Viktor Orban und Wladimir Putin
Analyse

Ungarn Warum Orban sich weiter Russland andient

Stand: 07.04.2022 17:58 Uhr

Orbans Wahlsieg bestätigt ihn mehr, als NATO und EU recht sein kann: Statt Sanktionen mitzutragen, tut Ungarns Premier demonstrativ, was "Herrn Präsidenten Putin" gefällt. Dabei hat er nur ein Ziel.

Eine Analyse von Wolfgang Vichtl, ARD Wien

Selten war Viktor Orban so wichtig wie gerade jetzt - so sieht das jedenfalls Orban selbst. Und er tut einiges dafür, dass diesen Eindruck auch möglichst viele andere haben, zumindest in Ungarn, wo sie ihn gerade zum wiederholten Mal wiedergewählt haben und er als Premierminister mit einer satten Zwei-Drittel-Mehrheit weiter durchregieren kann. Die ungarischen Wähler haben entschieden.

Die Wahl war demokratisch, am Wahltag zumindest, wie man von den Diplomaten der OSZE hört, die die Wahl beobachten ließen. Fair war sie allerdings nicht: Im Wahlkampf hatte die Opposition keine Chance gehört zu werden, auch das steht im OSZE-Bericht.

Also weiter viele gute Gründe für die Europäische Union, das Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn endlich anzuschieben. Lange haben sie gewartet in Brüssel, auch noch diese Parlamentswahl verstreichen lassen - und dann erst recht keinen guten Zeitpunkt erwischt: Selten fühlte sich Orban so stark wie jetzt. Stark genug, um die Sanktionen der EU gegen Russland nur halbherzig mitzutragen - bis zu dem Punkt, an dem es Ungarn nicht weh tut. Also kein Embargo für Öl- und Gaslieferungen, denn Ungarns Wirtschaft ist davon weitgehend abhängig.

Ungarn schert aus - und zahlt in Rubel

Natürlich verweist Orban dabei auch auf andere EU-Partner, die sich damit schwertun. Aber: Solidarität in einer Wertegemeinschaft sieht anders aus. Dafür müsste man allerdings die gleichen Werte vertreten. Aber Ungarn tut demonstrativ, was die anderen EU-Staaten lassen, um Russland nicht unnötig zu stärken und der Elite um Wladimir Putin möglichst wenig Chancen zu geben, Sanktionen zu unterlaufen: Ungarns Gas- und Öl-Rechnungen nicht in Euro, sondern in Rubel zahlen, wie Putin es verlangt.

Russland habe sich gegenüber Ungarn immer korrekt verhalten, sagt Orban. Was stimmen mag, aber zynisch klingt angesichts der Gräueltaten in Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine, die alle anderen EU-Partner dazu gebracht habe, die nächste Eskalationsstufe der Sanktionen zu gehen.

Vollmundige Verhandlungsangebote

Unter Orban lässt Ungarn auch keine Waffen liefern - weder direkt in die Ukraine noch über ungarisches Staatsgebiet. "Neutral bleiben", nennt er das - und sein Wahlsieg bestätigt ihn mehr, als der NATO und der EU recht sein kann. Aber über seine Auslegung der NATO-Bündnistreue will Orban nicht lange diskutieren, sondern lieber ein eigene Geschichte erzählen: Putin hat ihm als einer der ersten zum Wahlsieg gratuliert - und hatte dann auch Zeit für ein sehr langes Telefonat mit Orban, berichtet dieser mit müdem Blick.

Es gehe ihm wie schon im Wahlkampf um nichts weniger als um "Krieg oder Frieden"; deshalb habe er dem "Herrn Präsidenten Putin" - von dem er geduzt wird - dringend zu einer sofortigen Feuerpause geraten. Und ihn eingeladen nach Budapest, zu Gesprächen über einen Waffenstillstand, gemeinsam mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, aber auch mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz. Das alte Normandieformat, in dessen Zusammensetzung es vor acht Jahren schon mal um das Schicksal der Ukraine ging. Ungünstig nur, dass Orban das erstmal ausschließlich mit Putin besprochen hat.

Ziel: Privilegien für Ungarn sichern

"Zynisch" nannte das die ukrainische Regierung. Machtpolitik wie aus dem Lehrbuch. Orban versucht sein Fenster der Möglichkeiten zu nutzen: Gestärkt durch den Wahlsieg und eine schon wieder in der Bedeutungslosigkeit zersplitterte und zerstrittene ungarische Opposition ignoriert er weiter alles, wofür die EU steht: gemeinsame Werte wie demokratisch-rechtsstaatliches Regieren und die Hilfskoalition gegen Russlands Krieg gegen die Ukraine unterläuft er.

Orbans Vermittler-Rolle mit Hilfe seiner privilegierten Partnerschaft mit Russland ist eine Inszenierung, mit der er auch künftig EU-Gelder für Ungarn sichern will.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 06. April 2022 um 23:38 Uhr.