Australien Wenn Mensch auf Schlange trifft
Ob Bauprojekte, Überschwemmungen oder Buschbrände: In Australien werden die natürlichen Lebensräume von Schlangen zunehmend zerstört - Mensch und Tier begegnen sich häufiger. Schlangenfänger haben gut zu tun.
Schlangen zwischen den Spielsachen im Kinderzimmer, unter dem Sofa oder am Pool. In Australien begegnen sich Mensch und Schlange immer häufiger. Das Geschäft von Schlangenfängern wie Stuart McKenzie läuft daher so gut wie nie. Jeden Tag fangen er und sein Team 20 bis 30 Schlangen in Gärten und Häusern.
Stuart McKenzie betreibt seinen Schlangenfangdienst an der Sunshine Coast in Queensland, im Nordosten Australiens. "Es ziehen immer mehr Menschen hierher - wegen der Strände und dem Lifestyle. Je mehr Menschen hier leben, je mehr Häuser gebaut werden, desto weniger natürlichen Lebensraum gibt es für die Schlangen." Häuser und Vororte werden ihr neues Zuhause.
Schlangen haben sich angepasst
Wenn Stuart McKenzie loszieht, läuft es immer ähnlich ab. Er zieht die Schlangen mit einem langen Metallhaken langsam näher an sich heran. Dann schnappt er sich den Schwanz der Schlange. Hält sie mit ausgestrecktem Arm weit von sich und befördert sie geschickt in einen Stoffsack. Gefahr gebannt. In sicherer Entfernung entlässt er sie zurück in die Natur. Schlangen sind wichtig für ein gesundes Ökosystem.
Manche Schlangen hätten gelernt, sich an die neue städtische Umgebung anzupassen und verbrächten teils ihr ganzes Leben dort. "Was verrückt ist. Aber sie haben alles, was sie brauchen, bei uns um die Häuser", sagt McKenzie. Besonders in Neubausiedlungen treffe man sehr häufig auf Schlangen. Sie suchen dort Schutz in Garagen und Gärten, weil ihr Zuhause nicht mehr existiert.
Fühlt sich in der Nähe von Menschen sehr wohl: die Östliche Braunschlange, die zweitgiftigste Schlange der Welt
Natürlicher Lebensraum verschwindet
Neben Bauprojekten zerstören auch Überschwemmungen und Buschbrände den natürlichen Lebensraum der Schlangen. Sie fliehen in die Nähe der Menschen. Im Müll finden sie Mäuse und Ratten - mehr zu Fressen als in ihrer natürlichen Umgebung. Besonders die Östliche Braunschlange fühlt sich in der Nähe der Menschen sehr wohl. Sie ist die zweitgiftigste Schlange der Welt. Auch Rautenpythons sind dort häufig anzutreffen. Doch nicht alle Schlangen können sich der neuen Umgebung anpassen. Sie sterben über die Zeit.
Ein weiterer Grund, dass Schlangenfänger in Australien mehr zu tun haben als früher, ist der Klimawandel, erklärt Biologie-Professor Bryan Fry von der Universität von Queensland. Die globale Erderwärmung verkürzt eine Art Winterschlaf der Schlangen. Ist es wärmer, sind sie aktiver. "Unsere Sommer starten früher, also startet auch die Schlangen-Saison früher. Und die Sommer dauern länger, also dauert auch die Schlangen-Saison länger." Die Schlangen sind auch länger in der Nacht aktiv, da es über Nacht weniger abkühlt. Damit steigt die Chance, dass sich Mensch und Schlange begegnen.
Druckverband, ruhig stellen, schnell zum Arzt
Unterm Strich gibt es in Australien mehr giftige als ungiftige Schlangen. Daher weiß dort fast jeder, was er oder sie machen muss, wenn jemand von einer Schlange gebissen wird. Druckverband, ruhig stellen, schnell zum Arzt. Das Gift einer Östlichen Braunschlange kann einen Menschen innerhalb von 15 Minuten töten, wird nicht die richtige Erste Hilfe angewandt. Es gibt Kurse in der Schule, bei der Arbeit - man lernt den Umgang mit Schlangenbissen von Familie und Freunden. Daher endet ein Biss in Australien äußerst selten tödlich. Im Schnitt sterben auf dem Kontinent daran nur zwei Menschen pro Jahr.
Das ist sehr wenig im Vergleich zu Ländern wie Indien. Dort werden pro Jahr mehr als eine Million Menschen gebissen, und mehr als 50.000 Menschen sterben an dem Biss. Die Überlebenden kämpfen teils ihr Leben lang mit den Langzeitfolgen. Sei es, weil sie ein Arm oder Bein verlieren oder ihre Niere Schaden nimmt. Das liegt an einer schlechteren Gesundheitsversorgung, weniger Wissen über Erste Hilfe und qualitativ schlechteren Gegengiften.
Schlangen sind in Australien rechtlich geschützt
Schlangen-Experte Fry rät jedem, der eine Schlange sieht: Abstand halten und Experten zur Hilfe rufen. "In Australien sind Schlangen rechtlich genauso geschützt wie Koalas. Du darfst eine Schlange also genauso wenig mit einer Schaufel angreifen, wie du einen Koala nicht mit einem Cricket-Schläger verletzen darfst."
Das Einfangen solle man lieber den Profis überlassen. In Australien gibt es Hunderte lizensierte Schlangenfänger. Wie Stuart McKenzie in Queensland. Ihr Job ist nicht ungefährlich. Ein Biss kann Folgen haben. McKenzie hatte bisher Glück. Er wurde schon öfter gebissen, aber vor allem von ungiftigen Schlangen.
Biologe Fry wurde während der Arbeit auch schon einige Male von giftigen Schlangen gebissen. "Da leidest du teils ganz schön." Einmal habe er keine Farben mehr gesehen. Alles sei nur noch Schwarz und Weiß gewesen, mit ein wenig Gelb. Sein Gehörsinn sei verzerrt gewesen, er habe einen metallischen Geschmack im Mund gehabt.
Melken für ein Gegengift
Dass solche Fälle nicht mehr tödlich enden, ist vor allem der Arbeit des Australian Reptile Parks nördlich von Sydney zu verdanken. Es ist der einzige Ort in Australien, wo seit Mitte der 90er-Jahre Schlangen gemolken werden, um aus dem Gift Gegengift herzustellen. Das Programm hat schon Tausenden Menschen das Leben gerettet.
Pro Jahr melden sich 2.000 bis 3.000 Menschen im Krankenaus, weil Verdacht auf einen Schlangenbiss besteht. 300 bis 500 davon sind tatsächlich von einer giftigen Schlange gebissen worden. Die Hälfte von ihnen braucht ein Gegengift, das sie im Australian Reptile Park gewinnen.
3.000 bis 5.000 Euro für eine Dosis
Billy Collett war schon als Kind von Schlangen fasziniert und häufig im Reptile Park zu Besuch. Heute arbeitet er dort. Er nimmt eine Tigerotter aus einem Glaskasten. Die fünftgiftigste Schlange der Welt. Im Raum um ihn herum: 300 der weltweit giftigsten Schlangen. "Wir melken jede dieser Schlangen alle zwei Wochen", erzählt er, während er den Kopf der Schlange erst auf eine Matte drückt und dann zwischen seine Finger klemmt. In der anderen Hand hält er ein Schnapsglas, über dessen Öffnung Klarsichtfolie gespannt ist. Die Schlange beißt zu - ihr Gift tropft langsam durch die Folie ins Glas. Das Gift friert er ein.
Bryan Fry öffnet eine Tiefkühltruhe. Darin: Schnapsgläser mit Flüssigkeiten in den unterschiedlichsten Farben. Aus diesem Gift wird in einem Labor in Victoria das Gegengift hergestellt. Dafür spritzen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler es über rund sechs Monate in kleinen Dosen Pferden. Deren Immunsystem sei so stark, dass sie davon fast nichts spürten, so Fry. Stattdessen produzieren die Pferde resistentes Blutplasma. Aus dem stellt das Labor das Gegengift her.
Eine Dosis Gegengift kann 5.000 bis 8.000 Australische Dollar kosten, also umgerechnet etwa 3.000 bis 5.000 Euro. Dafür gehöre es zu den besten der Welt und sei sehr wirkungsvoll. Für jeden in Australien ist das Gegengift zudem kostenfrei. Es werde auch häufig für Haustiere genutzt - wie Katzen und Hunde -, da sie noch häufiger gebissen werden als Menschen, sagt Bryan Fry. Diese Fälle dürften weiter zunehmen.