Nach Macrons Rentenreform Einsam im Élysée-Palast
TV-Ansprache, 100-Tage-Programm: Frankreichs Präsident Macron versucht, die Gräben zu überwinden, die durch die unpopuläre Rentenreform aufgerissen worden sind. Doch ob ihm das gelingt, ist mehr denn je zweifelhaft.
Der Präsident hat gesprochen - und kurz darauf brannten wieder die Mülltonnen. Als der Präsident im TV zu seiner Rede an die Nation anhob, versammelten sich Tausende überall im Land: in Paris, in Lyon, in Bordeaux und Marseille. Bewaffnet mit Kochtöpfen und Pfannen brachten sie ihren Protest gegen die unpopuläre Rentenreform und ihren Präsidenten lautstark zum Ausdruck.
Nachdem der Verfassungsrat am Freitagabend grünes Licht gegeben hatte, unterschrieb Präsident Emmanuel Macron noch in derselben Nacht das umstrittene Gesetz für die Rente mit 64: Ein präsidiales "Basta" - so haben viele das im Land verstanden.
Mit seiner Fernsehansprache wollte er nun das Blatt wenden und das leidige Thema Rente endlich hinter sich lassen. Er gab sich verständnisvoll. "Wird diese Reform akzeptiert? Offensichtlich nicht!", stellte er fest. Und fügte hinzu: "Trotz monatelanger Konsultationen konnte keine Einigung gefunden werden, was ich bedauere."
Fahrplan für die nächsten 100 Tage
Was dann folgte, war ein Fahrplan für die nächsten 100 Tage. Macron benannte drei Baustellen, Schwerpunkte für die kommenden Monate, mit denen er die Wut und den Unmut dämpfen und die verprellten Sozialpartner wieder zum Dialog bewegen will. Die großen Themen: Arbeit, innere Sicherheit, Fortschritt. Es ist eine wohldurchdachte Mischung.
Mit dem Versprechen, mehr Sicherheit und weniger illegale Einwanderung zu gewährleisten, blinkt er klar nach rechts. Kein Wunder, schließlich braucht er die Stimmen der "Républicains" im Parlament, wenn er noch irgendein Gesetz mit ausreichender Mehrheit durchbringen will.
Gewerkschaften planen weitere Proteste
Das Thema Arbeit soll offensichtlich ein Angebot an die Gewerkschaften sein. Doch die haben eine Einladung in den Élysée erst einmal zurückgewiesen. Stattdessen wurde bereits der 1. Mai zu einem weiteren landesweiten Protesttag ausgerufen.
Auch wenn die Streikkassen nach drei Monaten des Widerstands gegen die verhasste Rentenreform strapaziert sind und die Mobilisierung ihrer Anhänger nachlässt: Im Augenblick jedenfalls zeigen die Gewerkschaften nicht die leiseste Bereitschaft, Ruhe zu geben.
Auch Arbeitgeber zurückhaltend
Es ist nicht ausgeschlossen, dass der als gemäßigt geltende Chef von Frankreichs größtem Gewerkschaftsbund CFDT, Laurent Berger, irgendwann einmal an den Verhandlungstisch zurückkehrt. Aber dafür braucht es sicher mehr als die 15-minütige TV-Ansprache von Montagabend.
Und auch die Arbeitgeber, die heute im Èlysée empfangen wurden, zeigen sich zurückhaltend: Der "Pakt für das Arbeitsleben", den Macron für Weiterbildung, Seniorenarbeit und angemessene Bezahlung auf den Weg bringen will, werde sicher nicht in 100 Tagen ausgehandelt werden können.
Die meisten Reformversprechen unerledigt
Es ist ziemlich einsam um den Präsidenten geworden. Der einstige Shootingstar der europäischen Politik inspiziert gerade das Trümmerfeld seiner ehrgeizigen Agenda. Die meisten seiner großen Reformversprechen sind unerledigt geblieben, was auch dem Protest der Gelbwesten in den Jahren 2018 und 2019, Corona, dem Krieg in der Ukraine und der Inflation geschuldet ist.
Aber dass Frankreich tiefer gespalten ist denn je, Hass und Misstrauen gegenüber der Politik gewachsen und seine persönlichen Umfragewerte ins Bodenlose gefallen sind - das hat Macron sich selbst zuzuschreiben. Mit intellektueller Überheblichkeit und abgehobener Besserwisserei hat er sich im Élyséepalast eingemauert und sich alle Sympathien verscherzt.
Le Pen derzeit vor Macron
Damit hat er zugleich auch Marine Le Pen, der ewigen rechtspopulistischen Rivalin, den Weg Richtung Präsidentenpalast geebnet. Würde am Sonntag gewählt, läge sie laut letzten Umfragen vor Macron. Das ist eine Momentaufnahme - und insofern nur theoretisch, da Macron 2027 nicht wieder antreten darf. Aber ob er das Ruder in Sachen gesellschaftlicher Rückhalt wirklich noch einmal herumreißen kann, ist derzeit mehr als ungewiss. Macron hat viel Vertrauen verspielt.
Magali, 25 Jahre alt und Studentin in Paris, fasst es so zusammen: "Ich erwarte echt nichts mehr von ihm. Er redet nett, aber ich glaube ihm nichts mehr."