Migranten an der Grenze zwischen Mexiko und den USA

Migration via Mexiko Ansichten eines Schleppers

Stand: 26.11.2023 08:45 Uhr

Etwa 10.000 Dollar zahlen Diegos "Kunden", um in die USA zu gelangen. Der Großteil wird für Bestechungen benötigt, ein Zehntel behält der Schlepper. Wer Diego zuhört, bekommt den Eindruck, er arbeite für eine Art Reiseagentur.

Auf den ersten Blick wirkt Diego wie ein netter Familienvater: gepflegt, freundlich. Seinen eigentlichen Namen will er wegen der Art des Geschäftes, das er betreibt, nicht nennen. Er macht Geld mit Menschen, die aus ihrem Land vor Armut, Gewalt, der Repression, flüchten.

Er sei da so reingerutscht, sagt er. Während der Pandemie habe er seinen Job bei einer Bank verloren. Und schließlich musste er Rechnungen bezahlen, rechtfertigt er sich. Seine Ex-Frau und die Kinder leben in Guatemala, er ist mittlerweile nach Mexiko gezogen. Während er das erzählt, macht er sich eine Dose Bier auf.

Migranten zahlen etwa 10.000 Dollar

Seinen ersten Job habe er über einen italienischen Pater bekommen. Für ihn habe er Leute von Honduras über Guatemala nach Mexiko gebracht. Da konnte er die ersten Kontakte etablieren, sagt er. Er hat ein kompliziertes Netzwerk aufgebaut - über den kompletten Weg verteilt bis hoch in den Norden an der Grenze zu den USA.

Überall würden die Leute die Hände aufhalten, um an den Migrantinnen und Migranten zu verdienen. Insgesamt bezahlten seine Kunden, wie er sie nennt, rund 10.000 Dollar. Davon müssten unzählige Mittelsmänner versorgt werden. Diego schmiert Behörden und korrupte Sicherheitskräfte, damit die Migrantinnen und Migranten ohne Papiere reibungslos ihren Weg fortsetzen können.

Nur einen Steinwurf von seinem Haus entfernt befindet sich die Polizeistation. Einmal im Monat wird er dort beim Polizeichef vorstellig. Dann ist Zahltag: Zwischen 2.500 und 3.000 Dollar müsse er hinblättern, damit er keine Probleme bekomme, es keine Kontrollen gebe, sagt er.

900 bis 1.500 Dollar Profit pro Migrant

Seit drei Jahren schmuggelt er Menschen. Er hat ein Haus angemietet, direkt an der Grenze zu Guatemala. Hier kommen die Migranten für ein paar Tage unter, bis Diego die Papiere organisiert hat. Zwischen zwei und acht Menschen im Monat bezahlen ihn für seine Dienste. Pro Person verdiene er zwischen 900 und 1.500 Dollar.

Diego organisiert ihnen auch über eine App der US-Behörden den Termin, den sie benötigen, um sogar legal in die USA einzureisen, damit sie dort ihren Asylantrag stellen können. Viele benötigen dafür Monate, weil die Plattform überlastet ist. Diego verspricht den Migranten, dass sie diesen Termin in zwei Wochen bekommen. Wir er das macht, darüber spricht er nicht.

Kuba-Nicaragua-Honduras-Guatemala-Mexiko-USA?

Das Haus von Diego ist schlicht, sauber, einzelne Räume sind komplett leer, im Wohnzimmer stehen ein Sofa und ein paar Sessel. In zwei Zimmern gibt es Betten. Auf einem ruht sich ein junger Kubaner aus, Lorenzo nennt er sich. Auch der gelernte Automechaniker will aus Sicherheitsgründen seinen eigentlichen Namen nicht nennen. Er ist von Kuba nach Nicaragua geflogen, für die Einreise dort braucht er kein Visum.

Von da wurde er mit Hilfe von Kontaktpersonen in einem Bus, teils zu Fuß, durch Honduras und Guatemala nach Mexiko geschleust. "Vor einem Jahr habe ich angefangen, mich darauf vorzubereiten", sagt er. "Den ersten Kontakt hatte ich mit jemanden in den USA. Wir bezahlen für unsere Sicherheit. Selbst eine schwangere Frau ist in unserer Gruppe dabei."

Er fühlt sich sicher, beteuert er in der Anwesenheit von Diego. Obwohl es auf dem Weg in Guatemala zu Komplikationen kam, wie sein Schlepper kurze Zeit später erzählt. Es gab Probleme mit Mitgliedern des Kartells von Sinaloa. Sie hätten den Weg für mehrere Stunden versperrt.

Wie eine Art Reiseagentur

Diego profitiert von den Gerüchten, die unter den Migranten kursieren, von der Desinformation, die teils von den Schleppern selbst gezielt gestreut wird. Kaum jemand weiß genau, wie die Bestimmungen an der Grenze zwischen den USA und Mexiko sind, wer Asyl bekommt und wer nicht, welche Papiere sie tatsächlich brauchen. Diego selbst versteht sich als Retter, die Strukturen seien so wie sie sind und er würde den Migrantinnen und Migranten nur helfen, ihren Traum zu erfüllen - und dafür bezahlten sie.

Mit Geld gehe alles, wiederholt er. Um seine Serviceleistung zu unterstreichen, zeigt er einen vollen Kühlschrank. Für Lorenzo besorgt er Magentabletten in der Apotheke, als der über Übelkeit klagt. Wenn man Diego zuhört, bekommt man den Eindruck, dass er für eine Art Reiseagentur arbeitet. Nur, dass für die Menschen weit mehr auf dem Spiel steht für ein neues Leben in den USA - wie auch für Lorenzo.

USA baut weiter an Mauer

Die Hürden, um über die Grenze in die USA zu kommen, sind groß, die Politik repressiv. US-Präsident Joe Biden hatte jüngst angekündigt, den Mauerbau, den sein Vorgänger Donald Trump begonnen hatte, an der Grenze zu Mexiko fortzusetzen - in einem Gebiet, in dem es allein dieses Jahr bis August rund 245.000 irreguläre Grenzübertritte gegeben hatte, hieß es zur Rechtfertigung.

Und auch wenn der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador vor kurzem auf einem Migrationsgipfel mit Ländern aus der Region für eine humanitärere Politik warb, setzen die Behörden in Mexiko immer wieder die Vergabe von Transitvisa aus, die die Migranten benötigen, um das Land legal zu durchqueren und um dann ihren Asylantrag in den USA stellen zu können.

Diese Situation spielt Schleppern in die Hände, treibt die Preise in die Höhe. Es gibt Migranten, die bezahlen teilweise sogar bis zu 20.000 Dollar, wie es heißt. Sie verkaufen für diesen Traum alles, was sie haben, nehmen hohe Schulden auf. Doch auf dem Weg werden viele Migranten ausgebeutet und betrogen und kommen am Ende gar nicht an ihr Ziel, werden vorher abgeschoben, oder noch schlimmer, Opfer von Menschenhändlern, dem organisierten Verbrechen.

Immer wieder ist von Lkws zu hören, in denen Dutzende Migrantinnen und Migranten eingepfercht sind wie Vieh, ganze Familien mit Kindern, ohne Wasser, ohne Nahrungsmittel, über Tage in der Hitze, die dann von der mexikanischen Polizei entdeckt werden - und das immer wieder zu spät.

Anne Demmer, ARD Mexiko-Stadt, tagesschau, 23.11.2023 14:28 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 31. Oktober 2023 um 09:00 Uhr.