Europawahl 2024
Bundesverfassungsgericht Betreute dürfen an Europawahl teilnehmen
Viele Jahre waren betreute Menschen von Wahlen ausgeschlossen. Knapp sechs Wochen vor der Europawahl öffnet das Bundesverfassungsgericht den Betroffenen die Tür. Den Verwaltungen steht nun viel Arbeit bevor.
Peter Benzenhöfer von der Lebenshilfe in Baden-Württemberg war einer der wenigen, die im Gerichtssaal im Rollstuhl saßen. Er hatte vorab die Hoffnung, dass die Europawahl für alle Menschen mit Behinderung geöffnet wird. "Dann gehe ich lächelnd raus und sage: Wir haben mal wieder bisschen was geschafft." Und so kam es dann auch.
80.000 Menschen betroffen
Die acht Richter verkündeten ihre Entscheidung nur im Tenor. Eine Begründung gab es noch nicht, aber feststeht: Die rund 80.000 Menschen mit Behinderung und Straftäter, die wegen Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind - alle, die bislang von vielen Wahlen ausgeschlossen waren, dürfen nun doch schon bei der Europawahl Ende Mai teilnehmen. Jedenfalls dann, wenn sie einen Antrag stellen oder gegen das Wählerverzeichnis Einspruch erheben.
Ende Januar hatte das Bundesverfassungsgericht für die Bundestagswahl entschieden, dass diese Wählergruppen nicht mehr pauschal ausgeschlossen werden dürfen. Für die Europawahl Ende Mai hatte der Bundestag allerdings die erforderliche Gesetzesänderung nicht mehr hinbekommen. Ab dem 1. Juli gilt ein neues Wahlrecht, erst die Wahlen danach sollten geöffnet werden.
Reicht die Zeit?
Dass die Verfassungsrichter auch die Europawahlen öffnen würden, zeichnete sich schon während der mündlichen Verhandlung am Nachmittag ab. Denn sie fragten immer wieder nach, als die Vertreter der Bundesregierung sagten, für die Europawahl sei das nicht mehr zu schaffen.
Ansgar Heveling, Justitiar der CDU-Bundestagsfraktion, sagte zum Beispiel, eine Öffnung der Wahl sei aus praktischen Gründen nicht mehr hinzubekommen. "Es muss in Zukunft händisch nachkontrolliert werden, welcher Wahlrechtsausschluss besteht und welcher gegebenenfalls dann eben nicht mehr besteht. Das praktisch umzusetzen, wird schwierig sein", sagte er.
Die grüne Bundestagsabgeordnete Britta Haßelmann hielt dagegen: "Ich glaube, dass es eine große Arbeitsleistung für viele, viele Kommunalbeschäftige ist in den Verwaltungen, in den Landesverwaltungen. Aber dieser Verwaltungsaufwand darf aus unserer Sicht kein Argument dafür sein, Menschen dieses Bürgerrechte zu verweigern."
Die Verfassungsrichter hatten sich ausführlich beim Bundeswahlleiter und Wahlverantwortlichen aus verschiedenen Bundesländern erkundigt. Die Antwort fiel bei fast allen gleich aus. Sie waren eher optimistisch: Eine Beteiligung sei machbar. Pro Wähler zirka vier Minuten Arbeitseinsatz seien nötig, rechnete zum Beispiel der Wahlleiter aus Nordrhein-Westfalen aus.
"Wählen ist ein Grundrecht"
Die Öffnung ist also nicht völlig unmöglich, wenn die Umsetzung auch für die einzelnen Gemeinden wegen der Osterfeiertage und Brückentage und wegen des Personalmangels teilweise schwierig werde. Gut möglich, dass es diese Auskünfte letztlich waren, die den Richterspruch beflügelt haben.
Benzenhöfer, als Vertreter der Lebenshilfe einer der wenigen Menschen mit Behinderung im Gerichtssaal, war tatsächlich hochzufrieden: "Für jeden sollte die Möglichkeit geschaffen werden, dass er wählen kann. Wählen ist ein Grundrecht, und es steht im Grundgesetz, dass kein Mensch wegen seiner Behinderung benachteiligt werden sollte."
Warum die Richter so entschieden haben, das werden sie erst in der Zukunft mitteilen. Fest steht aber jetzt schon: Alle, die die Europawahlen vorbereiten, werden dieses Urteil beherzigen müssen.