Frankreich Die Tanker-Fahrschule in den Alpen
Ausgerechnet in den französischen Voralpen liegt die älteste Kapitänsschule der Welt. Dort üben gestandene Seeleute die schwierigsten Manöver der weltweiten Seefahrt - in Miniatur.
40 Kilometer von Grenoble entfernt, auf rund 800 Höhenmetern, liegt der Suez-Kanal. Nicht wirklich - aber in Miniatur: Im Modellbau - Maßstab 1:25 - biegt soeben das Containerschiff "Othello" in die enge Kanaleinfahrt ein. Frédéric Drouet und André Guiziou, zwei gestandene Hochsee-Kapitäne, üben hier eines der schwierigsten Manöver auf See - zuletzt durch das Unglück des Frachters "Ever Given" groß in den Schlagzeilen. Das wirkt von außen betrachtet ein bisschen wie auf dem Spielplatz, ist in Wahrheit aber Präzisionsarbeit.
Eric le Bolloc'h, ein pensionierter Kapitän aus La Rochelle, instruiert die beiden. Heute hat er sich ein paar besondere Gemeinheiten für die Durchfahrt einfallen lassen: Plötzlich gibt es einen "Black-out", alle Maschinen fallen aus. "Das Ziel ist, mit kleinen Überraschungen den Stresspegel ein bisschen zu heben und ihre Reaktion zu testen", sagt er. "Damit sie bei Stress und Notfällen lernen, richtig zu reagieren".
Freie Fahrt im Suez-Kanal
Das Schiff ist inzwischen gefährlich nah am Ufer. Jean-Luc, der in der Simulation der Schlepperkapitän ist, warnt: "45 links!" und zieht mit dem Schlepper nach rechts. Richtig gemacht: Die Maschinen laufen wieder. Freie Fahrt im Suez-Kanal.
Die "Othello" ist zurück im Hafen, Kapitän Guiziou ist begeistert: "So eine Ausbildung, die braucht man wirklich fortlaufend", meint er. "Wir üben hier Manöver, an die wir nicht gewöhnt sind, und das ist wirklich sehr hilfreich." Sein Kollege Drouet freut sich schon auf die nächste Herausforderung: "Wir werden jetzt ein anderes Boot nehmen, mit völlig anderen Eigenschaften - um damit andere Manöver zu üben".
Weiter geht's - diesmal mit dem Carrier LNG "Benjamin Franklin": Guiziou steuert zielsicher in unruhiges Gewässer - eine Wellenmaschine im See kann drei Meter hohe Wellen im Abstand von sechs Sekunden simulieren. So üben sie die Einfahrt in den Hafen.
Im Kleinformat für die großen Herausforderungen üben: Frédéric Drouet
Manövrieren im Hafen-Nachbau
"Port Revel" ist die älteste von drei Kapitänsschulen, die es weltweit gibt. Seeleute aller Kontinente üben hier die kompliziertesten Manöver der Seefahrt, rund 10.000 Euro kostet so ein Kurs. Auf dem künstlich angelegten See üben heute mehrere Teams gleichzeitig.
Die Trainer sind passionierte Seeleute - Spezialisten wie Marc van Vliet. Er war Kapitän und Lotse in Amsterdam. "Es ist schön, das an die jungen Leute weiterzugeben“, sagt er, ""an Lotsen aus Amerika und Kanada - wir haben viel Spaß und das ist auch wichtig."
Die Übungsszenarien auf dem See entstünden am Computer, erklärt van Vliet. Baupläne, etwa vom Container-Terminal des Hamburger Hafens, würden erfasst und dann maßstabsgerecht modelliert.
Üben, bis alle Manöver perfekt laufen
Francois Mayor ist der Chef der Schule. Früher war er Kapitän der französischen Marine. Jetzt kümmert er sich in "Port Revel" um alle Details. Die kleinen Boote wartet die Schule selbst, die großen gehen in die Werft. "Hier ist alles reell", sagt er nicht ohne Stolz. "Die Boote sind exakte Nachbauten der echten Vorbilder und sie können hier unter Realbedingungen üben."
Und genau das tun Frédéric Drouet, André Guiziou und all die anderen Seeleute heute - bis alle Manöver perfekt laufen.
Diese und weitere Reportagen sehen Sie am Sonntag, 11. Juli 2021 im "Europamagazin" - um 12.45 Uhr im Ersten.