Slowakische Regierung Fico macht ernst
100 Tage im Amt - und in der Slowakei regt sich Widerstand. Denn Ministerpräsident Fico will den Rechtsstaat umbauen und auch in der Außenpolitik polarisiert er. In der EU ist man alarmiert.
Er ist erst seit Ende Oktober wieder Regierungschef und doch hat Robert Fico den Kurs der Slowakei wohl bereits stärker verändert als in seinen früheren drei Amtszeiten. Das gilt im Inneren bei der Besetzung von Spitzenposten in Polizei und Justiz, beim Umgang mit kritischen Medien oder Nichtregierungsorganisationen oder bei seinen Plänen für eine Reform des Strafrechts.
Das trifft aber genauso auf die Außenpolitik des EU- und NATO-Landes zu - wobei Ficos Worte nicht immer seine Taten spiegeln. Die Einheit des Westens gefährden sie auf jeden Fall.
Russland-freundliche Provokationen
Kurz vor seinem Antrittsbesuch in der benachbarten Ukraine im Januar provozierte der Linksnationalist nicht zum ersten Mal mit Russland-freundlicher Rhetorik: Die Ukraine sei nicht souverän, sondern vollständig von den USA kontrolliert. Einen NATO-Beitritt des Landes werde die Slowakei blockieren, denn ein Beitritt wäre "Grundlage für einen Dritten Weltkrieg".
Nach Kiew wollte der 59-Jährige nicht reisen. Angst vor einer Reise nach Kiew habe er aber nicht, denn dort herrsche kein Krieg, sondern ganz normaler Alltag. Dennoch traf sich der slowakische Premier mit dem ukrainischen Regierungschef Denys Schmyhal lieber in Uschhorod - gleich hinter der gemeinsamen Grenze.
Bei dem Treffen fielen Ficos offizielle Statements anders aus. Es gebe Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Ländern, die Slowakei werden jedoch weiter humanitäre Hilfe leisten und private Rüstungsgeschäfte nicht behindern. Die sind laut Experten längst deutlich wichtiger als die staatlichen Lieferungen, denn die Lager der slowakischen Armee sind fast leer.
Die proeuropäischen Vorgänger hatten der Ukraine von Beginn des russischen Angriffskriegs an großzügig Waffen zur Verfügung gestellt. Das EU-Hilfsprogramm in Höhe von 50 Milliarden Euro für die Ukraine will Fico unterstützen, genau wie EU-Beitrittsverhandlungen. Ähnlich äußerte sich der slowakische Premier in Berlin bei einem Termin bei Bundeskanzler Olaf Scholz.
An Orbans Seite
Bei einem anderen Treffen schlug Fico dagegen ganz andere Töne an. Bei seiner ersten Begegnung mit Ungarns Ministerpräsidenten Victor Orban kritisierte er die europäische Ukraine-Politik und beschrieb seine Haltung dazu mit den Worten, man sei "zur Zusammenarbeit verdammt", aber auch "zum Erfolg".
In ihrer Kritik waren sich der Linksnationalist Fico und der Rechtsnationalist Orban auch bei anderen Themen einig - zum Beispiel am EU-Migrationspakt. Zudem versicherte Fico Orban seine Unterstützung gegenüber Brüssel in Sachen Rechtstaatlichkeit.
Ungarn hat in dieser Hinsicht nach der Abwahl der PiS-Regierung in Polen in der Slowakei einen neuen Verbündeten gefunden. Eine solche Rückversicherung kann Fico wiederum gut von Orban gebrauchen: Auch der Slowake plant einen Umbau des Rechtsstaats und steht vor einer ähnlichen Auseinandersetzung mit der EU wie Ungarn.
Strafrechtsreform im Schnellverfahren
Schon vor der Parlamentswahl im Herbst hatte Fico klargemacht: Sollte er zum vierten Mal eine Regierung bilden können, werde er als erstes das Strafrecht ändern und die Sonderstaatsanwaltschaft abschaffen; die Institution also, die sich mit hochrangigen Korruptionsdelikten befasst - auch in Ficos Umfeld.
2018 musste der Jurist nach Massenprotesten gegen ihn zurücktreten. Nach dem Auftragsmord an dem Journalisten Jan Kuciak und dessen Verlobter galt er als Gesicht der korrumpierten Slowakei, über die der junge Investigativ-Reporter geschrieben hatte. Auch diesen Mord untersuchte die Sonderstaatsanwaltschaft.
Umstrittene Behörde, umstrittener Umbau
Aus Sicht von Fico ist sie jedoch politisiert und nicht reformierbar, seit die Vorgängerregierung 2020 einen erklärten Fico-Gegner an ihre Spitze gestellt hat.
Einige Juristen unterstützen Ficos Reform im Prinzip, jedoch nicht in den Feinheiten - etwa Ex-Justizminister Viliam Karas. Eduard Burda von der Comenius-Universität in Bratislava meint, dass die konservative Vorgängerregierung, deren chaotisches Agieren viele für den Wiederaufstieg von Fico verantwortlich machen, in der Tat politisch motivierte und überzogene Verfahren gegen Fico-Leute angestrengt habe.
Anpassungen im Strafrecht, vor allem das Absenken von zum Teil drakonischen Strafen, fordern Experten seit langem - allerdings nicht auf die Schnelle und zugunsten des Fico-Lagers, insbesondere wie nun hauptsächlich geplant bei Korruptionsdelikten.
Dauerproteste gegen "Pro-Mafia-Paket"
Der nun abgesetzte Sonderstaatsanwalt Daniel Lipsic verweist auf seine Erfolge: Bis 2020 seien einflussreiche Personen nicht verfolgt worden. "Danach wurden Strafverfahren bis in die höchsten Etagen der Politik, der Justiz und der Wirtschaft eingeleitet." Einige dieser Verfahren dürften nun eingestellt werden, wenn Verjährungsfristen verkürzt werden, etwa gegen den früheren Polizeipräsidenten Tibor Gaspar.
Auch Gaspar musste nach dem Journalisten-Mord vor sechs Jahren zurücktreten. Nun sitzt er für Ficos Smer-Partei im Parlament; ausgerechnet er gestaltet nun die Strafrechtsreform mit. Diese bezeichnet die proeuropäische Opposition als "Pro-Mafia-Paket" und als "Generalamnestie" für Fico-Vertraute.
Michal Simecka von der "Progressiven Slowakei" spricht von einem "Frontal-Angriff auf den Rechtsstaat". Seit Dezember organisiert das liberale Lager Proteste in allen großen Städten der Slowakei und mobilisiert Woche für Woche zehntausende Menschen im ganzen Land.
Warnungen aus Brüssel
Auch die Europäische Kommission warnte Fico vor unüberlegten Eingriffen in den Rechtsstaat. Von Verfahren und Sanktionen ähnlich wie gegen Ungarn ist laut EU-Justizkommissar Didier Reynders die Rede.
Das Europaparlament verurteilte die slowakischen Reformvorschläge mit großer Mehrheit. Die Europäische Staatsanwaltschaft bemängelte, dass die Slowakei nicht mehr in der Lage wäre, die Veruntreuung von EU-Geldern wirksam zu bekämpfen.
Seinen Kritikern in Brüssel und Bratislava kommt der slowakische Premier nun nach eigenen Worten mit einem Kompromiss entgegen: Einige Strafsätze werden beispielsweise wieder angehoben. Die Reform soll außerdem erst Mitte März in Kraft treten. Ursprünglich war das für den Januar geplant. Für die Opposition allerdings bleiben das rein "kosmetische" Änderungen.
Fällt auch das Präsidentenamt an Ficos Lager?
Die slowakische Präsidentin Zuzana Caputova hat ihr Veto angekündigt. Die frühere Bürgerrechtsanwältin kann die Strafrechtsreform allerdings nur verzögern und nach Vollzug vor das Verfassungsgericht bringen.
Im Parlament verfügt die Dreier-Koalition über eine knappe Mehrheit - anders als Orban jedoch nicht über eine ausreichend große, um auch die Verfassung zu ändern.
Die Opposition fürchtet dennoch, dass Fico bald leichter durchregieren könnte: Ende März stehen Präsidentschaftswahlen an und Caputova tritt nicht wieder an. Ficos Wunschkandidat, Parlamentspräsident Peter Pellegrini, gilt als Favorit.