Lage im Libanon "Noch mehr Vertreibung, noch mehr Tote"
Der Libanon kommt an seine Grenzen. Längst reichen die Unterkünfte für Geflüchtete nicht mehr aus. Viele schlafen auf der Straße. Die Gefahr, bei Angriffen getroffen zu werden ist groß - auch für Schüler.
Der Libanon verschiebt den Beginn des neuen Schuljahrs auf Anfang November. Wegen der anhaltenden Kämpfe zwischen der Hisbollah und Israel teilte der Bildungsminister des Landes jetzt mit, sein Ministerium wolle nicht die Verantwortung angesichts der Gefahr für Schüler und Lehrer übernehmen. Zudem sind die Schulgebäude mit Vertriebenen belegt.
Und die israelische Luftwaffe fliegt weiterhin heftige Luftangriffe auf die südlichen Vorstädte von Beirut, die von der Hisbollah kontrolliert werden. Auch die Angriffe auf Ziele in der Bekaa-Ebene im Osten des Libanon gehen weiter, zuletzt offenbar auch in unmittelbarer Nähe archäologischer Stätten.
Menschen sollen Wohnorte verlassen
Im Süden des Landes forderte die israelische Armee die Einwohner von fast dreißig Ortschaften zur Evakuierung auf. Demnach greift sie überall gezielt Waffenlager und Kommandozentralen der Hisbollah an. Seit Ende September hat Israel seine Angriffe auf die Miliz im Libanon massiv ausgeweitet und die Führung der Terrororganisation dezimiert. Unter anderem wurde Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah bei einem israelischen Angriff getötet.
Die proiranische Miliz wiederum, die den Krieg mit Israel vor einem Jahr provoziert hatte, feuerte erneut Raketen auf das Nachbarland ab. Aus dem Südlibanon, wo Israel seit Anfang Oktober Bodentruppen einsetzt, wurden weitere Kämpfe gemeldet.
Libanon spricht von einer Million Geflüchteten
Etwa 1.700 Menschen sind innerhalb eines Jahres durch diesen Krieg gewaltsam ums Leben gekommen, fast 10.000 wurden verletzt, Hunderttausende Zivilisten sind inzwischen auf der Flucht im Libanon, teilte die UN jetzt mit. Die libanesische Regierung spricht gar von mehr als einer Million Menschen.
"Es ist eine humanitäre Katastrophe", sagt Roula Amin vom Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Amin verweist auf die Menschen, die alleine in den Straßen von Beirut mit Kind und ihren Habseligkeiten campieren. In Lieferwagen, Pkw oder unter freiem Himmel.
Ein Mann, der mit seiner Familie in einem improvisierten Zelt Schutz an der Strandpromenade in Nord-Beirut sucht, sagte der Nachrichtenagentur Reuters, jede Nacht habe es Luftangriffe auf sein Viertel gegeben, Schlaf sei unmöglich gewesen.
Manche, die an der Corniche - einer etwa 4,8 Kilometer langen Seepromenade - Zuflucht suchen, wagen sich tagsüber zurück in ihre Wohnungen, denn dann wird weniger bombardiert. Doch weite Teile von Süd-Beirut sind mittlerweile zerstört. Die staatlichen Unterkünfte reichen längst nicht mehr aus, um die Vertriebenen aufzufangen.
Flughafen grenzt an das Kampfgebiet
Ein Ende sei nicht abzusehen, sagt Roula Amin vom UNHCR. Eine weitere Eskalation der Angriffe bedeute noch mehr Vertreibung, noch mehr Tote, noch mehr Leiden.
Nur wenigen Menschen gelingt es noch, den Libanon per Flugzeug zu verlassen. Einzig die libanesische Middle East Airline fliegt noch ab Beirut, alle anderen Fluggesellschaften haben ihre Verbindungen eingestellt. Der Flughafen grenzt an das Kampfgebiet, eine wichtige Zubringerstraße wurde jetzt bei einem israelischen Luftangriff zerstört.
UN-Kinderhilfswerk unterstützt mit medizinischen Hilfsgütern
Immerhin treffen dort weiterhin internationale Hilfslieferungen ein. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen etwa verteilte eigenen Angaben zufolge bisher etwa 125 Tonnen medizinischer Hilfsgüter an libanesische Gesundheitseinrichtungen und versorgte Menschen in Notunterkünften mit Decken und Hygieneartikeln.
Der marode libanesische Staat kann die Versorgung der Vertriebenen nicht garantieren. Der amtierende Regierungschef Nadschib Mikati begrüßte deshalb die Absicht des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, angesichts der Kämpfe im Libanon noch in diesem Monat eine internationale Konferenz zur Unterstützung des Landes auszurichten.