Krieg gegen die Ukraine Rätsel um nordkoreanische Soldaten in Russland
Die USA und Südkorea gehen davon aus, dass Tausende Soldaten aus Nordkorea in Russland für einen Einsatz in der Ukraine trainieren. Ukrainische Experten halten diese Größenordnung für unwahrscheinlich - und vermuten eine andere Art von Mission.
Charkiw liegt rund 30 Kilometer von der Grenze zu Russland entfernt und wird praktisch Tag und Nacht beschossen. Auch Anfang Januar schlagen dort Raketen ein. Staatsanwalt Dmytro Tschubenko begutachtet die Trümmer und äußert einen Verdacht: Ein mit Russland befreundetes Land - möglicherweise Nordkorea - könnte diese Rakete nach ihren Zeichnungen und ihrer Technologie an die Russen übergeben oder hergestellt haben - und zwar auf der Grundlage des Prototyps einer Iskander-Rakete.
Nach Angaben westlicher Geheimdienste lieferte Pjöngjang bisher bereits drei Millionen Stück Munition an Russland, außerdem ballistische Kurzstreckenraketen vom Typ KN 25 und KN 23. Letztere habe eine Reichweite von knapp 700 Kilometern und ähnele den russischen Iskander-M, heißt es.
Das Kiewer Insitut für Forensik untersucht Raketenreste und konnte nordkoreanische Waffen schon häufig nachweisen, wie eine Sprecherin diese Woche auf Anfrage des ARD-Studios Kiew sagte.
Selenskyj: Druck auf russisches Regime reicht nicht aus
Nordkorea unterstütze Russlands Krieg gegen die Ukraine auch mit Soldaten, erklärte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer kurzen Videorede am Dienstagabend.
Armeechef Oleksandr Syrskyj habe ihm berichtet, es gäbe Informationen über die Ausbildung zweier Militäreinheiten aus Nordkorea. "Das könnten zwei Brigaden mit je 6.000 Mann sein. Es ist wichtig, dass sich unsere Partner vor dieser Herausforderung nicht verstecken", erklärte Selenskyj. "Wenn Nordkorea in einen Krieg in Europa eingreifen kann, dann reicht der Druck auf das russische Regime definitiv nicht aus."
USA wollen gesicherte Erkenntnisse haben
Moskau und Pjöngjang bestreiten, dass nordkoreanische Soldaten gegen die Ukraine eingesetzt würden. Die amerikanische Regierung hingegen habe gesicherte Erkenntnisse, dass diese in Russland seien, erklärte Verteidigungsminister Lloyd Austin am Mittwoch. Was sie dort täten, bliebe abzuwarten.
Der südkoreanische Geheimdienst veröffentlichte Satellitenfotos, die nordkoreanische Militärangehörige in russischer Uniform auf dem Trainingsgelände Primorski Krai nahe Wladiwostok im Osten Russlands zeigen sollen. Auf Telegram kursieren reihenweise entsprechende Videos.
Nach Angaben des Geheimdienstes in Seoul sollen bereits Tausende nordkoreanische Militärs in Russland ausgebildet werden. Bis Jahresende könnten es 12.000 werden. Sie würden unter anderem an Drohnen trainiert. Entsendet worden seien auch nordkoreanische Kampfpiloten, schreibt das US-Magazin Newsweek mit Bezug auf eine Quelle in der südkoreanischen Regierung.
Experte: Massentransfer von Soldaten unwahrscheinlich
Bei den nordkoreanischen Militärangehörigen könne es sich um Spezialisten und Berater handeln, die den Abschuss ballistischer Raketen und den Einsatz von Munition kontrollieren könnten, so die Einschätzung des Kiewer Asien-Experten Jevhen Dobrjak. Russland sei es ernst mit der nordkoreanischen Unterstützung, sagt er und verweist auf den Vertrag über eine engere Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit, den Russland und Nordkorea kürzlich geschlossen haben und den die Duma noch ratifizieren muss.
Die Diktatur Nordkorea sei allerdings ein vollkommen geschlossenes Land, und dass Tausende nordkoreanische Soldaten unbemerkt nach Russland gebracht werden, hält Dobrjak für unwahrscheinlich. Nach Angaben westlicher Geheimdienste sei bisher kein Massentransfer von Personal der nordkoreanischen Armee auf das Territorium der Russischen Föderation beobachtet worden. Das wäre vom Satelliten aus sichtbar. Denn die Eisenbahn sei die einzige logistische Route, die Nordkorea mit Russland verbinde.
Logistisch und sprachlich schwierig
Von westlichen und südkoreanischen Geheimdiensten unabhängige exakte Daten über nordkoreanisches Militär gebe es nicht - etwa über das Waffenarsenal und die Stärke der Armee, sagt Dobrjak. Ein Einsatz an der Seite Russlands gegen die Ukraine sei für Nordkorea logistisch und sprachlich schwierig. Allerdings: Nordkoreas Diktatur stehe unter strengen Sanktionen und verspreche sich aus Moskau Geld, Nahrungsmittel, Treibstoff sowie weitere Öl-Produkte. Pjöngjang setze auch auf russische Militärtechnik und Raketen-Know-How.
"Nordkorea will seine High-Tech-Waffen, also Raketen, verbessern. Sie wollen bessere Triebwerke für Interkontinentalraketen und die russischen Raumfahrtprogramme nutzen, um diese Raketen genauer steuern zu können", erklärt Dobrjak. Russland könne Nordkorea auch beim Aufbau einer U-Boot-Flotte helfen. Nordkoreas Armee habe zudem seit rund 50 Jahren nicht mehr aktiv gekämpft, ergänzt der Asien-Experte.
Beobachtung im Donbass und Kursk?
Im Angriffskrieg gegen die Ukraine wolle das Land seine Armee deshalb mit moderner Kampfführung vertraut machen, auch um Südkorea einzuschüchtern, konstatiert der Chef des regierungsunabhängigen Zentrums für Verteidigung und Kooperation, Serhij Kuzan, im ukrainischen Fernsehsender Prjamoi.
"Sie werden wahrscheinlich in den Gebieten Kursk und im Donbass auftauchen", vermutet Kuzan. In den Regionen, wo russische Angriffe stattfinden und eingesetzt wird, was für diese Nordkoreaner interessant sein dürfte. Die Nordkoreaner wollen den Krieg in der Kursk-Region sehen und den Stellungskrieg im Donbass."
"Antidemokratische Allianz gegen die demokratische Welt"
All das sei nicht nur für die Ukraine gefährlich sondern für den gesamten nordasiatischen Raum, analysiert Dobrjkak. Dies geschehe unter der Regie Chinas, von dem Nordkorea, aber auch der Iran und Russland wirtschaftlich abhängig seien - eine antidemokratische gefährliche Allianz gegen die demokratische Welt. "Deshalb muss uns der Westen in dieser ernsten Konfrontation mit der Russischen Föderation helfen."
Erste nordkoreanische Militärangehörige sollen angeblich desertiert sein. Wir kommentieren das nicht, hieß es auf ARD-Anfrage beim Koordinierungsstab in Kiew, der für Kriegsgefangene zuständig ist. Staatsanwalt Tschubenko ließ unterdessen auf Anfrage wissen: Die Rakete auf Charkiw Anfang Januar sei eindeutig aus nordkoreanischer Produktion gewesen.