Long-Covid Frauen laut Studie stärker betroffen
Über Long-Covid weiß man bisher noch wenig. Eine neue Untersuchung der Unimedizin Mainz zeigt: Fast ein Drittel der Betroffenen spürt dauerhaft Einschränkungen - und Frauen sind stärker betroffen als Männer.
Im Sommer hatte die Unimedizin Mainz eine vielbeachtete Studie zur Verbreitung von Corona vorgelegt. Jetzt folgt eine zweite Untersuchung zu den langfristigen gesundheitlichen Folgen durch Covid. Die Mediziner stellen sich aber auch die Frage, ob Beschwerden, die nach der Infektion auftraten, wirklich mit dem Virus in Zusammenhang stehen.
Unerwartete Beschwerden
Die Sonne scheint an diesem Wintertag in Mainz. Carla Boehm spaziert durch den Wald im Ortsteil Gonsenheim. Die 37-Jährige kann das schöne Wetter und die Bewegung draußen an der frischen Luft wieder genießen, denn die Psychologin hatte vor einem guten Jahr Corona. Obwohl sie damals einen milden Verlauf hatte, stellten sich nach der akuten Erkrankung unerwartete Beschwerden bei ihr ein.
Zunächst bin ich davon ausgegangen, dass ich Corona überwunden hatte", erzählt Boehm. "Dann kamen aber nach und nach die Probleme: Meine Haut wurde schlechter. Mir sind mehr Haare ausgegangen als früher. Dazu habe ich immer mal wieder unter Kurzatmigkeit gelitten. Auch Kopfschmerzen und ein Gefühl der Erschöpfung traten häufiger auf. Das hatte ich früher nicht. Natürlich habe ich mich gefragt, ob das eine Folge der Corona-Erkrankung ist oder eine andere Ursache hat?
Studie mit mehr als 10.000 Probanden
In der Unimedizin Mainz schaut Prof. Dr. Philipp Wild über lange Zahlenreihen von Probanden, die Corona hatten. Wild ist Epidemiologe, erforscht also die Entstehung und Verbreitung von Epidemien. Er ist Leiter der neuen Covid-Studie des Klinikums. Insgesamt haben 10.250 Personen daran teilgenommen.
Auch Boehm war mit dabei. Bei der Untersuchung ging es um mögliche Spätfolgen einer Covid-Infektion. "Bislang waren wir sehr fokussiert auf die Infektionsausbreitung und die Behandlung der schweren Fälle in den Krankenhäusern. Aber wir müssen uns jetzt auch dringend um die Langzeitfolgen kümmern", erklärt Wild den Untersuchungsansatz.
Der Leiter der Studie, Prof. Dr. Philipp Wild, sagt, man müsse sich ganz dringend um die Lanzeitfolgen kümmern.
"Hohe Krankheitslast auch Wochen danach"
Um repräsentative Ergebnisse zu erhalten, seien die Probanden anhand der Bevölkerungsstruktur ausgewählt worden. Die allermeisten hätten die Erkrankung ohne intensive ärztliche Betreuung daheim in Quarantäne durchgemacht - so wie die große Mehrheit der Menschen hierzulande.
Wild fasst die Hauptbotschaft der Studie zusammen: "Es gibt eine hohe Last ganz unterschiedlicher Langzeitbeschwerden bei Infizierten, die sich teils erst Wochen danach einstellen. Das ist für Menschen, die sich unwissentlich infiziert hatten, besonders schlimm", erklärt der Epidemiologe. "Wir müssen die jeweiligen Erkrankungen nach Covid genau untersuchen und uns dann fragen: Ist das eine Folge von Corona, oder hat das doch einen anderen Ursprung? Das ist entscheidend für die Behandlung."
Die Ergebnisse im Einzelnen
- Von den Probanden wussten 35 Prozent nicht, dass sie mit Corona infiziert waren. Das Virus wurde erst im Nachhinein mit einem Antikörper-Test bei ihnen festgestellt.
- Fast 30 Prozent aller Infizierten klagen, dass sie ihre ursprüngliche Leistungsfähigkeit nach der Erkrankung nicht wieder erreicht hätten. "Diese hohe Zahl hat uns überrascht, denn das hat teils weitreichende Folgen für die Patienten", so Wild. Knapp 15 Prozent fühlten sich dauerhaft in ihrem Alltagsleben eingeschränkt, mehr als sechs Prozent auch in ihrem Arbeitsleben.
- Auch sechs Monate nach überstandener Krankheit berichteten mehr als 40 Prozent der Probanden, dass sie unter Symptomen wie Müdigkeit, Gedächtnisstörungen oder Kurzatmigkeit leiden würden. Wild sagt: "Wir haben immer mehr Menschen, die sich nach überstandener Infektion mit Erkrankungen in Arztpraxen oder Rehabilitationskliniken vorstellen. Wir sehen jetzt auch anhand der Studie, dass da ein großer Bedarf ist."
- Frauen sind von langfristigen Beschwerden nach einer Sars-CoV-2-Infektion stärker betroffen als Männer (46 % zu 35 %). Auch diese Zahl ist laut Wild erstaunlich, denn eigentlich seien Männer empfänglicher für das Virus und hätten auch eine klare Tendenz zu schwerwiegenderen Verläufen. "Der weibliche und der männliche Stoffwechsel und das Zusammenspiel der Hormone sind unterschiedlich. Vielleicht gibt es da einen Zusammenhang. Das muss jetzt genauer untersucht werden."
Schnell auf Long-Covid einstellen
Die Konsequenzen aus der Untersuchung sind für Wild klar. "Wir müssen uns sehr schnell anpassen. Das Gesundheitssystem sollte sich mehr auf Long-Covid einstellen."
Den Epidemiologen treiben aber auch schon neue Fragen um. "Das Ausmaß der Folgeschäden ist beträchtlich. Schlummert da noch was unter der Oberfläche? Tragen genesene Menschen möglicherweise noch etwas in sich? Vielleicht gibt es Krankheitsbilder, die erst nach fünf Jahren auftreten und dann mit Corona gar nicht mehr in Verbindung gebracht werden? Dieses Wissen wäre für die Heilungschancen wichtig."
Bei den meisten gehen Beschwerden zurück
Trotz der teils besorgniserregenden Ergebnisse gibt es in der Studie aus Mainz laut Wild aber auch Positives. "Das Mutmachende ist, dass bei den meisten Infizierten die Beschwerden auf lange Sicht wieder zurückgehen. Man kann sagen, je länger die akute Krankheit zurückliegt, desto mehr nehmen die Beschwerden ab. Aber bei einigen werden Einschränkungen möglicherweise bleiben."
"Langfristige Beschwerden verstehen"
Seit Beginn der Pandemie haben sich in Deutschland nach Angaben der Bundesregierung nachweislich 6,79 Millionen Menschen mit Corona infiziert.
Diese Zahl kennt natürlich auch Prof. Dr. Norbert Pfeiffer vom Vorstand der Unimedizin Mainz. "Wir haben es mit einer riesigen Zahl von Erkrankten zu tun und auch mit einer größeren Zahl von Menschen, die möglicherweise langfristige Probleme haben. Das ist ganz anders als bei einer Grippe oder anderen Infektionserkrankungen. Die langfristigen Beschwerden nach Covid wollen wir besser verstehen, um zu verhindern, dass solche Beschwerden chronisch werden."
Weitere Studien folgen
Die Unimedizin werde deshalb weitere Studien zu Covid durchführen. Grundlage ist eine Datenbank, die es schon seit 2007 gibt. Sie ist mit insgesamt 15.000 Probanden eine der größten ihrer Art weltweit. Die Freiwilligen stellen einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung dar.
Die Studie ist Grundlage ständig wechselnder Forschungsprojekte - vom Augeninnendruck bis zum Übergewicht. Jetzt könnten hier bezüglich Covid auch künftig viele weitere Erkenntnisse gewonnen werden. "Corona hat langfristig viel größere Auswirkungen, als wir das von anderen Viren kennen. Dem müssen wir nachgehen", so Pfeiffer.
Boehme fühlt sich bestätigt
Boehme beendet ihren Spaziergang. Sie fühlt sich mit ihrem unerwartet langen Krankheitsverlauf durch die Studie bestätigt. "Meine Hausärztin hatte damals schnell und verständnisvoll auf meine anhaltenden Symptome reagiert. Ich habe aus den Medien erfahren, dass das nicht bei allen Corona-Patienten so ist, weil die Langzeitfolgen in dieser Massivität noch gar nicht bekannt sind." Und wie schaut die Psychologin jetzt über ein Jahr nach Corona in ihre Zukunft? "Bei mir ist es ja schrittweise wieder besser geworden."