Scholz trifft Erdogan Deutliche Differenzen beim Thema Nahost
Die Meinungsverschiedenheiten zum Krieg im Nahen Osten wurden beim Treffen von Bundeskanzler Scholz mit dem türkischen Präsidenten Erdogan einmal mehr deutlich. Beim Thema Rüstung soll die Zusammenarbeit jedoch ausgebaut werden.
Beim Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Istanbul sind erneut Meinungsverschiedenheiten mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu den Konflikten im Nahen Osten deutlich geworden.
"Es ist kein Geheimnis, dass wir da auch unterschiedliche Sichtweisen auf Israel haben", sagte Scholz bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Erdogan. "Der mörderische Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober war ein furchtbares Verbrechen und hat natürlich auch die Bewohnerinnen und Bewohner in Gaza in ein furchtbares Unglück gestürzt", fuhr Scholz fort. "Klar ist: Gegen einen solchen Angriff muss man sich verteidigen können."
Erdogan: Mehr Druck auf Israel
Der türkische Staatschef sagte indessen: "Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um den nötigen Druck auf Israel auszuüben." Der "aggressiven Politik Israels" müsse ein Ende gesetzt werden. Erdogan sprach mit Blick auf Gaza erneut von einem "Völkermord" Israels.
Scholz wies den Völkermord-Vorwurf Erdogans zurück. "Deutschland hat nicht die Einschätzung, dass der Vorwurf des Völkermords gerechtfertigt ist", sagte er. Er betonte aber, dass zivile Opfer, egal auf welcher Seite, gleichermaßen beklagt werden müssten. Es dürfe kein geteiltes Leid geben.
Erdogan hatte seit dem Überfall der militant-islamistischen Hamas auf Israel vor gut einem Jahr eine zunehmend israelfeindliche Haltung eingenommen und bezeichnet das Land als "Terrorstaat". Die Hamas ist für ihn eine "Widerstandsgruppe".
Waffenstillstand und politische Lösungen notwendig
Scholz betonte jedoch auch Gemeinsamkeiten. "Wir sind uns einig, dass Deeskalation, ein Waffenstillstand und politische Lösungen notwendig sind, um einen Flächenbrand im Nahen Osten zu verhindern." Es brauche einen "glaubwürdigen politischen Prozess hin zu einer Zweistaatenlösung". Der Kanzler sagte: "Darum bemühen wir uns weiterhin, trotz aller Rückschläge, die wir auch sehen."
Die Zweistaatenlösung sieht einen eigenen Staat für die Palästinenser vor, der friedlich an der Seite Israels koexistiert.
"Eurofighter"-Gespräche zwischen Großbritannien und der Türkei
Weitere Themen des Gesprächs waren auch deutsche Rüstungsexporte und die mögliche Lieferung von "Eurofightern". Scholz verteidigte die zunehmenden deutschen Rüstungsexporte in die Türkei: "Die Türkei ist Mitglied der NATO und deshalb gibt es von uns immer wieder auch Entscheidungen, dass es zu konkreten Lieferungen kommt." Das sei selbstverständlich, man habe solche Entscheidungen auch in jüngster Zeit getroffen. "Und es wird dabei auch weitere geben", fügte er hinzu.
Der Kanzler zeigte sich sogar offen für die Lieferung von Eurofighter-Kampfjets. Er verwies darauf, dass darüber Gespräche zwischen Großbritannien und der Türkei geführt würden. Das sei etwas, "das sich weiterentwickeln wird, aber jetzt von dort vorangetrieben wird".
Erdogan bekräftigte sein Interesse an einer engeren Kooperation im Rüstungsbereich. "Wir wollen die Probleme, die wir in der Vergangenheit im Zusammenhang mit der Beschaffung von Produkten der Verteidigungsindustrie erlebt haben, endlich hinter uns lassen und unsere Zusammenarbeit ausbauen."
Die Türkei hofft auf die Lieferung von etwa 40 Eurofightern, an deren Produktion Deutschland beteiligt ist. Deswegen muss die Bundesregierung ihre Genehmigung erteilen.
Umstrittene Rüstungsexporte
Rüstungsexporte in die Türkei sind wegen der Menschenrechtslage dort, aber auch wegen des internationalen Agierens der Türkei umstritten. Nach dem Einmarsch türkischer Truppen in Syrien 2016 wurden die Exportgenehmigungen deutlich zurückgefahren und lagen in den vergangenen Jahren nur noch im niedrigen zweistelligen oder sogar einstelligen Millionenbereich. Jetzt ziehen sie aber wieder an.
In diesem Jahr genehmigte die Bundesregierung nach aktuellen Zahlen des Wirtschaftsministeriums erstmals seit 2011 wieder Exporte für einen dreistelligen Millionenbetrag: 103 Millionen Euro. Zuletzt wurde die Lieferung von Torpedos und Lenkflugkörpern erlaubt.
Wiederbelebung der Regierungskonsultationen
Nach fast neun Jahren Pause wollen Scholz und Erdogan auch die deutsch-türkischen Regierungskonsultationen wiederbeleben. Das sind Treffen, an denen neben den Regierungschefs beider Länder auch mehrere Minister teilnehmen. Scholz nannte die Wiederaufnahme des Formats ein "sichtbares Zeichen" für die Qualität der Beziehungen. Konkrete Ergebnisse wurden jedoch nicht genannt.
Auch bei den Themen Migration und Abschiebungen hielten sich beide Seiten bedeckt. Der Frage, ob die Türkei bei den von der Bundesregierung angekündigten vermehrten Abschiebungen unter anderem nach Syrien helfen könne, wich Scholz aus. Ende September waren laut Bundesregierung 15.789 türkische Staatsangehörige ausreisepflichtig, 1.200 mehr als fünf Monate zuvor. Dem stehen 441 Abschiebungen in der ersten Jahreshälfte gegenüber.
Wille zur Kooperation beim Thema Ukraine
Beim Thema Ukraine herrschte laut Scholz Einigkeit: "Wir stehen beide eng an Seite der Ukraine", versicherte der Kanzler. Weitere Ankündigungen blieben aber im Ungefähren.
Die Türkei unterhält gute Kontakte nach Moskau und war beim russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine bereits als Mittler aufgetreten. Scholz kündigte an, auszuloten, wie die Türkei und Deutschland in der Frage kooperieren könnten.