Phänomen "Klimaohnmacht" Keine Lust auf Klimarettung?
"Klimamüdigkeit" oder "Klimaohnmacht" - immer mehr Menschen fragen sich, was ihr Engagement dem Klima nutzen soll. Manche glauben, nichts bewirken zu können. Manche haben keine Lust mehr. Wieder andere geben nicht auf.
Wenn Rolf Disch morgens aufwacht, weiß er nie, welcher Ausblick ihn aus seinem Schlafzimmerfenster an diesem Tag erwartet. Denn vor 30 Jahren hat der Architekt etwas erfunden, was damals eine Sensation war: Das Heliotrop. Ein rundes Wohnhaus, das sich nach dem Stand der Sonne dreht und damit mehr Energie erzeugt, als es verbraucht.
Betrachtet man es von außen, wie es dort am Rande der Weinberge im Süden von Freiburg steht, mutet Dischs Heliotrop minimalistisch an, mit viel Glas rundherum und einer Photovoltaikanlage auf dem Flachdach. Zeitlos funktional. Und extrem klimafreundlich.
Manchen gilt das Heliotrop in Freiburg als erstes Plusenergiehaus überhaupt.
Wohnen im Heliotrop
Dass es überhaupt geht, das klimafreundliche Bauen, hat der Architekt mit seinem Heliotrop bewiesen. Manchen gilt es als das erste Plusenergiehaus weltweit, also als Haus, das ein Plus an Energie erzeugt, die es dann wiederum ins System einspeisen kann.
Damals, Anfang der 1990er-Jahre, sei das Klima schon das Thema gewesen. Und er habe geglaubt, nun gehe alles ganz schnell, erinnert sich Rolf Disch: "Wir hätten heute eigentlich Kohle, Gas und Öl längst ersetzen können. Hätten wir damals weitergemacht in dem Tempo, wären wir heute unabhängig von fossilen Energieträgern und könnten auch der Welt zeigen, wie es geht."
Deutschland längst nicht Vorreiter
Tatsächlich aber ist Deutschland weit davon entfernt, eine Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz zu spielen. Vom Balkon des Heliotrops kann man bei gutem Wetter bis ins benachbarte Frankreich sehen. Die Pro-Kopf-Emissionen an CO2 liegen beim französischen Nachbarn bei 6,1 Tonnen Kohlendioxid-Äquivalent. Der Durchschnitt der EU-Mitgliedsstaaten liegt bei 7,8 Tonnen. Und in Deutschland? Bei 9,1. Keine Glanzleistung. Viele fragen sich deshalb, was sie denn gebracht haben, die ganzen Maßnahmen der Regierung und die Einschränkungen der Bevölkerung.
Tatsächlich beobachten Experten seit einiger Zeit eine gewisse "Klimamüdigkeit" oder gar "Klimaohnmacht" in Teilen der Gesellschaft. Und auch auf den Straßen der Klimavorzeigestadt Freiburg finden sich Passanten, die mit dem Engagement fürs Klima hadern. "Es ist zu viel, der Druck ist zu viel, es wird zu viel verlangt", sagt eine junge Frau. Und eine ältere meint: "Man sieht ja nicht, dass was vorangeht. Und nur das Demonstrieren hilft ja auch nichts." Ein Passant macht seinem Ärger über die Regierung Luft: "Alles wird auf den Bürger übertragen. Wir kommen für alles auf, was die Politik verbockt. Ich bin eher politikmüde als klimamüde."
"Klimaohnmacht" als gesellschaftliches Phänomen
Michael Kopatz hat sich mit diesem Phänomen der "Klimaohnmacht" beschäftigt. Der Umweltwissenschaftler sieht es kritisch, dass die Politik immer mehr Verantwortung in Sachen Klima auf den Bürger überträgt. "Jeder einzelne ist damit völlig überfordert, immer das Richtige zu tun. Für den Klimaschutz ist es fatal, wenn die Politik ständig über die großen Ziele streitet. Das schafft Unsicherheit und Ohnmachtsgefühle."
Stattdessen solle die Politik die Rahmenbedingungen so verändern, dass wir alle das Richtige tun, ohne täglich darüber nachdenken zu müssen. In Freiburg hat der Architekt Rolf Disch Anfang der 2000er-Jahre genau solche Rahmenbedingungen geschaffen, in Form der "Solarsiedlung": 59 Plusenergiehäuser, gespeist allein durch Sonnenenergie. Bunte Würfel, mit Holz verkleidet, in einem autofreien Stadtteil. Seit fast einem Vierteljahrhundert stehen diese Häuser schon hier. Die Menschen, die in ihnen wohnen, leben klimafreundlich - ohne täglich darüber nachdenken zu müssen.
Klima schützen ohne Nachzudenken
Denn dass es die täglichen Entscheidungen sind, die schwer fallen, das kennt auch Architekt Disch aus seinem Freundes- und Bekanntenkreis. Wenn man doch das Auto nimmt, statt das Fahrrad. Oder nicht, so wie er, ganz aufs Fliegen verzichten möchte. Auch wenn Disch von der Geschwindigkeit der Klimapolitik enttäuscht ist - selbst weniger zu machen oder gar aufzugeben kam für den 79-jährigen Solarpionier nie in Frage.
Im Moment entsteht sein neuestes Bauprojekt, die Klimahäuser in Schallstadt. 83 Wohnungen in Plusenergiebauweise. Denn aufhören kann und will er nicht: "Ich kann es ein Stück weit verstehen, dass man glaubt, man selbst ist ja so ein kleines Rädchen und spiele keine Rolle in diesem ganzen Geschehen. Und doch ist es so, dass man eine ganze Menge machen kann."