Nach Klagen in Österreich EuGH stärkt Asylrecht von afghanischen Frauen
Der Europäische Gerichtshof hat den Schutz von afghanischen Frauen gestärkt: Die Repressionen des Taliban-Regimes seien so massiv, dass sie grundsätzlich als Verfolgte gelten. Damit stehe ihnen in der EU Asyl zu.
Es gibt mittlerweile viele Berichte der EU und der Vereinten Nationen, wie miserabel die Lage für Frauen in Afghanistan ist. Seit die Taliban 2021 wieder an die Macht gekommen sind, sind Frauen in Afghanistan bedroht. Sie werden, nur weil sie Frauen sind, systematisch diskriminiert.
Grundlegende politische, wirtschaftliche und soziale Rechte von Mädchen und Frauen werden mit Füßen getreten: Sie erhalten keinen Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt, keinen Schutz vor männlicher Gewalt und Zwangsverheiratung, dürfen keinen Sport machen und bekommen kaum medizinische Betreuung.
Richter sehen systematische Verfolgung
Sind die Maßnahmen des Taliban-Regimes damit als Verfolgung einzustufen? Das sagen zwei Frauen, die in Österreich ihr Asylrecht eingeklagt hatten. Die eine war 2015 zusammen mit ihrer Mutter aus Afghanistan geflohen. Als Fluchtgrund gab sie an: Ihr Vater habe sie als 14-Jährige gegen ihren Willen verheiraten wollen.
Die andere Klägerin ist Jahrgang 2007. Sie hat zwar nie in Afghanistan gelebt. Sie hat bei ihrem Asylantrag aber vorgetragen, dass bei einer Rückkehr in das Land ihre Menschenrechte gefährdet wären. Sie dürfe nicht zur Schule gehen oder arbeiten. Aber sie wolle in Freiheit leben und die gleichen Rechte wie Männer haben.
Der österreichische Verwaltungsgerichtshof hatte die Fälle dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt. Die zentrale Anfrage an den Europäischen Gerichtshof war: Muss man die vielen Diskriminierungen, denen Frauen in Afghanistan ausgesetzt sind, zusammen betrachten? Sind also Frauen aus Afghanistan verfolgt im Sinne des europäischen Asylrechts, weil die Lage für Frauen in Afghanistan generell schlecht ist und zentrale Rechte verletzt?
EuGH: Frauen werden Grundrechte vorenthalten
Der Europäische Gerichtshof hat heute ganz im Sinne der Klägerinnen entschieden. Er stellt unmissverständlich klar: Zwangsverheiratungen sind der Sklaverei gleichzustellen und schon für sich genommen ein Asylgrund. Das Gleiche gilt, wenn Frauen gegen geschlechtsspezifische und häusliche Gewalt nicht geschützt sind, zum Beispiel sich nicht vor Gericht wehren können.
Darüber hinaus gilt: Die vielen anderen Diskriminierungen von Frauen in Afghanistan, von der fehlenden politischen Teilhabe bis zur Verweigerung von Schulbildung, müssen zusammen betrachtet werden.
Zusammengenommen stellen sie eine systematische Verfolgung dar. Der EuGH wird hier sehr deutlich. In der Pressemitteilung des Gerichts steht: Frauen würden "in flagranter Weise die mit der Menschenwürde verbundenen Grundrechte vorenthalten".
Persönliche Umstände nicht mehr entscheidend
Und der Gerichtshof geht beim Schutz von Frauen aus Afghanistan noch weiter. Eigentlich muss bei der Prüfung eines Asylantrags nach EU-Recht von der Asylbehörde genau geschaut werden, wie die persönlichen Umstände einer Frau in Afghanistan sind. Darauf kommt es nun aber nicht mehr an.
Der EuGH beurteilt die Situation in Afghanistan selbst als sehr schlecht und sagt: Die Asylbehörden in der EU müssen nicht mehr im Einzelfall feststellen, dass einer Antragsstellerin auf Asyl in Afghanistan tatsächlich Verfolgungshandlungen drohen. Es genügt, dass das Geschlecht und die afghanische Staatsangehörigkeit festgestellt werden.
Constantin Hruschka, Juraprofessor an der Evangelischen Hochschule Freiburg und Asylrechtsexperte, sagt, dass sich der Schutz von Frauen aus Afghanistan nun in ganz Europa verbessere. Der EuGH habe klargestellt, dass hier eine "Gruppenverfolgungssituation" gegeben sei. "Dass also alle Frauen, die die afghanische Staatsangehörigkeit haben, hier als Flüchtlinge anzuerkennen sind." Damit sei der Schutz dieser Frauen in Europa einheitlich geregelt. An diesen Grundsätzen müssten sich auch die Asylbehörden und Gerichte in Deutschland orientieren. Die Folge für Asylverfahren in Deutschland sei, "dass afghanische Frauen, die einen Asylantrag stellen, als Flüchtlinge anerkannt werden müssen, unabhängig davon, wie ihre individuelle Situation ist, solange sie afghanische Staatsangehörige sind."