David Baker, Demis Hassabis und John M. Jumper.

Chemie-Nobelpreis Sie lüfteten das Rätsel der Proteine

Stand: 09.10.2024 18:21 Uhr

Es galt als eines der großen Rätsel der Biologie: Wie lassen sich Proteine zusammenfalten? Die diesjährigen Chemie-Nobelpreisträger haben es gelöst - und so das Verständnis von Proteinen revolutioniert.

Von Lilly Zerbst, David Beck und Ralf Kölbel, SWR

Proteine sind die Basis des Lebens. Sie bilden Knochen, Haut und Haare. Und sie schützen vor Krankheiten, denn auch Antikörper sind Proteine. 

Lange galt es als der Heilige Gral der Biologie, nachzuvollziehen, wie sich Proteine zusammenfalten. Die diesjährigen Nobelpreisträger John Jumper und Demis Hassabis haben dieses Rätsel gelöst. Der dritte Nobelpreisträger, David Baker, schaffte es, Proteine gezielt herzustellen - zum Beispiel für die Herstellung von Medikamenten oder zum Abbau von Plastik in der Umwelt.  

Code der Protein-Struktur geknackt

Proteine bestehen aus Ketten von Aminosäuren. Für ihre Funktion ist es nicht unbedingt entscheidend, in welcher Reihenfolge welche Aminosäuren auftreten, sondern viel mehr, wie sich diese Ketten im dreidimensionalen Raum zusammenfalten. 

Oft ist aber nur die Abfolge der Aminosäuren bekannt, nicht aber die dreidimensionale Struktur. Ohne die bleibt auch die Funktion des Proteins verborgen. Theoretisch gibt es für jedes Protein Millionen von Möglichkeiten, wie es zusammengefaltet sein könnte. In der Regel kommt in der Natur aber nur eine davon vor. 

Bis 2020 der Durchbruch geschah, war die einzige Möglichkeit, die Struktur eines Proteins festzustellen, mit extrem aufwendigen Methoden experimentell nachzumessen, was oft Wochen, manchmal Jahre gedauert hat, manchmal ganz unmöglich war.
Heiner Linke, Vorsitzender des Nobelkomitees für Chemie.

Den frisch gebackenen Nobelpreisträgern John Jumper und Demis Hassabis gelang es, ein Computer-Vorhersagemodell zu entwickeln, das aus der Aminosäuren-Sequenz die Struktur und damit die Funktion von Proteinen vorhersagen kann.  

Andrew Torda, Institut für Biochemie und Molekularbiologie Uni Hamburg, über die Vergabe des Nobelpreises für Chemie

tagesschau24

Künstliche Intelligenz ermöglichte den Durchbruch

Das erreichten die beiden Forschenden mithilfe von Künstlicher Intelligenz. Ihr KI-Modell AlphaFold2 wurde an zahlreichen Protein-Strukturen trainiert. So konnte die KI lernen, wie sich die Aminosäuren dreidimensional anordnen würden, ohne die komplexen physikalischen Kräfte dahinter verstehen zu müssen. Inzwischen konnten die Forscher die Struktur fast aller 200 Millionen bekannten Proteine vorhersagen. 

"Ich habe immer gedacht, wenn wir KI auf die richtige Art und Weise entwickeln können, könnte sie das ultimative Werkzeug sein, um Wissenschaftlern zu helfen, das Universum um uns herum zu erforschen. Und ich hoffe, AlphaFold ist ein erstes Beispiel dafür", so der Nobelpreisträger Hassabis.  

Proteine nach Anleitung herstellen

Der dritte Nobelpreisgewinner, David Baker, näherte sich den 3D-Strukturen von Proteinen von der anderen Seite: Er überlegte sich, wie Proteine aussehen müssten, um eine bestimmte Funktion zu erfüllen und welche Aminosäurekette er dann dafür bräuchte. 

Mit seinem Team an der Universität von Washington gelang es ihm bereits 2003, ein Computerprogramm zu entwickeln, das einen Bauplan für völlig neue Proteine ausgeben kann. 

"Man könnte zum Beispiel eine Struktur zeichnen, die noch nie jemand gesehen hat, ein völlig neues Protein, und dann versuchen, eine Sequenz zu finden, die dieses Protein ergibt. Dann könnte man ins Labor gehen und diese Sequenz herstellen, und so könnte man völlig neue Proteine herstellen, die in der Natur noch nie gesehen wurden", erklärt Johan Åqvist, Mitglied des Nobelpreiskomitees für Chemie. 

Neue Proteine - Einsatz in Medizin und Umweltschutz

Baker und sein Team könnten mithilfe ihres Programms Proteine gezielt so zusammensetzen, dass sie beispielsweise vor einem pandemischen Virus schützen könnten. Daran arbeitete Baker bereits zu Zeiten der Corona-Pandemie.  

 "Ich war sehr begeistert von der Idee eines Nasensprays aus kleinen Proteinen, das vor allen möglichen pandemischen Viren schützen würde.
David Baker, Chemie-Nobelpreisträger 2024

Es könnten aber auch Proteine gezielt so hergestellt werden, dass sie auf bestimmte Stoffe wie Fentanyl reagieren. Damit könnten kleinste Spuren von Drogen nachgewiesen werden. Das Prinzip ließe sich ausweiten, um Schadstoffe nachzuweisen: "Unsere Methode sollte generell für den Nachweis giftiger hydrophober Verbindungen in der Umwelt nützlich sein", heißt es in einer Mitteilung des Forschungsteams von Baker. Weiter könnten Proteine entwickelt werden, die Plastik zersetzen. Auch dazu gibt es bereits Forschung. 

Es ist der Anfang, eine völlig neue Welt von Proteinen zu schaffen, die viele der Probleme lösen könnte, mit denen wir Menschen im 21. Jahrhundert konfrontiert sind. Jetzt ist es möglich, neue Proteine zu entwickeln, die uns in so vielen unterschiedlichen Bereichen helfen können.
David Baker, Nobelpreisgewinner

David Baker - Der Weg zum Protein-Designer

David Baker wurde am 6. Oktober 1962 in Seattle geboren. Dort ist der US-Amerikaner Professor für Biochemie an der University of Washington. Mit seinem Rosetta-Algorithmus ist es möglich, für ein gewünschtes Protein die notwendigen Aminosäure-Sequenzen, also die "Zutaten" zum Bau des Proteins, zu erschließen.  

Baker war auch an der Gründung des Foldit-Projekts beteiligt. Das ist ein Online-Wettbewerb, bei dem die Community versucht, die bestmögliche Struktur von Proteinen abzuleiten. Die Programme dafür konnte sich jeder herunterladen und damit im Prinzip im Wohnzimmer zu Hause Proteine designen. 

Demis Hassabis und John Jumper - Pioniere der KI-Forschung

Demis Hassabis wurde am 27. Juli 1976 als Sohn eines zyprischen Vaters und einer aus Singapur stammenden Mutter in London geboren. Der Informatiker begann seine Karriere in der Computerspielindustrie. Dort arbeitete er an der KI für Spiele wie Syndicate und Theme Park.  

Hassabis ist Mitbegründer und CEO von DeepMind, einem führenden Unternehmen für KI-Forschung, das 2014 von Google übernommen wurde. 2024 wurde er zudem für seine Verdienste um die KI zum Ritter geschlagen. 

John M. Jumper wurde am 1. Januar 1985 in Little Rock im US-Bundesstaat Arkansas geboren. Er ist ein amerikanischer Chemiker und Experte für Künstliche Intelligenz. Wie Hassabis forscht auch er bei DeepMind Technologies und war wesentlich an der Entwicklung von AlphaFold beteiligt. Für die Entwicklung von AlphaFold erhielt Jumper bereits den BBVA Foundation Frontiers of Knowledge Award und den Breakthrough Prize in Life Sciences.  

DeepMind entwickelte auch die KI AlphaGo, die auf das Brettspiel Go trainiert ist. Das Spiel gilt als wesentlich komplexer als Schach und selbst nachdem der damalige Schachweltmeister Gary Kasparov von dem Computer DeepBlue von IBM geschlagen wurde, bezweifelten Experten, ob ein Computer jemals die besten Go-Spieler schlagen könnte. AlphaGo gewann 2016 vier von fünf Partien gegen den damals stärksten Go-Spieler, den Südkoreaner Lee Sedol, der daraufhin seine Karriere beendete. 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 09. Oktober 2024 um 18:50 Uhr.