Demontage des Rechtsstaats? Slowakisches Parlament stimmt für Justizreform
In der Slowakei ist Premier Fico am Ziel mit einem seiner wichtigsten Vorhaben: Das Parlament hat seiner umstrittenen Justizreform zugestimmt. Diese sieht die Abschaffung der Sonderstaatsanwaltschaft vor.
Robert Fico hatte es eilig mit seinem Schlüsselprojekt: Die Justizreform sollte eigentlich schon im Januar in Kraft treten - im Schnellverfahren. Doch die Opposition hat den wiedergewählten slowakischen Regierungschef abgebremst. Inzwischen hat Fico das Gesetz durchgebracht, nach wochenlangen Debatten und tagelangen Verzögerungen.
Die Opposition boykottierte die Abstimmung. Parlamentspräsident Peter Pellegrini: "Anwesend sind 78 Abgeordnete. Dafür sind 78 Abgeordnete - ich stelle fest, wir haben die Regierungsvorlage der Strafgesetznovelle angenommen."
Strafmaß für Korruption soll sinken
Die slowakische Regierung will die Sonderstaatsanwaltschaft auflösen. Seit 20 Jahren ermittelt diese Behörde bei schwerer Korruption und organisierter Kriminalität. Außerdem soll das Strafmaß für diese und ähnliche Delikte sinken und Verjährungsfristen verkürzt werden.
Tibor Gaspar von der linksnationalen Fico-Partei Smer erklärt: "Es ist höchste Zeit, dass wir das Strafrecht novellieren, denn unsere Vorgänger-Regierungen haben den Rechtsstaat zerrüttet und gegen dessen Prinzipien verstoßen. Das hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt."
Rücktritt nach Auftragsmord
In der dritten Fico-Regierung war er Polizeipräsident. Vor sechs Jahren musste er nach dem Auftragsmord an dem Journalisten Jan Kuciak und dessen Verlobter zurücktreten. Genau wie Fico. Beide waren zu Gesichtern einer korrumpierten Slowakei geworden, über die der junge Investigativ-Reporter recherchiert hatte.
Als das gegnerische konservative Lager an die Macht kam, wurde der aktuelle Sonderstaatsanwalt Daniel Lipsic ernannt. Er leitete zahlreiche Verfahren gegen hochrangige Persönlichkeiten ein, schoss laut Menschenrechtsexperten aber mitunter über das Ziel hinaus. Gaspar saß ein Jahr lang in Untersuchungshaft – ohne Anklage. Nun verantwortet er die Justizreform. Für die Opposition ein Affront.
Schwere Vorwürfe der Ex-Justizministerin
Seit Dezember organisieren drei proeuropäische Oppositionsparteien Proteste gegen Ficos Vorhaben. Ex-Justizministerin Maria Kolikova wirft der Fico-Regierung vor, den Rechtsstaat zu opfern, um laufende Verfahren in deren Umfeld einstellen zu können - zum Beispiel gegen den früheren Polizeipräsidenten Gaspar, gegen den slowakischen Notenbankchef Kazimir oder gegen den Fico-nahen Oligarchen Výboh.
"Wir wissen, warum sich Fico und seine Leute mit der Sonderstaatsanwaltschaft beschäftigen: Denn diese könnte politische Spitzenleute vor Gericht stellen! Deshalb sind sie mit diesem tödlichen Cocktail für die Gerechtigkeit gekommen, weil es die einzige Rettung für sie ist", so Kolikova.
EU-Parlament verurteilt Justizreform
Das Europaparlament verurteilte die slowakische Justizreform in einer Resolution. Auch die Europäische Staatsanwaltschaft warnte vor niedrigeren Strafen bei Korruption. Die Behörde verfolgt Straftaten gegen den EU-Haushalt.
"Wir kommunizieren jede Woche mit der EU-Kommission", beschwichtigt Justizminister Boris Susko, "wir haben alle Anmerkungen und Vorbehalte aus Brüssel in Form von Änderungsvorschlägen eingebracht."
Präsidentin will Veto einlegen
Für die Opposition bleiben das kosmetische Anpassungen. Präsidentin Zuzana Caputova will ihr Veto einlegen und vor das Verfassungsgericht ziehen. Das Veto kann die Fico-Koalition leicht überstimmen. Für weitreichendere Verfassungsänderungen hat sie jedoch nicht die nötige Mehrheit - anders als Viktor Orban in Ungarn oder früher die PiS in Polen.
Wie stark die Zivilgesellschaft in der Slowakei ist, das zeigen die anhaltenden Proteste, meint der Soziologe Michal Vasecka. "Es wäre naiv zu erwarten, dass Fico aufgrund von irgendwelchen Demonstrationen zurücktritt oder seine Vorhaben aufgibt. Aber das Signal dieser Proteste ans Ausland muss ihm unangenehm sein. Denn es zeigt, dass ein Teil der Bevölkerung nicht aufgibt und eine völlig andere Vorstellung vom Funktionieren des Rechtsstaats in der Slowakei hat als er."
Proteste werden bis zur Wahl fortgesetzt
Die Justizreform soll Mitte März in Kraft treten. Kurz danach stehen Präsidentschaftswahlen an. Bis dahin will die Opposition weiter protestieren. Sie hofft, dass sie den Favoriten Pellegrini aus Ficos Koalition verhindern kann.