Vorgehen der EU im Streit um Roma-Abschiebungen Ein Verfahren gegen Frankreich - mit Hintertür
"Ja" oder "Nein" - so einfach ist die EU-Welt oft nicht. Das gilt auch für die Frage, ob die EU denn nun wegen der Roma-Abschiebungen gegen Frankreich vorgeht: Zunächst hieß es, man habe ein Verfahren beschlossen. Wenig später war dann von einem Ultimatum die Rede.
Von Christoph Prössl, NDR-Hörfunkkorrespondent Brüssel
Mehr als zwei Stunden hat die Kommission über das Thema "französische Roma-Politik" diskutiert - deutlich länger, als ursprünglich geplant. Offenbar hat es Streit gegeben im Kollegium. Das erklärt auch die wirre Kommunikationsstrategie der Behörde. Vertragsverletzungsverfahren - ja oder nein - so einfach ist die Brüsseler Welt nicht.
"Hüterin der Verträge"
"Die Kommission hat heute beschlossen, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich einzuleiten", so EU-Justizkommissarin Viviane Reding nach der Sitzung. Als "Hüterin der Verträge" sei die EU-Kommission entschlossen, EU-Recht zu wahren. "Und zwar gegenüber allen Mitgliedsstaaten, groß oder klein, da machen wir keinen Unterschied."
Etwas anders klang das in der Pressemitteilung der Kommission, die die Sprecherin von Kommissionschef Jose Manuel Barroso, Pia Ahrenskilde, verlas. Am Ende des Textes heißt es: "Zurzeit müssen wir feststellen, dass Frankreich die Freizügigkeitsrichtlinie nicht transparent und vollständig in nationales Recht umgesetzt hat." Deswegen habe die Kommission entschieden, Frankreich aufzufordern, die Richtlinie bis zum 15. Oktober umzusetzen. Ansonsten werde das formelle Schreiben automatisch versendet.
Die politische Entscheidung ist gefallen
Das Durcheinander übersetzen Diplomaten so: Die politische Entscheidung, das Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, sei gefallen, doch Frankreich könne die Eröffnung des Verfahrens noch bis zum 15. Oktober verhindern. Durch diese ungewöhnliche Methode möchte Kommissionschef Barroso offenbar verhindern, Frankreich zu düpieren. Er will kein weiteres Öl in das Feuer schütten, den Machtkampf zwischen Kommission und Mitgliedsländern nicht eskalieren lassen.
Streit hatte polemische Züge angenommen
Im Umfeld von Justizkommissarin Reding heißt es, sie hätte sich deutlichere Worte des Kommissionschefs gewünscht. Der Streit zwischen Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und Reding hatte in den vergangenen Wochen polemische Züge angenommen. Reding hatte auf die Werte der Europäischen Union gepocht, die es nach dem Zweiten Weltkrieg zu verteidigen gebe. Nazi-Vergleich, schallte es daraufhin aus Frankreich zurück.
Zum weiteren Vorgehen sagte Reding: "Wenn Frankreich seine Gesetzgebung nicht ändert, geht das vor das Europäische Gericht. Ändern sie ihre Gesetzgebung, dann brauchen wir das Verfahren nicht fortzusetzen." Es gehe nicht darum, einen Staat vor den Kadi zu bringen. "Uns geht es ganz einfach darum, dass das europäische Recht angewandt wird, und das im Interesse der europäischen Bürger", so Reding. Außerdem kündigte die Kommission an, Maßnahmen zur erarbeiten, die die Integration der Roma vereinfachen sollen.