Zwei Königskobras

Medizinforschung Auf dem Weg zu einem universellen Mittel gegen Schlangenbisse?

Stand: 02.05.2025 17:02 Uhr

Ein Hobbyforscher verabreicht sich stetig Toxine von Giftschlangen - und lässt sich Hunderte Male beißen. Schließlich ist er gegen viele Gifte immun. Forschende haben sich das zunutze gemacht.

Jedes Jahr werden laut Weltgesundheitsorganisation WHO bis zu 5,4 Millionen Menschen weltweit von Giftschlangen gebissen, rund 2,7 Millionen dieser Menschen erkranken an den Folgen eines Schlangenbisses. Bei bis zu 138.000 Menschen führt die Vergiftung durch den Biss zum Tod und bei weiteren 400.000 zu lebenslangen Einschränkungen.

Bisse von Giftschlangen können bisher nur mit spezifischen Gegengiften, sogenannten Antivenomen, behandelt werden. Diese werden von Tieren wie Pferden oder Schafen gewonnen, die mit dem Gift einer Schlangenart immunisiert wurden. Allerdings gibt es weltweit etwa 600 Arten giftiger Schlangen, und die Antivenome wirken in der Regel nur gegen eine einzige oder wenige verwandte Schlangen.

In den USA ist es nun Forschenden gelungen, ein Mittel zu entwickeln, das vor den Giften von Königskobra, Schwarzer Mamba und 17 anderen Giftnattern (Elapidae) zumindest teilweise schützen kann, wie das Team im Fachblatt Cell berichtet.

Experimente eines Hobbyforschers

Ausschlaggebend für die Forschungen waren die Selbstexperimente eines von Schlangen begeisterten US-Amerikaners. Über Jahre verabreichte sich Timothy Friede selbst immer größere Dosierungen von Schlangengiften, so dass er sich schließlich von verschiedenen giftigen Schlangen beißen lassen konnte. Damit hat er eine außergewöhnliche medizinische Entwicklung ermöglicht, denn in seinem hyperimmunen Blut identifizierten die Forschenden breit neutralisierende Antikörper.

"Das Spannende an dem Spender war seine einmalige Immungeschichte", sagt Erstautor Jacob Glenville, gleichzeitig Chef der Pharmafirma Centivax. Der vormalige Hobbyforscher Friede arbeitet dort inzwischen auch.

Mittel an Mäusen getestet

Die aus seinem Blut isolierten Antikörper kombinierten die Forschenden mit einem Enzym-Hemmer zu einem Wirkstoff. In der Studie wurde dieser Cocktail an Mäusen getestet, die zuvor Gifte verschiedener Giftnattern verabreicht bekamen. Dabei bot das Mittel vollständigen Schutz gegen Gifte von 13 Schlangenarten - darunter waren die Königskobra, die Schwarze Mamba und der Inlandtaipan, der als weltweit giftigste Schlange gilt.

Die Forscher räumen ein, dass diese Erfolge an Mäusen noch nicht ausreichen. In einem nächsten Schritt soll das Gegengift in Tierarztkliniken an Hunden getestet werden, die von Schlangen gebissen wurden. Eine weitere Einschränkung sieht der nicht an der Studie beteiligte Biochemiker Tim Lüddecke von der Universität Gießen darin, dass die Wirkung auf die Gruppe der Giftnattern begrenzt sei. "Die Gifte der Vipern, welche völlig anders wirken und anders aufgebaut sind, werden nicht adressiert." Das habe wichtige Konsequenzen in der Anwendung, denn diese Gruppe von Schlangen (Viperidae) verursache einen Großteil der Schlangenbisse. 

Ähnlich äußert sich Andreas Laustsen-Kiel von der Technischen Universität in Lyngby in Dänemark. Im Gespräch mit dem Science Media Center SMC sagt er, das vorgestellte Antivenom sei noch weit von einem klinisch einsetzbaren Produkt entfernt. "Während viele Elapidae-Gifte neutralisiert werden, gibt es andere Elapidae-Gifte in denselben Regionen, die nicht neutralisiert werden." Man habe für die Studien einfach diejenigen ausgewählt, die funktionierten.

Vermeidung von Spätfolgen unklar

Biochemiker Lüddecke kritisiert außerdem, die Studie konzentriere sich nur auf den lebensrettenden Effekt des Gegengifts. Daneben gebe es aber auch oft lebenslange körperliche Einschränkungen durch Schlangengifte. Dennoch lobt der Experte, die Studie verbinde die vielversprechendsten Ansätze in der Entwicklung moderner Wirkstoffe gegen Schlangenbisse miteinander.

Das betont auch Michael Hust von der Technischen Universität Braunschweig. "Mit dem in der Studie vorgestellten Cocktail aus diesen zwei Antikörpern und dem Enzym-Inhibitor besteht eine große Chance, Tierseren, die zahlreiche Nebenwirkungen haben, mit einem gentechnisch hergestellten Produkt zu ersetzen."

Außerdem positiv: "Der Spender Tim Friede ist für die weitere Entwicklung nicht nötig. Da bei den gewonnenen Antikörpern auch die Antikörpergene - also die Baupläne - isoliert wurden, können diese Antikörper jetzt in Zellkulturen im Labor produziert werden", so Hust.

Das Forschungsteam selbst hat ein langfristiges Ziel: ein Universalmittel zu entwickeln, das sowohl Giftnattern als auch Vipern abdeckt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR Fernsehen am 20. Mai April um 19:10 Uhr.