werden"
Frieden muss laut Kanzler Scholz mühsam erarbeitet werden - mit kleinen diplomatischen Schritten. Dass die derzeit überwiegend hinter verschlossenen Türen gemacht werden, hilft dem Kanzler bei der heutigen Friedensdemonstration wenig.
"Nicht der Friedenswunsch ist absurd. Der Krieg ist es", sagt SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Er hat sich sein Leben lang für Abrüstung und Frieden eingesetzt - und gehört jetzt einer Partei an, die Waffen in ein Kriegsgebiet liefert. An ihm wird deutlich, wie kompliziert es dieser Tage sein kann, als Demonstrant auf der Straße nach Frieden zu rufen.