Bioraffinerie aus Insekten Recycling mit tierischer Unterstützung
Erst mit Biomüll gefüttert, dann weiterverarbeitet: Ein Stuttgarter Forschungsteam gewinnt aus Insektenlarven Stoffe, die sonst aus Erdöl bestehen - etwa für Seife oder Kosmetik.
Über zehn Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle entstehen pro Jahr allein in Deutschland. Der größte Teil stammt aus Privathaushalten sowie aus der Gastronomie und Kantinen. Bioabfälle lassen sich unter anderem zu Komposterde verarbeiten oder zur Erzeugung von Biogas nutzen. Doch Essensreste bereiten Probleme, wenn sie auch Fleischreste enthalten.
Ein Forschungsteam aus Stuttgart hat nun ein neues Verfahren entwickelt, mit dem sich innerhalb von nur einer Woche aus diesen Abfällen hochwertige Rohstoffe gewinnen lassen: Der Biomüll wird an gefräßige Insektenlarven verfüttert, die später selbst weiterverarbeitet werden können - zu Medizinprodukten, Textilien, Seife oder Klebstoffen.
"Die Natur kennt keinen Abfall"
Zehntausende kleine Larven tummeln sich in einem Turm aus blauen Plastikboxen in der Bioraffinerie am Fraunhofer Institut für Grenzflächen und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart.
Im Zentrum steht das Insekt Hermetia illucens. Das ist die Schwarze Soldatenfliege, deren Larve relativ viel Bioabfall verwerten kann. Gefüttert werden die Larven etwa mit Kantinenabfällen, die normalerweise in einer Biogasanlage landen würden.
Das Potenzial dieser Abfälle ist groß, erklärt der Insektenzüchter Konstantin Katz gegenüber dem SWR: "Die Natur kennt ja keinen Abfall. Und da gibt es in jeder Nische irgendein Tier, das sich auf irgendeine Nahrung spezialisiert hat."
Ein Forscher am Fraunhofer Institut für Grenzflächen und Bioverfahrenstechnik verarbeitet die Insekten weiter.
Insektenlarven verarbeiten auch Fleisch
Die Larven fressen den Biomüll und werden anschließend weiterverarbeitet. Es ist eine nachhaltige Methode, um Rohstoffe zu gewinnen, die sonst aus Erdöl bestehen.
Dabei werden verschiedene Abfälle verwendet, erklärt Susanne Zibek, wissenschaftliche Leiterin des Projekts. Verarbeitet werden laut Zibek die Biotonnen aus den Haushalten, Abfälle aus der Gastronomie und aus Kantinen, die nicht verwertet werden können, und im Prinzip auch verdorbene Lebensmittelrückläufe aus dem Einzelhandel.
Das Besondere: Die Larven bekommen auch Fleisch zu fressen. Eigentlich ist das in der EU verboten, da die Larven als Nutztiere gelten. Bei Abfällen ist das jedoch ein Problem, denn Kantinenabfälle können nicht gut separiert werden. Daher hat das Forschungsteam eine Ausnahmegenehmigung zum Füttern tierischer Nebenprodukte bekommen.
Aus Larven werden Fett und Protein
Zusammen mit den Bioabfällen werden die Insektenlarven in Boxen auf dem Dach des Instituts untergebracht. Nach einer Woche haben sich die Larven durch die Kantinenabfälle gefressen. Von den Essensresten ist kaum etwas übrig. Dafür hat sich aber das Gewicht der Larven verzehnfacht.
Anschließend werden die Larven abgetötet, getrocknet und weiterverarbeitet. Dabei entsteht Fett, ähnlich wie bei einer Ölpresse. Aus der Restmasse wird Protein gewonnen, aus dem später Klebstoffe entstehen können.
Aus den Insektenlarven gewonnene Rohstoffe liegen in Petrischalen.
Von Larven zu Seife und Shampoo
Das Fett verwendet das Forschungsteam weiter, um Reinigungsmittel und Seifen herzustellen - dafür braucht es sogenannte Tenside, erklärt die Biotechnologin Sabrina Rechtsteiner: "Für herkömmliche Tenside werden fossile Rohstoffe verwendet oder auch nachwachsende Rohstoffe wie Palmöl oder Kokosöl. Wir erforschen nachhaltige Alternativen zu diesen Tensiden."
Manche Tenside haben eine eher schäumende Wirkung, was sie sehr geeignet für zum Beispiel Shampoos macht. Wieder andere haben eine besonders gute Wirkung als Emulgator und können daher gut in Nahrungsmitteln oder Kosmetika eingesetzt werden. Emulgatoren sind Zusatzstoffe, die es ermöglichen, eigentlich nicht miteinander mischbare Substanzen zu vermischen - etwa Öl und Wasser.
Chitin der Insekten hat Nutzen für die Medizin
Die Vision der Forschenden ist es, alles aus der Larvenzucht zu verwerten, selbst die Ausscheidungen und den Insektenpanzer, der aus sogenanntem Chitin besteht.
"Das Chitin hat sehr vielfältige Eigenschaften", sagt Bioverfahrenstechniker Thomas Hahn. Es werde zum Beispiel in der Lebensmittelindustrie als Fettbinder eingesetzt. Und es komme auch in der Textilindustrie und der Medizin zum Einsatz.
Puzzleteil für eine nachhaltige Zukunft?
Noch funktioniert das Ganze aber nur im Pilotmaßstab von einigen Hundert Kilogramm. Doch wenn der Plan des Forschungsteams aufgeht, könnte in Zukunft deutlich mehr ungenutzter Biomüll von Larven gefressen werden - und weniger nachhaltige Rohstoffe ersetzen.
Die Hoffnung sei, mehr Nachhaltigkeit in den Bereich der Tenside, Schmierstoffe, Kraftstoffe und auch Klebstoffe zu bringen, erläutert Zibek. So könnten Insektenlarven zu einem möglichen Puzzleteil auf dem Weg in eine nachhaltigere Zukunft werden.