US-Vorwurf gegen Russland Unter falscher Flagge?
Die USA haben Russland vorgeworfen, einen Vorwand für einen Angriff auf die Ukraine schaffen zu wollen. Solche Aktionen unter "falscher Flagge" gibt es beim Militär, Geheimdiensten, aber auch in Politik und Internet.
Inmitten der angespannten Sicherheitslage um die Ukraine haben Berichte über angeblich geplante Operationen unter falscher Flagge vonseiten Russlands, aber auch der USA, die Unsicherheit erhöht. Dass solche Vorwürfe schwierig zu belegen und auch zu entkräften sind, gehört zu solchen Täuschungsmanövern.
Es ist eine Taktik mit langer Geschichte: Im 16. Jahrhundert segelten Piraten und Freibeuter unter falscher Flagge, um ihr Angriffsziel erst zu täuschen und dann überraschend zu überfallen.
Verdeckte Operationen unter falscher Flagge dienen auch dazu, Angriffe zu rechtfertigen: Eigene Einrichtungen werden attackiert und der Gegner als Täter dargestellt, dies oft verbunden mit Propaganda. Die verheerendsten Folgen hatte der deutsche Überfall auf den Sender Gleiwitz am 31. August 1939: Ein SS-Kommando drang als polnische Freischärler verkleidet in die deutsche Radiostation ein, fesselte die Mitarbeiter und verbreitete die Nachricht, der Sender befinde sich in polnischer Hand. Dies als Vorwand nutzend gab Hitler der Wehrmacht den Befehl zum Einmarsch in Polen. Der Zweite Weltkrieg begann.
In der Kuba-Krise 1962 entwickelte der Generalstab des US-Verteidigungsministerums Pläne für Operationen unter falscher Flagge. Eine davon erhielt den Namen Northwoods. Die CIA sollte Terroranschläge auf zivile Infrastruktur und Exilkubaner in den USA inszenieren, für die Fidel Castro verantwortlich gemacht werden sollte. Dies hätte den Vorwand für einen Einmarsch in Kuba schaffen sollen. Doch der damalige Präsident John F. Kennedy lehnte die Operation ab. Die Dokumente dazu kamen erst nach ihrer Deklassifizierung in den 1990er-Jahren an die Öffentlichkeit.
Verborgen handeln, öffentlich abstreiten
Ein weiteres Motiv für solche Operationen: glaubhafte Abstreitbarkeit. Das Konzept der "plausible deniability" entwickelte die CIA in den 1950er-Jahren und findet auch bei Verbündeten und Gegnern Anwendung - wenn Konsequenzen in Form militärischer Reaktionen oder wirtschaftlicher und politischer Sanktionen drohen und wenn Völkerrecht gebrochen wird.
Dies war der Fall bei den "grünen Männchen", die die ukrainische Halbinsel Krim annektierten. Anfangs dementierte die russische Führung, dass dort russisches Militär involviert war. Später erklärte Russlands Präsident Wladimir Putin, er habe den Befehl zur Heimholung der Krim gegeben. Ähnlich verhielt es sich mit der Ostukraine. Auch da gab die russische Führung später zu, dass russische Sicherheitskräfte dort aktiv sind.
Beim Krieg in Syrien gibt es immer wieder den Vorwurf von Operationen unter falscher Flagge. Die unübersichtliche und gefährliche Lage erschwert eine Überprüfung solcher Anschuldigungen noch. Ein gängiger Vorwurf lautet, die USA hätten unter falscher Flagge Giftgasanschläge verübt.
Dabei ließ der damalige US-Präsident Barack Obama seiner Drohung, beim Einsatz von Chemiewaffen werde eine rote Linie überschritten, keine militärischen Konsequenzen folgen. Eine unabhängige UN-Untersuchungskommission wies zudem dem Regime von Bashar al-Assad zahlreiche Giftgasangriffe nach.
Gegenseitige Vorwürfe zur Ukraine
Wie ein Echo klang es, als Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu im Dezember behauptete, US-Söldner bereiteten ukrainische Spezialeinheiten und bewaffnete Gruppen auf "aktive Feindseligkeiten" in der Ostukraine vor. Sie hätten eine "nicht identifzierte chemische Komponente" in die Region geliefert. Was Schoigu nicht lieferte, waren Beweise.
Nun werfen wiederum die USA der russischen Führung vor, Operationen unter falscher Flagge in der Ukraine zu planen. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, beschrieb dies recht detailliert: Die russischen Agenten seien im Umgang mit Sprengstoff und in "urbaner Kriegsführung" geschult, um Sabotageakte gegen russische Vertreter durchzuführen. Zur Rechtfertigung einer russischen Intervention zur rechtfertigen und um Spannungen in der Ukraine zu säen, werde über die Medien provoziert. Die Zahl an Berichten über westliche Einflussnahme, Menschenrechtsverstöße und eine Verschlechterung der Lage, die nur Russland verbessern könne, nehme zu.
John Kirby, Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, betonte: Man kenne dieses russische Vorgehen aus dem Jahr 2014 und "wir sehen, was sie tun". Erwartungsgemäß stritt Putins Sprecher Dmitri Peskow diese Vorwürfe ab.
Maximale Verwirrung
Die Anwendung hybrider beziehungsweise aktiver Maßnahmen in Verbindung mit Desinformation und Propaganda ebenso wie der Einsatz von Söldnern erschwert es, Militäreinsätze in Konflikten weltweit nachzuvollziehen - und darüber hinaus eine Grenze zwischen Friedens- und Kriegszustand zu ziehen. Bei letzterem gelten völkerrechtlich verbindliche Regeln wie die Genfer Konvention zum Beispiel zum Umgang mit Kriegsgefangenen.
Operationen unter falscher Flagge führen dazu, dass Staaten und Akteure Glaubwürdigkeit verlieren. Sie laden dazu ein, Verschwörungslegenden zu entwickeln, die im Internet rasante Verbreitung finden und so noch mehr Misstrauen schüren.
In sozialen Medien wie Twitter wiederum gibt es diverse Versionen von Aktionen unter falscher Flagge, um Gegner zu diskreditieren, sie zum Beispiel auf falsche Fährten zu locken oder auch zu emotionalen Aussagen zu verleiten, die wiederum gegen sie verwendet werden können. Auch falsche Bekennerschreiben sind mehrfach aufgetaucht, um politischen Gegnern zu schaden.
Dagegen gibt es neben Investigativmedien und Forschern eine wachsende Zahl an Aktivisten und Organisationen, die sich Aufklärung mittels öffentlich zugänglicher Informationen zur Aufgabe machen, teils mit enormen privatem Engagement. Heutzutage lassen sich fast in Echtzeit Truppenverlegungen, Transporte per Flugzeug, Bahn und Schiff nachvollziehen, dies mit Hilfe von Radardaten und Amateurvideos im Netz.
Allerdings kann auch das gezielte Verbreiten solcher Videos von Militärtransporten dazu genutzt werden, den Eindruck einer Bedrohung zu erzeugen und damit Abschreckung zu bewirken.
Keine Belege
Trotz oder gerade wegen der Vielzahl an teils widersprüchlichen Informationen zur Lage in der Ukraine ist unklar, wie real Pläne für angebliche Operationen unter falscher Flagge sind. Dass entscheidende Angaben nicht gemacht werden, wird meist mit dem notwendigen Schutz von Quellen vor Ort begründet. Je weniger glaubwürdig Vorwürfe und Aktionen selbst aber sind, auch wenn sie häufig angewendet werden, desto weniger Wirkung entfalten sie letztlich.