Nach Wahlerfolg der Tories Der Wahlsieger muss in die nächste Runde
Boris Johnson kann jubeln: Die Mehrheit im Parlament, den Brexit vor Augen. Doch neue Probleme warten schon: eine drängende EU und schottische Bestrebungen nach einem Abschied aus dem Königreich.
Nach einem rigoros geführten Wahlkampf und dem überraschend starken Wahlergebnis für seine Tories schlägt Großbritanniens Premier Boris Johnson etwas versöhnlichere Töne an. Es wäre an der Zeit den Brexit-Streit hinter sich zu lassen und die gesellschaftliche Spaltung zu überwinden, die das Ringen um den EU-Austritt mit sich gebracht habe.
Den Streit hinter sich zu lassen, das bedeutet für Johnson vor allem eins: der Brexit kommt - wie vereinbart - am 31. Januar 2020. Damit hatte er bei den Wählern geworben und dieses Versprechen erneuerte er, nachdem er von Queen Elizabeth II. den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten hatte.
Großbritannien will "Freund" der EU bleiben
Es dürfte dem Premier leicht fallen, dieses Versprechen zu halten, denn die Wahl brachte ihm und seiner Partei die absolute Mehrheit im Unterhaus: 365 Sitze haben die Tories nun - 39 Mandate mehr, als für die absolute Mehrheit nötig gewesen wären. Für die Tories ist es ihr stärkstes Ergebnis seit der Ära von Margaret Thatcher. Und damit ist der Weg für den EU-Austritt frei: Schon Ende der kommenden Woche soll das Unterhaus den von Johnson mit der EU nachverhandelten Brexit-Deal ratifizieren.
In Richtung EU beteuerte Johnson, dass er eine "neue Partnerschaft" aufbauen wolle und dass Großbritannien ein "Freund" der EU bleiben wolle. Denn noch ist völlig unklar, wie die künftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Nicht-Mitglied Großbritannien aussehen sollen. Dafür starten ab Februar neue Verhandlungen, die bis Ende 2020 abgeschlossen sein sollen.
Sorge vor einem neuen Konkurrenten
Ein enger Zeitrahmen, warnt die EU. "Herausfordernd", wie es EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen nannte. Auch Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel betonte, jetzt gebe es keine Entschuldigung mehr. Es sei Zeit, zu liefern. Vor allem ein Freihandelsabkommen soll schnell ausgearbeitet werden. Aber es werde keine Vereinbarung mit Großbritannien "zu jedem Preis" geben, sagte EU-Ratspräsident Charles Michel.
Der Zeitdruck ist nicht das einzige, was der EU Sorge bereitet. Denn der Partner Großbritannien könnte nach dem Abschied aus gemeinsamer Zollunion und Binnenmarkt schnell auch zu einem Konkurrenten werden. Durch den Brexit werde ein neuer Wettbewerber in der europäischen Nachbarschaft entstehen, erinnerte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron setzt darauf, dass Großbritannien ein "Freund und extrem enger Partner" bleibe, statt zu einem "unfairen Wettbewerber" zu werden.
Manch einer wittert mit dem nahenden EU-Ausstieg des Vereinigten Königreichs schon eigene Chancen. So verband US-Präsident Donald Trump seiner per Twitter übersandten Glückwünsche an Johnson auch mit dem Angebot, dass die USA und Großbritannien nach dem Brexit einen "gewaltigen neuen Handelsvertrag" schließen könnten, der "lukrativer" sei, als das Abkommen mit der EU.
Neues Referendum in Schottland?
In einem Teil des britischen Königreichs konnte Johnson mit seinem Pro-Brexit-Kurs aber nicht punkten: in Schottland. Hier räumte die Schottische Nationalpartei (SNP) 48 der 59 schottischen Parlamentssitze ab. Parteichefin Nicola Sturgeon stellt sich klar hinter den Verbleib in der EU und strebt nun eigene Konsequenzen aus dem Wahlergebnis an. Sie will bereits nächste Woche den rechtlichen Prozess für ein neues Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands auf den Weg bringen.
Sie werde Johnson dafür "nicht um Erlaubnis fragen", sagte Sturgeon. Die Schotten hätten das Recht, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Der britische Premier machte jedoch recht schnell klar, dass er solche Ambitionen nicht zulassen will. Ein Sprecher Johnsons betonte, es werde keine neue Volksabstimmung geben und verwies auf das Referendum, das 2014 in Schottland stattgefunden hatte. Damals hatten sich 55 Prozent der Schotten gegen die Abspaltung ausgesprochen. Beim Brexit-Referendum 2016 hatte allerdings mit 62 Prozent auch eine klare Mehrheit gegen den Brexit gestimmt. Das Votum von 2014 sei jedoch entscheidend und müsse akzeptiert werden, so Johnsons Sprecher weiter. Unklar ist, ob die britische Regierung ein Referendum in Schottland genehmigen müsste.
Auch in Nordirland konnten die Nationalisten Erfolge verbuchen: Erstmals seit der Abspaltung von Irland 1921 erhielten sie mehr Stimmen als die pro-britischen Unionisten. Die führende Nationalistenpartei Sinn Fein verteidigte ihre sieben Sitze, die pro-irische SDLP gewann zwei Mandate.
Corbyn kündigt Rücktritt an
Während sich zwischen Sturgeon und Johnson ein politisches Kräftemessen anbahnt, sucht die Labour-Partei noch den richtigen Umgang mit ihrem Wahldebakel. 203 Sitze kommen auf die Sozialdemokraten - ihr schlechtestes Ergebnis seit 1935. Vor allem Parteichef Jeremy Corbyn trifft nun die Kritik, auch aus den eigenen Reihen. Seine Führung sei schwach, seine unentschiedene Haltung zum Brexit habe Labour geschadet.
Corbyn selbst weist die Verantwortung von sich und geht in die Verteidigung: "Seit ich Parteichef geworden bin, hat sich die Mitgliederzahl verdoppelt", betonte er. Dennoch will er sich von der Parteispitze verabschieden. Allerdings erst "in den Anfangsmonaten" des kommenden Jahres, nachdem ein Nachfolger feststehe. Bei künftigen Wahlen werde er sich nicht mehr als Spitzenkandidat aufstellen lassen.
Einen Rücktritt gab es bereits am Tag nach der Wahl: Jo Swinson, Chefin der Liberal-Demokraten, gab ihren Posten auf. Prozentual hatte ihre Partei zwar mehr Stimmen gewinnen können, aufgrund des britischen Mehrheitswahlrechts letztendlich aber einen Sitz im Parlament eingebüßt. Swinson selbst verlor in ihrem eigenen Wahlkreis. Das Ergebnis der Wahl bezeichnete sie als "harten Schlag" für alle, die sich gegen einen Brexit ausgesprochen hätten: "Für Millionen von Menschen bedeutet dieses Ergebnis Furcht und Bestürzung."