Forensische Insektenkunde Schmeißfliege könnte Mordermittlungen erschweren
Bislang war Chrysomya albiceps eher in Südeuropa unterwegs, der Klimawandel aber treibt die Schmeißfliege immer weiter Richtung Norden. Hier könnte sie die Arbeit von Mordermittlern stören - denn die Fliege frisst Beweise.
Eine neue Schmeißfliegenart könnte die Arbeit von Mordermittlern stören. In einem ausgelegten Wisentkadaver haben Forschende der Universität Würzburg die Fliegenart Chrysomya albiceps entdeckt, die nun klimabedingt auch in Mitteleuropa vorkommt. Das Problem: Durch ihr Fressverhalten zerstört sie für Forensiker wichtige Beweise in der Verbrechensaufklärung.
Über zwei Monate lang beobachteten Forscher der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg den Zerfall eines toten Wisentbullen im tschechischen Sumava-Nationalpark an der bayerischen Ländergrenze. Im Fokus des Projekts "Belassen von Wildtierkadavern in der Landschaft" steht die Artenvielfalt. An Wildtierkadavern bedienen sich Wirbeltiere wie der Wolf, Luchs und Seeadler, die große Masse aber bilden die Insekten. Verschiedene Arten von Käfern und Fliegen ernähren sich von Aas und nutzen Kadaver für die Aufzucht ihrer Larven.
Tatsächlich wurde auf dem Kadaver des Wisents eine Art entdeckt, mit der man auf über 900 Metern Höhe nicht gerechnet hatte: die Schmeißfliegenart Chrysomya albiceps, die eher in Südeuropa oder den Tropen vorkommt. Für die Forensik kann das bei Mordermittlungen zum Problem werden: Ist die Fliege auf der Leiche, fehlen mit großer Wahrscheinlichkeit Beweise.
Gefundenes Fressen für Chrysomya albiceps: Mehr als zwei Monate lang beobachteten Forschende der JMU Würzburg den Zerfall eines toten Wisentbullen im tschechischen Sumava-Nationalpark.
Beweismaterial für die forensische Insektenkunde
Der Insektenbefall auf Leichen kann forensischen Insektenkundigen viele wichtige Hinweise liefern. Aquatische Insekten wie die Köcherfliegenlarven etwa können anzeigen, wie lange eine Leiche im Wasser lag.
Generell verraten Insekten, die an ein bestimmtes Habitat gebunden sind, ob eine Leiche an einem anderen Ort war und bewegt wurde. Ein solcher Habitatsanzeiger ist die Rothalsige Silphe, ein Aaskäfer, der ausschließlich im Wald vorkommt. "Würde man auf dem Acker die Leiche finden, hieße das, dass die Leiche vorher im Wald war und an eine andere Stelle geschafft worden ist", erklärt Kadaver-Ökologe Christian von Hoermann von der JMU Würzburg.
Auch die Liegezeit einer Leiche kann anhand von Insekten und deren Larven bestimmt werden. Damit lässt sich der Todeszeitpunkt eingrenzen. Indem sich die Insekten von der Leiche ernähren, nehmen sie auch eingenommene Substanzen auf. Das heißt, sogar Gifte können durch Insekten nachgewiesen werden, nachdem sie an der Leiche nicht mehr nachweisbar wären.
Chrysomya albiceps stößt nach Norden vor
Die Larven der Schmeißfliege Chrysomya albiceps können für die forensische Insektenkunde zum Problem werden. Anders als andere Fliegenlarven ernährt sich die Chrysomya-Larve nicht nur von Zersetzungsflüssigkeit, sondern sie frisst auch andere Maden. Vieles was forensische Insektenkundige ablesen könnten, wird verfälscht.
Das verfälschte Bild bedeutet aber kein Aus für die forensische Insektenkunde, entwarnt von Hoermann. "Die Forensiker wissen von der Schmeißfliege. Was sie brauchen, sind sehr detaillierte Karten, wo die Fliege überall vorkommt. In Laborstudien wird ein Korrekturfaktor ermittelt, sodass die Leichenliegezeiten korrigiert werden."
Dass die invasive Schmeißfliege Chrysomya albiceps durch den Klimawandel immer mehr nach Norden vorstößt, heißt also nicht, dass Morde nicht mehr aufgeklärt werden können. Die Kadaver-Forschung leistet ihren Beitrag für die forensische Entomologie, also die Insektenkunde.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Forschenden weitere Arten auf dem toten Wisent finden, die es lange nicht mehr oder noch nie in Deutschland gab.
Das Wisent ist in Deutschlands Natur seit mehr als 200 Jahren ausgestorben und deshalb von besonderem Interesse für die Kadaver-Ökologen.
Mehr neue und alte Arten erwartet
Der Kadaver des Wisents wird im Sumava-Nationalpark belassen, bis die Natur ihn vollständig verarbeitet hat. Der Winter wird für die Kadaver-Ökologen besonders spannend, denn dann werden Kadaver zu einer wichtigen Nahrungsquelle für Wirbeltiere.
Der Wisent ist in Deutschlands Natur seit mehr als 200 Jahren ausgestorben und deshalb von besonderem Interesse für die Kadaver-Ökologen. Aber auch schlicht wegen seiner großen Biomasse. Tiere sehen und riechen den Kadaver besser, und es gibt mehr zu fressen beziehunsgweise zu zersetzen.
Die Chancen stehen gut, dass der große Kadaver noch viele Arten anlockt. Vielleicht sogar den in Deutschland vom Aussterben bedrohten Aaskäfer Nicrophorus germanicus, der auf ganz große Kadaver spezialisiert ist.
Wildtierkadaver möglichst in der Natur belassen
Seit große Tiere wie der Wisent in Deutschland nicht mehr vorkommen und totes Wild von Jagd- und Forstbetreibenden aus dem Wald geschafft wird, sind die Arten, die von Aas leben, zurückgegangen. Kadaver-Ökologe von Hoermann spürt den Artenrückgang: "In Wäldern, in denen sehr stark Forstwirtschaft betrieben wird, waren die Zersetzungsraten, also die Zeit, bis ein Kadaver komplett umgearbeitet war, viel länger, weil in dieser Besiedlungskette bestimmte Arten fehlen."
Das Belassen von Kadavern in der Natur ist für die Biodiversität ein Geschenk. Trotzdem ist es nicht zu empfehlen, das verstorbene Haustier oder den verhassten Nachbarn im Wald zu belassen. Es ist verboten, und die Forensik weiß zu viel über die Schmeißfliege Chrysomya albiceps, um als Mörder nicht aufzufliegen