Nach Ende des Getreideabkommens China drängt Russland zu neuem Getreidedeal
Im UN-Sicherheitsrat haben mehrere Länder Russland zur Rückkehr zum Getreideabkommen gedrängt - darunter auch China. Die USA warnten vor einem möglichen Angriff auf zivile Schiffe im Schwarzen Meer.
Russland ist im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen von seinem Verbündeten China, den Entwicklungsländern sowie den westlichen Staaten unter Druck gesetzt worden, eine weltweite Nahrungsmittelkrise abzuwenden. Die ukrainischen Getreidelieferungen müssten rasch wieder möglich gemacht werden, hieß es. Chinas stellvertretender Ständiger Vertreter bei den Vereinten Nationen, Geng Shuang, forderte eine baldige Wiederaufnahme der Ausfuhren von Getreide und Düngemitteln aus Russland und der Ukraine.
Die Regierung in Peking hoffe, dass die Betroffenen mit den zuständigen UN-Gremien zusammenarbeiteten, um eine ausgewogene Lösung für die berechtigten Anliegen aller Parteien zu finden, sagte Geng nach einem Bericht des chinesischen Staatsfernsehens bei der Sitzung in New York. Dies sei notwendig, um die internationale Ernährungssicherheit zu gewährleisten. Geng verwies auf die Zusage des UN-Generalsekretärs António Guterres, alles zu tun, um sicherzustellen, dass sowohl ukrainisches Getreide als auch russische Lebensmittel und Düngemittel auf die Weltmärkte gelangen.
Russland hatte das internationale Getreideabkommen am Montag trotz vieler internationaler Appelle auslaufen lassen. Seither gibt es immer wieder russische Angriffe auf ukrainische Städte am Schwarzen Meer. Auch die Vereinten Nationen setzten sich mehrfach dafür ein, das Abkommen wieder in Kraft zu setzen. Befürchtet wird, dass Hungersnöte in ärmeren Ländern ansonsten noch größer werden.
Humanitäre Krise soll verhindert werden
Mehrere Entwicklungsländer warnten vor den Auswirkungen des Stopps der ukrainischen Getreidelieferungen, der bereits zu einem Anstieg der Weizenpreise geführt hat. Der gabunische UN-Botschafter Michel Biang sagte, das Getreideabkommen habe einen Anstieg der Getreidepreise verhindert und die Gefahr einer unsicheren Ernährungslage am von der Dürre betroffenen Horn von Afrika und in anderen Regionen gemildert. Er rief zu Gesprächen auf, um eine humanitäre Krise zu vermeiden.
Mosambiks UN-Botschafter Pedro Afonso sagte, Russlands Vorgehen werde "die globalen sozioökonomischen Spannungen in einer Welt, die bereits mit einem perfekten Sturm von Konflikten, Klimawandel" und einem Vertrauensverlust in multilaterale Lösungen zu kämpfen habe, mit Sicherheit verstärken.
USA warnen vor Angriff ziviler Schiffe
Russland wurde von den Vereinten Nationen und den Ratsmitgliedern auch dafür kritisiert, dass es nach dem Ausstieg aus dem vor einem Jahr geschlossenen Getreideabkommen ukrainische Häfen angegriffen und die Hafeninfrastruktur zerstört hat - ein Verstoß gegen das Völkerrecht, das Angriffe auf zivile Infrastruktur verbietet. Als Reaktion darauf, dass Russland weite Gebiete im Schwarzen Meer als gefährlich für die Schifffahrt erklärt hat, warnten die UN, dass ein militärischer Zwischenfall im Meer "katastrophale Folgen" haben könne.
Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Linda Thomas-Greenfield, teilte dem Rat mit, dass den USA Informationen vorlägen, wonach Russland zusätzliche Seeminen in den Zufahrten zu ukrainischen Häfen verlegt habe und dass das russische Militär möglicherweise zivile Schiffe im Schwarzen Meer angreifen "und der Ukraine die Schuld für diese Angriffe" geben werde.
Erdogan will Putin wieder überzeugen
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach am Freitagabend telefonisch mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan über eine mögliche Rückkehr zum Abkommen zur Verschiffung von Getreide über das Schwarze Meer. "Die Öffnung des Getreidekorridors hat absolute Priorität", teilte Selenskyj nach dem Telefonat mit. "Zusammen müssen wir eine globale Ernährungskrise verhindern."
Nach dem Auslaufen des Abkommens am Montag gibt es faktisch eine neue Seeblockade. Russland hat den Getreidefrachtern die Sicherheitsgarantien in den von ihm kontrollierten Regionen des Schwarzes Meeres entzogen. "Wegen Russlands Handlungen ist die Welt erneut am Rande einer Lebensmittelkrise", erklärte Selenskyj. "Insgesamt 400 Millionen Menschen in vielen Ländern Afrikas und Asiens sind einem Hungerrisiko ausgesetzt."
Erdogan äußerte sich zuversichtlich, Kreml-Chef Wladimir Putin von einer Wiederaufnahme des Getreideabkommens überzeugen zu können. Er denke, dass er "in detaillierten" Gesprächen mit Putin eine Fortführung des Getreideexports erreichen könne, sagte Erdogan der Nachrichtenagentur Anadolu zufolge.
Russland sieht UN am Zuge
Der russische Vizeaußenminister Sergej Werschinin sieht die Vereinten Nationen für ein mögliches neues Getreideabkommen am Zuge. "Der Ball liegt - wie jetzt manchmal gesagt wird - auf der Seite unserer Partner, mit denen wir gearbeitet haben. Wir warten jetzt auf eine Reaktion von ihnen", sagte Werschinin.
Der Vizeminister betonte, dass im Zuge des Getreideabkommens auch ein Memorandum mit einer Gültigkeit von drei Jahren unterzeichnet worden sei, das Russlands Bedingungen für den Deal beinhalte. Russland verlangt vom Westen etwa eine Lockerung von Sanktionen, um eigenes Getreide und Dünger leichter auf dem Weltmarkt zu verkaufen.