Wahlkampf in Frankreich Wehrhaft bleiben in Canjuers
Die Armee ist das Rückgrat der französischen Außenpolitik, Präsident Macron setzt sich im Wahlkampf für Europas Sicherheits-Autarkie ein. Auf Westeuropas größtem Truppenübungsplatz trainieren Soldaten für den Ernstfall.
Morgens um kurz nach sieben Uhr ist das Gefecht schon voll im Gang - auf dem größten Truppenübungsplatz Westeuropas in Canjuers im südfranzösischen Departement Var. Auf 900 Metern Höhe ist es allerdings empfindlich kalt an diesem Morgen. Im Feld befinden sich 250 Soldaten und Soldatinnen und rund 50 gepanzerte Fahrzeuge zu einem Manöver der französischen Streitkräfte.
Die Armee ist in Frankreich nicht erst durch den Ukraine-Krieg in den Fokus der Politik und der Öffentlichkeit geraten. Sie ist hier weitgehend unumstritten, ein respektierter Bestandteil der Gesellschaft. Bewaffnete Soldatinnen und Soldaten gehören in den Innenstädten seit den Terroranschlägen des Jahres 2015 zum gewohnten Bild.
Trainieren in hoher Intensität
Auf dem Kommandoturm laufen alle Fäden zusammen: Informationen über Stellungen und Bewegungen der verschiedenen Einheiten - Infanterie, Artillerie, Pioniere. Ein halbes Dutzend Männer in Olivgrün verfolgen das Geschehen auf dem Feld über Funk und Fernsichtgeräte, etliche Kilometer weit entfernt. Zu erfahren sind nur ihre Vornamen und ihr Dienstgrad - aus Sicherheitsgründen, wie es heißt.
Auf einer großen Schautafel sind die Gefechtspositionen dargestellt. Lieutenant-Colonel Bertrand erklärt den Verlauf: "Wir trainieren hier ein Kampfgeschehen von hoher Intensität, wie etwa in Mali oder der Sahelzone. Hier in dieser Übung haben wir es mit einem fiktiven Gegner zu tun. Wir nennen ihn Merkur."
Frankreich wählt am 10. und am 24. April einen neuen Präsidenten. Vor der Wahl ist Korrespondentin Sabine Rau für die tagesthemen im Land unterwegs und berichtet über Themen, die die Menschen im Land bewegen. Eine weitere Reportage zu Frankreichs Energiepolitik finden Sie hier.
Dann zeigt er auf die überdimensionale Schautafel. 120 Quadratkilometer Kampfzone: "Der Feind verfügt über Panzer, Artillerie, Flugzeuge. Die Aufgabe ist, die feindlichen Stellungen in den Bergen zu erobern und ihre Aufklärung zu zerstören."
Im gepanzerten Geländewagen geht es dann über unbefestigte Pisten, mitten ins im Gefecht. Selten dürfen Journalisten so nah heran wie hier: schwere Schützenpanzer, die Kanonen auf den gegenüberliegenden Hang gerichtet, Soldaten mit Maschinengewehren hinter aufgeschütteten Schutzwällen. "Das hier ist die Sektion der Infanterie", erklärt Lieutenant-Colonel Bertrand. "Die sind zu Fuß hierher verlegt worden, um in die Gefechtsstellungen da oben vorzudringen."
Der Eingang ist unscheinbar, doch dahinter erstreckt sich der größte Truppenübungsplatz in Westeuropa.
Tage ohne Schlaf
Es wird scharf geschossen. Munitionshülsen fliegen durch die Luft. Der Moment, Ohrenschützer anzulegen. Jeder Schuss aus einer der Panzerkanonen geht durch Mark und Bein.
Die Männer und Frauen sind bereits seit Stunden im Einsatz. Drei Tage dauert das Manöver - ohne Unterbrechung. Das heißt für sie: ohne Schlaf. Ausdauer, Anstrengung, Anspannung - ein hartes Programm.
Übungen für den Ernstfall: Die Manöver in Canjuers haben durch den Ukraine-Krieg eine unerwartete Dimension gewonnen.
Verstärkung der NATO-Ostgrenze
Die französische Armee ist eine Interventionsarmee, trainiert für Kampf- und Antiterroreinsätze weltweit. Zuletzt wurden hier 500 Gebirgsjäger vorbereitet auf ihren Einsatz im östlichen NATO-Mitgliedsstaat Rumänien. Sie wurden vier Tage nach dem Überfall Putins auf die Ukraine in die Hafenstadt Constantia am Schwarzen Meer verlegt, auf Befehl des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Als Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfter hatte er der NATO Unterstützung angeboten.
"Wir bereiten uns hier auf eine intensive Kriegsführung vor", sagt der Kommandeur des Ausbildungscamps, Lieutenant-Colonel Jaques, "auf eine gegnerische Armee. Die genauso ist wie wir - oder sogar noch stärker." Also auch die russischen Streitkräfte? "Ja", antwortet der Lieutenant-Colonel ohne zu zögern, "warum nicht? Sie hat das gleiche Niveau wie wir. Wir bereiten uns vor, aber auch auf andere Armeen." Ein selbstbewusstes, unmissverständliches Statement eines französischen Offiziers.
Macrons Credo
Die Armee ist das Rückgrat der französischen Außenpolitik. Mehr noch: Präsident Macron ist der Überzeugung, dass Europa in Sachen Sicherheit und Verteidigung autark werden muss - unabhängig von den USA. Gerade jetzt.
Der Krieg in der Ukraine hat den Präsidenten im laufenden französischen Wahlkampf ins Zentrum der politischen Debatte gerückt - sehr zum Missfallen seiner zahlreichen Konkurrenten um das Präsidentenamt. Als Staatschef liegen bei ihm alle wichtigen Entscheidungen, er repräsentiert Frankreich auf internationaler Bühne, jetzt mehr denn je.
Macrons zentrales Credo lautet seit Beginn seiner Amtszeit: europäische Souveränität. Das heißt: europäische Streitkräfte, europäische Waffensystem um europäische Interessen zu verteidigen. Der Krieg in der Ukraine scheint ihm Recht zu geben.