Ungarns Regierungschef Orban Zu Hause fest im Sattel
In der EU ist Ungarn isoliert, Regierungschef Orban gilt als Enfant terrible. In Ungarn sieht es trotz schlechter Wirtschaftslage anders aus. Denn Orban verkauft die EU erfolgreich als Wurzel allen Übels.
Es ist eine dramatische Erzählung, die Judith Varga auf ihrer Facebook-Seite hochgeladen hat. Die Spitzenkandidatin der Fidesz-Partei für die Europawahl holt aus, erklärt, wie Ungarn in der EU seit Anfang an nichts als geknechtet wird.
Jetzt droht Brüssel uns damit, unsere Gelder zu streichen, uns das Stimmrecht zu entziehen. Oder uns von allem auszuschließen, zum Beispiel den Chancen des gemeinsamen Markts. Wenn wir uns nicht an das halten, was sie für fair und gut halten. Aber in all den Jahren, die wir mit europäischer Entscheidungsfindung verbracht haben, ging es für uns um eine Strategie, um Verteidigung und Erhalt unserer Flamme. Darum, mit unseren eigenen Händen die Flamme unserer nationalen Interessen vor Kälte, Wind und Regen zu schützen.
Orban: "Ungarn wird von Brüssel erpresst"
Es ist das gängige Narrativ der Regierung unter Viktor Orban. Sie nimmt für sich in Anspruch, die ungarischen Interessen gegen Brüssel zu verteidigen. Während man im Rest Europas Orbans Blockaden als Erpressung brandmarkt, dreht der ungarische Regierungschef jetzt den Vorwurf um: Ungarn werde von Brüssel erpresst, schreibt Orban, ebenfalls auf Facebook.
Hintergrund ist ein Artikel der Financial Times. In dem wird eine neue EU-Strategie skizziert, sollte Ungarn den Ukraine-Hilfen beim Gipfel nicht zustimmen. Dann solle die restliche EU Verbalattacken auf Ungarns Wirtschaft fahren - und etwa mit dem Streichen aller Gelder drohen.
Der oppositionelle Außenpolitiker István Szent-Iványi erkennt darin einen strategischen Ansatz, die Orban-Regierung auf Schiene zu bringen: "Der EU-Rat hat ein Mandat bekommen. Und zwar Vorschläge zu machen, die die ungarische Regierung dazu bewegen sollen, zu kooperieren."
Ungarns Wirtschaft geht es nicht gut
Denn die Wirtschaft ist Ungarns wunder Punkt. Insbesondere die Inflation macht der Bevölkerung zu schaffen. Sie war zuletzt zwar gesunken, lag im vergangenen Jahr aber bei 17 Prozent. Nach mehr als 15 Prozent auch im Jahr davor.
Nach dem Bericht der Financial Times gab der Forint erneut nach. Die Regierung versuchte nach Kriegsausbruch, der Geldentwertung mit Preisdeckeln für Nahrung und Sprit beizukommen.
Die Inflation sank nicht, die Preisdeckel wurden wieder abgeschafft. Aktuell fahren die Supermärkte Rabatt-Aktionen, weil die Nachfrage eingebrochen ist. Die Menschen sparen.
Forderung nach Ende der Russland-Sanktionen
Aus Sicht der ungarischen Regierung ist an all dem die EU Schuld, genauer: die Sanktionen gegen Russland, die Ungarn als "Atombombe" bezeichnet. Die Regierung in Budapest ist im Krieg gegen die Ukraine gegen Waffenlieferungen. Sie fordert stattdessen Friedensverhandlungen.
Bei einem Treffen mit seinem Kiewer Kollegen Dmytro Kuleba im westukrainischen Uschhorod brachte Ungarns Außenminister Peter Szijjarto außerdem erneut die Minderheitenrechte der Ungarisch sprechenden Bevölkerung in der Ukraine aufs Tableau.
"Ich hoffe, es ist nicht zu viel verlangt und die ukrainischen Kollegen sehen es mir nach, dass ich das Wort Erwartung verwende, dass die Mitglieder der ungarischen Volksgemeinschaft ihre Rechte wiedererlangen, die sie 2015 noch hatten", so Szijjarto.
Über die Ukraine-Hilfe wollte der Diplomat bei seinem Besuch in Uschhorod nicht reden, "weil das keine bilaterale Frage ist, deswegen soll die Diskussion darüber in Brüssel stattfinden".
Medien längst auf Orban-Linie
Die ungarische Opposition wirft der Orban-Regierung vor, mit ihrem Verhalten russische Interessen zu bedienen. In ernsthafte Bedrängnis bringt die Lage Orban innenpolitisch aber nicht. Die Opposition ist zersplittert und zerstritten. Die Medien sind überwiegend unter Kontrolle der Regierung.
Sollte Orban auf den Druck aus Brüssel nicht reagieren, sieht der ungarische Politologe Botond Feledy aber immer noch Möglichkeiten, Orbans Blockade zu umgehen: "Falls nötig, kann die EU der Ukraine auch ohne Ungarn helfen. Offensichtlich ist das nicht das Ziel. Aber es scheint so, dass die Vorbereitung steht."
Die EU könne dem ungarischen Ministerpräsidenten sagen, wenn er unbedingt sein Veto nutzen wolle, gebe es eine andere Lösung, so der Politologe. Dann würden die Länder einzeln Hilfen beschließen. Dafür müssten aber die jeweiligen Parlamente zustimmen - was wieder Zeit kostet.
Ungarn macht EU Angebot
Orban signalisierte am Dienstag in einem Interview mit dem französischen Magazin Le Point Kompromissbereitschaft. Wenn die Ukraine-Milliarden nur für ein Jahr beschlossen würden, statt für die angedachten vier, wäre Ungarn bereit, das mitzutragen, sagte er.
Kritiker befürchten für diesen Fall allerdings den nächsten europäisch-ungarischen Clinch.