Nach Ende des Getreideabkommens Selenskyj will Ernährungskrise verhindern
Der ukrainische Präsident Selenskyj hat mit seinem türkischem Amtskollegen Erdogan telefoniert, um die Bemühungen für eine Wiederaufnahme des Getreideabkommens zu koordinieren. Erdogan äußerte sich zuversichtlich, eine Lösung zu erreichen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan über eine mögliche Rückkehr zum Abkommen zur Verschiffung von Getreide über das Schwarze Meer gesprochen.
"Die Öffnung des Getreidekorridors hat absolute Priorität", teilte Selenskyj nach einem Telefonat mit Erdogan am Freitagabend mit. "Zusammen müssen wir eine globale Ernährungskrise verhindern."
Erdogan zeigt sich zuversichtlich
Nach der Aufkündigung des Abkommens durch Russland am Montag gibt es eine neue Seeblockade. Moskau hat den Getreidefrachtern die Sicherheitsgarantien in dem von ihm kontrollierten Regionen des Schwarzes Meeres entzogen. "Wegen Russlands Handlungen ist die Welt erneut am Rande einer Lebensmittelkrise", erklärte Selenskyj. "Insgesamt 400 Millionen Menschen in vielen Ländern Afrikas und Asiens sind einem Hungerrisiko ausgesetzt."
Erdogan äußerte sich zuversichtlich, Kreml-Chef Wladimir Putin von einer Wiederaufnahme des Getreideabkommens überzeugen zu können. Er denke, dass er "in detaillierten" Gesprächen mit Putin eine Fortführung des Getreideexports erreichen könne, sagte Erdogan der Nachrichtenagentur Anadolu zufolge.
Durch das vor einem Jahr mit den Kriegsparteien Russland und der Ukraine unter Vermittlung der Türkei und der Vereinten Nationen geschlossene Abkommen konnte Kiew weiter sein Getreide über das Schwarze Meer verschiffen lassen.
Russland sieht UN am Zuge
Der russische Vizeaußenminister Sergej Werschinin sieht die Vereinten Nationen für ein mögliches neues Getreideabkommen am Zuge. "Der Ball liegt - wie jetzt manchmal gesagt wird - auf der Seite unserer Partner, mit denen wir gearbeitet haben. Wir warten jetzt auf eine Reaktion von ihnen", sagte Werschinin.
Der Vizeminister betonte, dass im Zuge des Getreideabkommens auch ein Memorandum mit einer Gültigkeit von drei Jahren unterzeichnet worden sei, das Russlands Bedingungen für den Deal beinhalte. Russland verlangt vom Westen etwa eine Lockerung von Sanktionen, um eigenes Getreide und Dünger leichter auf dem Weltmarkt zu verkaufen.
Übung mit scharfer Munition
Moskau beklagt, dass im Zuge der EU-Sanktionen etwa der Ausschluss russischer Banken vom Finanzverkehrssystem Swift Geschäfte behindere. Auch Versicherungen könnten nicht abgeschlossen werden für die Frachter. Zwar betont die EU, dass russisches Getreide und Dünger von den Sanktionen ausgenommen und auch viele Banken weiter an Swift angeschlossen seien.
Allerdings entgegnete Werschinin, dass der "Geist der Sanktionen" ausstrahle und viele Partner auch legale Geschäfte mit Russland scheuten. Deshalb will Russland grundsätzlich Lockerungen erreichen. Zugleich machte er deutlich, dass Russland Wege finden werde, sein in Entwicklungsländern gefragtes Getreide und den Dünger auf den Weltmarkt zu bringen.
Am Freitag teilte das Ministerium mit, Kriegsschiffe und Flugzeuge hätten im Schwarzen Meer eine Übung mit scharfer Munition durchgezogen, um die "Isolierung eines zeitweise für die Schifffahrt gesperrten Gebietes" zu trainieren. Dabei habe Moskaus Flotte auch für die Zerstörung von Schiffen geeignete Marschflugkörper eingesetzt. Das galt als Drohgebärde an die Ukraine, keine Schiffe mehr fahren zu lassen.
Selenskyj will Russland "bestrafen"
Seit dem Auslaufen des Abkommens hat Russland nach ukrainischen Angaben wiederholt den ukrainischen Schwarzmeerhafen Odessa angegriffen und dort Getreidelager unter dem Vorwand zerstört, dort gebe es militärische Ziele. In seiner am Abend verbreiteten Videobotschaft warf Selenskyj Russland Terror gegen die Menschen in Odessa vor. Er kündigte an, Russland dafür zu bestrafen.
"Darüber hinaus wird es eine noch stärkere Konsolidierung der Welt für die Verteidigung und für gemeinsames Handeln geben, noch mehr Energie für den Sieg, noch mehr Verlangen nach Gerechtigkeit, einer gerechten Bestrafung Russlands für alle Kriegsverbrechen", sagte er. Die Ukraine wisse, wie sie sich verteidige und produziere neben den Waffenlieferungen des Westens immer mehr eigene Drohnen und Munition.
Das Land setzt bei seiner Gegenoffensive zur Rückeroberung russisch besetzter Gebiete nach US-Angaben inzwischen die von den USA gelieferte umstrittene Streumunition ein. Die Streitkräfte der Ukraine verwendeten die Munition "seit etwa einer Woche" und setzten sie "angemessen und effektiv" ein, sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby.
Russische Angriffe auch im Osten der Ukraine
Selenskyj informierte in dem Video auch darüber, dass in dem Dorf Druschba im Gebiet Donezk im Osten der Ukraine bei russischem Artilleriebeschuss zwei Kinder getötet worden seien. Medien zufolge handelte es sich um Geschwister.
Nach Darstellung Selenskyjs starben außerdem durch Raketenbeschuss in Hontschariwske im Gebiet Tschernihiw zwei Frauen. Es seien ein Kulturzentrum, eine Schule und Wohnhäuser beschädigt worden. Selenskyj sprach den Angehörigen der Opfer sein Beileid aus.