Krieg in Nahost Steht Israels Gegenschlag kurz bevor?
Israels Antwort auf den iranischen Angriff könnte entschieden sein. Laut Medienberichten will Netanyahu erstmals seit Wochen wieder mit Biden telefonieren und ihn darüber informieren. Unterdessen eskaliert der Konflikt mit der Hisbollah weiter.
Die USA wollen im Nahost-Konflikt eigentlich eine deeskalierende Rolle einnehmen, doch die Beziehungen zum Verbündeten Israel waren aufgrund der amerikanischen Kritik an seiner Kriegsführung zuletzt angespannt. Nach knapp zweimonatiger Funkstille will Israels Premierminister Benjamin Netanyahu voraussichtlich heute mit US-Präsident Joe Biden telefonieren. Das berichtete das US-Nachrichtenportal Axios unter Berufung auf drei US-Beamte. Die Regierungschefs würden demnach über die Konflikte im Libanon und im Gazastreifen sprechen.
Neben Israels Kampf gegen die Terrororganisationen Hisbollah im Libanon und Hamas im Gazastreifen steht auch die Frage nach einer Antwort Israels auf einen Angriff des Iran vor einer Woche. Das Regime in Teheran hatte rund 200 Raketen auf Israel abgefeuert, von denen die meisten aber abgefangen wurden. Der Angriff kam nach einer Reihe gezielter Tötungen durch Israel, die sich gegen zentrale Akteure in Irans Netzwerk nichtstaatlicher Verbündeter richteten. Israel hatte Vergeltung angekündigt.
Vergeltungsmaßnahmen "voraussichtlich erheblich"
Axios berichtete nun unter Berufung auf zwei israelische Beamte, Netanyahu habe sich am Dienstagabend mit Ministern und den Leitern des israelischen Militärs und Geheimdienstes getroffen, um eine Entscheidung über den Umfang und den Zeitpunkt der israelischen Angriffe zu treffen.
Demnach sollen Israels Vergeltungsmaßnahmen "voraussichtlich erheblich sein" und eine Kombination aus Luftangriffen auf militärische Ziele im Iran und verborgenen Angriffen sein. Israel habe auch Angriffe auf die iranische Ölinfrastruktur in Erwägung gezogen. Netanyahu wolle Biden informieren, sobald eine Entscheidung getroffen sei, hieß es weiter. Dies könnte heute geschehen.
Gallant verschiebt US-Reise
Zugleich berichten israelische Medien, dass das Telefonat mit Biden ein Grund für Netanyahu gewesen sei, Verteidigungsminister Yoav Gallant anzuweisen, seine für heute geplante Reise in die USA zu verschieben. Zudem soll wohl die Zustimmung des Kabinetts auf die israelischen Antwort-Pläne gegenüber dem Iran abgewartet werden.
Dass der Besuch nicht wie geplant stattfinden wird, bestätigte das US-Verteidigungsministerium. "Wir wurden gerade darüber informiert, dass Minister Gallant seine Reise nach Washington verschieben wird", sagte eine Sprecherin, ohne jedoch einen Grund dafür zu nennen. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin freue sich darauf, ihn bald zu treffen.
Weitere Angriffe von Hisbollah und Israels Militär
Unterdessen gibt es im Konflikt zwischen der libanesischen Terrororganisation Hisbollah und Israel keine Entspannung. Die gegenseitigen Angriffe gehen unvermindert weiter. Allein am Dienstag wurden nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums 36 Menschen bei israelischen Angriffen getötet und 150 weitere verletzt. Israels Militär gab an, zuletzt 50 Hisbollah-Terroristen getötet zu haben. Zudem sei ein unterirdischer Tunnel im Süden Libanons zerstört worden, der direkt nach Israel geführt habe.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch Konfliktparteien können in der aktuellen Lage zum Teil nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Zugleich feuerte die proiranische Hisbollah nach Angaben des israelischen Militärs etwa 135 Raketen vom Libanon auf Israel ab. Dabei wurden Häuser und Autos beschädigt. In der drittgrößten Stadt Haifa wurde demnach eine Frau verletzt.
Die Terrormiliz warnte Israel vor weiteren Angriffen und drohte ihrerseits mit verstärkten Attacken. "Die zunehmenden Angriffe des israelischen Feindes" bedeuteten, dass die israelische Stadt "Haifa und andere Orte genauso häufig von unseren Raketen angegriffen werden wie Kirjat Schmona, Metula" und andere Orte, erklärte die Hisbollah. Kirjat Schmona und Metula liegen im Norden Israels an der Grenze zum Libanon.
Israel warnt Libanesen vor Zerstörung wie in Gaza
Auch Israels Premier Netanyahu sprach eine Warnung aus. In einer Videobotschaft warnte er die Menschen im Libanon vor einer Zerstörung wie im Gazastreifen. "Sie haben die Möglichkeit, den Libanon zu retten, bevor er in den Abgrund eines langen Krieges stürzt, der zu Zerstörung und Leid führen wird, wie wir es im Gazastreifen sehen."
Er fuhr fort: "Ich sage Ihnen, dem libanesischen Volk: Befreien Sie Ihr Land von der Hisbollah, damit dieser Krieg enden kann. Sie stehen an einem bedeutenden Scheideweg", betonte er. "Stehen Sie auf und holen Sie sich Ihr Land zurück."
Mutmaßlich israelischer Luftangriff in Syrien
Angriffe gibt es derzeit offenbar an vielen Fronten. Bei einem mutmaßlich israelischen Luftangriff in der syrischen Hauptstadt Damaskus sind nach Angaben des syrischen Verteidigungsministeriums mindestens sieben Menschen getötet worden. "Der israelische Feind startete einen Luftangriff auf ein Wohn- und Geschäftshaus im dicht besiedelten Stadtteil Masseh", hieß es in einer Erklärung des Verteidigungsministeriums.
Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in London sprach von neun Toten. Sie erklärte, das Ziel des Angriffs sei ein Gebäude gewesen, das von ranghohen Vertretern der iranischen Revolutionsgarden und der libanesischen Hisbollah genutzt worden sei.