Angriffe aus dem Gazastreifen Leben im Ausnahmezustand
970 Raketen und Granaten wurden laut Militär zuletzt aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert. Die Menschen in der Nähe des Palästinensergebiets arrangieren sich ganz unterschiedlich mit der Bedrohung.
Das Traumazentrum von Ashkelon, nur zwölf Kilometer vom Gazastreifen entfernt. Die Sozialarbeiterin und Psychotherapeutin Marina Smoler hat in diesen Tagen einiges zu tun. Gerade ist ein kleiner Junge am Telefon. Zehn Jahre alt ist er, seit zwei Tagen hat er vor Angst den Schutzraum nicht verlassen. Marina macht erst einmal Atemübungen mit ihm. Fälle wie diesen gibt es jeden Tag. Zwar schlug in den letzten Stunden keine Rakete ein in Ashkelon - aber sie sind hier auf alles vorbereitet:
"Wir sind hier, um allen die größtmögliche Hilfe zu geben, die sie brauchen. Gerade sind wir zu zweit, aber es können mehr dazukommen, wenn nötig", sagt Marina. "Wenn es einen Treffer in der Stadt gibt und die Menschen unsere Hilfe brauchen, dann können noch mehr Kolleginnen und Kollegen kommen und uns unterstützen."
Traumazentrum in Ashkelon rund um die Uhr geöffnet
Das Traumazentrum, in dem Marina arbeitet, ist rund um die Uhr geöffnet, nicht nur in diesen Tagen, wo die Raketen aus dem Gazastreifen auch Richtung Ashkelon fliegen. Viele Menschen sind hier traumatisiert und brauchen Hilfe. Vor zwei Tagen erst hatten sie einen Raketeneinschlag, keine 100 Meter entfernt. Marina hatte gerade Dienst.
"Es gab einen sehr lauten Knall", beschreibt sie die Situation. "Wir wussten sofort, das war ein sehr naher Treffer. Wir sind raus, und da war eine Menge Rauch. Mir haben die Augen gebrannt, das war sehr unangenehm."
Am Strand von Ashkelon ist es dagegen schon fast idyllisch, obwohl an diesem Tag wieder weit mehr als 100 Raketen aus dem Gazastreifen in Richtung Israel abgefeuert wurden. Arthur sitzt hier mit seinem Freund Vasily bei einer Flasche Wein. Er hat heute Geburtstag. 33 Jahre wird er - und er will wenigstens ein bisschen feiern.
"Du gewöhnst Dich daran - und dann auch wieder nicht."
"Wir sind daran gewöhnt. Ich bin hier aufgewachsen, ich habe alle Eskalationen mitgemacht", sagt Arthur. "Du gewöhnst Dich daran - und dann auch wieder nicht. Du wirst vorsichtiger: Wenn Du eine Sirene hörst, dann läufst Du, um Dich zu schützen. Wenn Du Dich nicht schützen kannst, dann musst Du irgendwie klarkommen."
Ein paar Meter weiter laufen Eleanora und Jasmin. Seit einem Jahr leben sie in Israel. Eigentlich kommen sie aus Charkiv in der Ukraine.
"Das ist eine verrückte Situation", sagen sie, "in der Ukraine und hier. Kennst Du Charkiv?", fragen sie. "Das war die Stadt, die als erstes bombardiert wurde." Für sie sei das normal - Angst hätten sie nicht.
Auch Yuval Loebel ist einer von denen, die einerseits im Dauereinsatz und andererseits persönlich betroffen sind. Mit seinem Arztkittel steht er vor dem Krankenhaus von Ashkelon. Er leitet die Notaufnahme. Zu Hause war er schon seit ein paar Tagen nicht.
"Ich habe wahrscheinlich das Haus am nächsten zum Gazastreifen. Das sind nur 300 Meter", sagt Loebel. "Zwischen den feindlichen Auseinandersetzungen ist es dort sehr friedlich und schön. Aber jetzt sind drei Viertel der Leute bei uns evakuiert. Seit die Raketen fliegen, bin ich im Krankenhaus. Ich bin rund um die Uhr hier."
Kriegsmodus seit Wochenbeginn
Seit Anfang der Woche schon sind sie hier im Kriegsmodus. So heißt der Notfallplan, der innerhalb von vier Stunden umgesetzt wurde. 300 Patienten wurden verlegt oder entlassen - der Rest kam in zumindest halbwegs sichere Räume im Krankenhaus.
Gott sei Dank habe es in den vergangenen Tagen vor allem Menschen gegeben, die emotional verletzt worden seien, sagt der Krankenhausarzt. Manche hätten sich auch die Beine gebrochen oder andere Verletzungen, die sie sich zuzogen, als sie zum Schutzraum liefen. "Zum Glück hatten wir noch keine Verletzten von direkten Raketentreffern", so Loebel.
45 neue Patienten haben sie hier versorgt, seit die Konfrontation begonnen hat. Der Arzt hofft auf eine baldige Waffenruhe. Doch solange die nicht kommt, lebt er im Ausnahmezustand. Wie Ashkelon und viele andere Orte in der Nähe zum Gazastreifen.