
Nach Hochstufung Wie die AfD den Verfassungsschutz diskreditiert
Nach der Einstufung der AfD als "gesichert rechtsextremistisch" durch den Verfassungsschutz greift die Partei die Behörde scharf an. Experten erklären, warum ihre Argumente nicht greifen.
Als der Verfassungsschutz bekanntgab, dass er die AfD künftig als gesichert rechtsextremistisch einstuft, ließen Reaktionen der Partei nicht lange auf sich warten. Ein Vorwurf der AfD: Das Gutachten sei politisch gesteuert. Die Parteivorsitzende Alice Weidel beklagt die Diffamierung der AfD "durch den parteipolitisch vollständig instrumentalisierten Verfassungsschutz". AfD-Parteivorsitzender Tino Chrupalla spricht von einem "schwarzen Tag für die Demokratie": "Wenn man die AfD politisch nicht bekämpfen kann, dann versucht man es mit diesen Mitteln."
Der Vorwurf, der dabei von Parteivertretern wiederholt geäußert wird: Die Einstufung selbst sei politisch gesteuert, etwa durch das Bundesinnenministerium, dem der Verfassungsschutz zugeordnet ist. Das Sammeln und Auswerten von Informationen über Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist dabei eine seiner Hauptaufgaben.
Kontrolle durch Bundestag und Gerichte
Während das Bundesinnenministerium die Dienst- und Fachaufsicht über das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat, unterliegt seine Arbeit außerdem unter anderem der parlamentarischen Kontrolle des Bundestags und wird im Zweifel von Gerichten überprüft. Gleichwohl scheint der Vorwurf zu verfangen: In einschlägigen Kanälen auf Telegram ist von einer systematischen Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes die Rede, mit dem die Opposition "eliminiert" werden solle.
Rechtswissenschaftler Markus Ogorek von der Universität zu Köln widerspricht der Darstellung von Chrupalla: "Ich halte es für fernliegend, dass eine politische Einflussnahme erfolgt ist - die AfD liefert keinerlei Belege für ihre Behauptung."
Ogorek betont: Der AfD stehe es frei, gerichtlich gegen die Einstufung durch den Verfassungsschutz vorzugehen. Das habe die Partei bereits bei der Einstufung als Verdachtsfall getan, und in einem entsprechenden Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Münster zahlreiche Beweisanträge gegen die Einstufung vorgelegt. "Vor diesem Hintergrund zu behaupten, man habe keine Handhabe und sei sozusagen wehrlos gegenüber dem Inlandsnachrichtendienst, stimmt nicht", so Ogorek.
Zu Transparenz verpflichtet
Nicht nur die Hochstufung, sondern auch ihre Bekanntgabe durch den Verfassungsschutz kritisiert die AfD scharf. In einer Abmahnung an den Verfassungsschutz, die dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt, schreibt die Partei: "Sowohl diese Einstufung als auch die Bekanntgabe dieses Umstands sind offensichtlich rechtswidrig." Am Montag reichte die Partei entsprechend Klage gegen die Einstufung ein.
Markus Ogorek betont: Mit seiner Einstufung sei der Verfassungsschutz im Grundsatz lediglich seiner Arbeit nachgegangen. Dazu gehöre, die Öffentlichkeit über Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu informieren, festgehalten in Paragraf 16 des Bundesverfassungsschutzgesetzes.
Verfassungsschutz Aufgabe aller
"Der Verfassungsschutz im Wortsinn ist nicht nur Aufgabe einer bestimmten Behörde, sondern ein gesamtgesellschaftliches Anliegen", so der Rechtswissenschaftler Ogorek - er sei die Aufgabe aller Bürgerinnen und Bürger: "Dem Gesetzgeber war klar, dass die Öffentlichkeit nur dann wehrhaft für unseren Staat eintreten kann, wenn sie angemessen über Bedrohungen für Demokratie und Rechtsstaat informiert wird."
Rechtsextremismus-Experte Joe Düker vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) geht davon aus, dass es sich bei solchen Äußerungen um eine klare Strategie der AfD handelt: "Hier wird eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben. Die AfD, die als rechtsextremistisch eingestuft wurde, stellt sich als eine Organisation dar, die Opfer einer undemokratischen oder gar antidemokratischen Handlung geworden ist."
Strategische Diffamierung
Unterdessen hat die Partei auch international Unterstützung erhalten. Als Reaktion auf das Gutachten schreibt der US-amerikanische Außenminister Marco Rubio auf X, es handele sich um "Tyrannei". Deutschland habe seinem "Geheimdienst gerade neue Befugnisse zur Überwachung der Opposition" erteilt.
Auch in einer offiziellen Stellungnahme der AfD als Reaktion auf die Hochstufung ist von einem "Geheimdienst" die Rede, der momentan nicht einmal einen Präsidenten habe. Hintergrund ist, dass der bisherige Behördenleiter Thomas Haldenwang bei der vergangenen Bundestagswahl kandidierte und ein Nachfolger bisher nicht benannt worden ist.
Negative Konnotation gezielt genutzt
Laut Düker sei die Verwendung des Begriffes "Geheimdienst" Teil einer Strategie der AfD, mit der die Justiz und der Verfassungsschutz diffamiert werden solle: "Hier soll suggeriert werden, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht. Wir haben in der deutschen Geschichte einige Geheimdienste, die zu Recht sehr negativ konnotiert sind."
Damit solle unterstellt werden, dass es sich bei der AfD um eine normale demokratische Akteurin handele, die von angeblich heimlichen Machenschaften aus dem Hintergrund undurchsichtig überwacht werden soll, so der Experte - "eben weil man auch keine Einsicht in das Gutachten hat".
Kein Geheim-, sondern Nachrichtendienst
Ähnlich sieht es Rechtswissenschaftler Ogorek. Der Begriff solle entsprechende Assoziationen zu bekannten Geheimdiensten wecken. Allerdings sei der BfV kein Geheim- sondern ein reiner Nachrichtendienst. "Geheimdienste haben sogenannte Exekutivbefugnisse. Das heißt, sie dürfen zu Waffen greifen und in manchen, auch westlichen Staaten, sogar paramilitärische Aktionen durchführen."
Die deutschen Dienste sammelten und bewerteten hingegen nur Informationen, erklärt Ogorek. Das betreffe neben den Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern auch den Bundesnachrichtendient (BND) als Auslands- sowie den Militärischen Abschirmdienst (MAD) als Bundeswehr-spezifischen Nachrichtendienst. Der Rechtswissenschaftler bewertet die Verwendung des Begriffs Geheimdienst vor diesem Hintergrund "als ein politisches Statement".
Deutscher Sonderweg aufgrund historischer Erfahrung
Zwar sei es durchaus eine Besonderheit, dass neben Terroristen und Spionen auch "Legalisten" ins Visier des Inlandsdienstes gerieten - also Vereinigungen, die ohne Straftaten zu planen eine Gefahr für die Demokratie darstellten, so Ogorek. Dieser deutsche Sonderweg, der zur Beobachtung der AfD führe, erkläre sich aus den Lehren hinsichtlich der teilweise auf demokratischem Weg erfolgten Machtergreifung der Nationalsozialisten.
Was den Nachrichtendienstexperten aber ärgere, sei eine Doppelmoral in der Argumentation: "Wenn das BfV in der Vergangenheit etwa sogenannte Hinterhof-Moscheen in den Blick nahm, waren dieselben Personen an vorderster Front für deren Beobachtung, die jetzt mit Blick auf die AfD über die Einstufung erzürnt sind." Es sei "evident widersprüchlich, nur legalistische Extremisten einer bestimmten ideologischen Couleur überwachen zu wollen", so der Experte.
Klageweg ermöglicht Einsicht in Gutachten
Ein weiterer Kritikpunkt der AfD: Sie wisse selbst nicht, auf welcher Grundlage die Einstufung durch den BfV erfolge, da das Gutachten bisher nicht veröffentlicht wurde. Im ARD-Brennpunkt forderte Parteivorsitzender Chrupalla "Belege und Beweise". Seine Partei wisse gar nicht, was ihr vorgeworfen würde.
Auch von anderer Seite mehrte sich zuletzt die Kritik daran, dass das Gutachten bisher nicht öffentlich ist. Einen Rechtsanspruch auf die Veröffentlichung des Gutachtens hat die AfD zwar tatsächlich nicht. Was in dem Gutachten steht, erfahre die AfD womöglich dennoch, sagt Rechtsexperte Ogorek: "Die Partei hat ja bereits angekündigt, gegen die Einstufung zu klagen, und im Rahmen der Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte erhält die AfD dann selbstverständlich Einsicht in das umfangreiche Papier."