Sanktionen und die Schweiz "Neutralität - um Geschäfte zu machen"
Vor einem Jahr beschloss die Schweiz, die EU-Sanktionen gegen Russland zu übernehmen. Seither wurden 7,5 Milliarden Schweizer Franken blockiert. Doch die Umsetzung der Sanktionen laufe viel zu passiv, sagen Kritiker.
Die Schweiz galt lange als Oligarchenparadies, mit verschwiegenen Banken als sicherem Hort für das Geld schwerreicher Russen mit guten Verbindungen zum Kreml. Nach Schätzungen der Bankiervereinigung in Basel lagerten bei Kriegsbeginn bis zu 200 Milliarden Schweizer Franken russischer Kundinnen und Kunden in der Schweiz.
Am 28. Februar 2022, vier Tage nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine, beschloss die Schweizer Regierung, die EU-Sanktionen gegen Russland zu übernehmen. Seither wurden 7,5 Milliarden Franken blockiert - Vermögen von Leuten, die auf den Sanktionslisten stehen.
Gut möglich, dass es mehr Gelder einzufrieren gibt
Erwin Bollinger ist als leitender Beamter beim Staatssekretariat für Wirtschaft zuständig für die Umsetzung der Sanktionen gegen Russland. "Eine ziemlich beträchtliche Menge von Geldern sind eingefroren in der Schweiz. Ich habe keine Ahnung, ob es hätte mehr oder weniger sein sollen."
Es seien die Gelder, die der Behörde von den Banken gemeldet worden seien. Es ist gut möglich, dass es noch mehr Oligarchenvermögen einzufrieren gäbe, man müsste danach allerdings suchen.
"In der Schweiz wird zu wenig getan"
Und diese Mühe machten sich die Schweizer Behörden auch ein Jahr nach Kriegsbeginn weiterhin nicht, kritisiert Robert Bachmann von der NGO Public Eye: "Da geht es ja nicht nur um Gelder auf Banken, es geht um Immobilien, es geht um Unternehmensbeteiligungen."
Und es gehe auch um die Rolle, die Schweizer Beratungsunternehmen mit dem Bau von Offshore-Konstrukten aus Briefkastenfirmen spielen, um mit diesen die Umgehung von Sanktionen zu erzielen.
Die NGO Public Eye nennt die raffinierten Offshore-Geschäfte gewisser Finanzberatungsunternehmen das "Geschäftsmodell Schweiz", auch wenn solche Verschleierungsstrategien anderswo ebenso praktiziert werden. Doch in der Schweiz, so die Kritik, wird zu wenig getan, um die Schleier zu lüften.
Großer Widerstand der Konservativen
Und genau das wäre für die Umsetzung der Russland-Sanktionen wichtig, sagt der Jurist und Korruptionsexperte Marc Pieth: "Das Einfachste zur effizienteren Umsetzung der Sanktionen wäre eine Taskforce, die aktiv sucht, statt dass man immer nur passiv wartet, dass irgendwer meldet."
Im Schweizer Parlament läuft gerade der Versuch, eine solche Taskforce durchzusetzen. Das Ergebnis ist offen, denn der Widerstand der konservativen Parteien ist groß.
"Schwer nachzuvollziehen"
Nataliya Tchermalykh ist Ukrainerin und hat eine Solidaritätsdemo für die Ukraine in Genf mitorganisiert. Sie meint, die Schweiz müsse "sehr viel drastischere Maßnahmen ergreifen, um das russische Kapital im Land zu kontrollieren und sehr viel strenger nachforschen, woher dieses Geld kommt".
Ihr falle es schwer, die Diskussion um eine aktivere Sanktionspolitik nachzuvollziehen, sagt sie. Das sei vielleicht eine spezielle politische Kultur, eine Kultur der Neutralität. Noch härter sagt es der Schweizer Strafrechtler Marc Pieth: "Sehr schweizerische Einstellung: Neutralität - um mit allen Geschäfte zu machen."