Lieferungen aus der Ukraine Weizen-Züge gegen die Hungerkatastrophe?
In der Ukraine stecken 25 Millionen Tonnen Weizen fest - Lieferungen, die der Weltmarkt dringend braucht. Doch die Häfen sind blockiert. Können Güterzüge die Transporte übernehmen?
Der Hof von Torben Reelfs liegt 40 Kilometer südlich von Lwiw. Auf 1900 Hektar Land bauen sie dort mit ihren ukrainischen Partnern Weizen, Gerste, Mais und Soja an. Er selbst lebt in Buckow nahe Berlin - per Videokonferenz hält er den Kontakt zu seinen Mitarbeitern. Die Aussaat haben sie fast geschafft, wenn es noch ein bisschen regnet, könnte die Ernte gut ausfallen.
Doch bis dahin müssen die Lager geleert werden - 500 Tonnen Getreide haben sie von der letzten Ernte noch in den Silos liegen. "Davon ist ein Teil schon verkauft, aber die kommen nicht weg, weil der Käufer keinen Platz hat", erzählt Torben Reelfs. Vor dem Krieg wurde das Getreide per Bahn nach Odessa gefahren, dort auf Schiffe verladen. Doch die Häfen sind jetzt blockiert. "Du kommst nicht raus. Das ist das ganze Problem", sagt Bogdan Husak, der Geschäftsführer des Hofes.
Bis zu drei Züge von DB Cargo pro Tag
Der nächste Umschlagpunkt, an dem sie ihr Getreide in Züge verladen könnten, ist nur wenige Kilometer entfernt - und durch einen russischen Raketenangriff zerstört. Bleibt nur der Weg durch die Karpaten mit dem Lkw. Würde heißen: 25 Lkw-Touren. Doch auch die Lastwagen sind knapp, genauso wie Treibstoff. Und genug Züge gibt es auch nicht.
Bis zu drei Züge der DB Cargo fahren nach Angaben der Bahn derzeit täglich mit Agrarprodukten Richtung Westeuropa. Bis die wieder verfügbar sind und neu beladen werden können, dauert es derzeit zwischen 16 und 30 Tagen. Ersetzen können diese Transporte den bisherigen Weg nicht. Wenn bisher 90 Prozent des Getreides über die Seehäfen exportiert worden seien, werde man an Kapazitätsgrenzen auf der Schiene komme, sagt Bahnchef Lutz.
Doch die Kapazität ist nur ein Problem. Die Logistik das andere. Das fängt bei den Spurbreiten an: Als ehemaliger Teil der Sowjetunion hat die Ukraine ein anderes Schienensystem als der Rest Europas. Heißt: Breitspur trifft auf Normalspur. Das bedeutet am Ende, dass die Waren an der Grenze in andere Züge umgeladen werden müssen.
Lok-Wechsel kostet Zeit
"Das ist ein Engpass", heißt es von der Allianz pro Schiene. Und es ist nicht der Einzige. Die Schienenwege seien insgesamt nicht vernünftig ausgebaut - ein Problem, das seit Jahren bekannt ist. Allein von den sieben deutsch-polnischen Grenzübergängen ist nur ein einziger elektrifiziert. Züge, die die Grenze überqueren wollen, müssen daher mehrfach die Lokomotive wechseln: von der E-Lok zur Diesellok, und dann wieder zurück. Das kostet nicht nur Geld, sondern verlängert auch die Transportzeit. Dadurch können die Waggons nicht schnell genug in den Umlauf kommen und blockieren die Gleise.
Die EU plant, bis zu 20 Millionen Tonnen Agrarprodukte auf dem Landweg nach Europa zu bringen. Auch DB Cargo soll daran beteiligt werden. Die Bahn hat schon im März begonnen Hilfsgüter über die so genannte Schienenbrücke in die Ukraine zu bringen. Jetzt sei sie dabei, eine "Schienenbrücke" dahingehend zu befähigen, künftig große Mengen an Agrarprodukten zu Häfen an der Nordsee und der Adria zu transportieren, sagte Bundesverkehrsminister Volker Wissing von der FDP am Dienstag bei einem Treffen mit EU-Verkehrskommissarin Adina Vălean in Berlin.
Bedrohung durch Schädlinge
Wie viele Transporte auf welchen Strecken überhaupt möglich wären, darüber schweigen die Beteiligten, auch aus strategischen Gründen. Denn Russland hat immer wieder Bahnstrecken in der Ukraine bombardiert. Doch sie machen deutlich, dass es eine europäische Mammutaufgabe wird, die Rohstoffe, aus der Ukraine herauszubekommen, um eine Hungerkatastrophe zu verhindern. Denn die Ukraine ist einer der weltgrößten Weizenexporteure.
Und es geht um mehr als die vergangene Ernte. Es geht um die zukünftigen. Wenn die Speicher nicht leer sind, fehlt nicht nur der Platz für die neue Ernte. Es drohen auch hohe Verluste durch Schädlinge. In einem Monat, so erklärt es Torben Reelfs, müsse das Lager leer sein, um Infektionsketten zu verhindern. Sonst sei das Risiko, dass die neue Ernte durch Kornkäfer vernichtet werde, zu groß. Er und seine Partner können nur hoffen - darauf, dass wirklich alle zusammenarbeiten, um die Ernten zu retten. Und sie hoffen auf ein Ende des Krieges.