Energiekosten und Rohstoffmangel Italien bangt um den Aufschwung
Nach dem Corona-Einbruch war Italiens Wirtschaft wieder durchgestartet. Wegen der Folgen des Ukraine-Kriegs könnte es nun zum schweren Rückschlag für das Land kommen.
Das Strandrestaurant La Capannina in Anzio südlich von Rom ist bis auf den letzten Platz besetzt, es ist Wochenende. Fritto misto, frittierte Fische und Meeresfrüchte sind besonders beliebt, aber heute muss Fulvio seine Gäste immer wieder enttäuschen. "Die Fischerboote sind nicht ausgefahren, wegen des Problems mit dem Diesel und all dem anderen", sagt er. "Deshalb gibt es wenig Fisch. Wir haben schon Fisch kaufen können, aber es war nicht alles im Angebot." Die hohen Dieselpreise setzen die Fischer unter Druck, der Fang lohne sich nicht mehr. Tagelang haben sie gestreikt, viele Regale blieben leer. Die Folgen des Krieges in der Ukraine sind immer mehr und immer häufiger zu spüren.
Fast das gesamte Gas wird importiert
Die Stahlunternehmerin Emma Marcegaglia ist eine gewichtige Größe in Italien, sie hat bereits den Industrieverband Confindustria geleitet und wurde jüngst in das internationale Beratungsgremium der OECD berufen. Im Interview rechnet sie vor: "Im Jahr 2020 beliefen sich die Stromkosten im verarbeitenden Gewerbe auf etwa neun Milliarden Euro. Heute gehen wir von 55 Milliarden aus." Das sei nicht haltbar, so Marcegaglia: "Wir haben dementsprechend schon einige Firmen in der Keramikindustrie, Gießereien, auch einige Stahlunternehmen, die zeitweise die Produktion stoppen, weil die Produktion Verluste verursacht."
Italien ist stark von Gas abhängig, mehr als 90 Prozent davon muss das Mittelmeerland importieren. Dies wird nun zum unkalkulierbaren Risiko für die Unternehmen, die sich schon seit Jahrzehnten mit hohen Stromkosten herumschlagen. Die Regierung unter Ministerpräsident Mario Draghi steuert dagegen, zuletzt am Freitag mit 4,4 Milliarden Euro. "Mit diesen Maßnahmen greifen wir ein, um Bürgern und Unternehmen angesichts der hohen Strompreise zu helfen", so Draghi. "Ein besonderes Augenmerk gilt den bedürftigen Familien und den Produktionsketten, die am meisten gefährdet sind."
Möbelbranche auf Materialsuche
Das größte Risiko: Die hohen Kosten könnten den Aufschwung abwürgen, der gerade erst begonnen hatte und die Schuldenlast des Landes vermindern sollte. Vor allem die Möbelbranche hatte nach der Corona-Pandemie richtig losgelegt, ein Auftrag nach dem anderen landete auf den Tischen der Hersteller. Doch jetzt drohen die Träume zu platzen.
Der Krieg hat die Probleme verschärft, die schon vorher bestanden, erzählt Claudio Feltrin, der Präsident des Holz- und Möbelverbandes. "Tag für Tag wird es schwieriger, Material zu beschaffen. Wenn man es dann findet, ist es viel teurer, als wir es eingeplant hatten. Die Gesamtkosten steigen. Ab einem gewissen Punkt müssen dann die Preise erhöht werden, doch dadurch werden unsere Produkte weniger wettbewerbsfähig."
Bereits im Januar hat Russland seine Holzexporte gestoppt. Dies reißt ein großes Loch, beim Birkenholz etwa deckt Russland 80 Prozent des Weltbedarfs ab. "In unserer Branche wird Birkenholz für Verpackungen gebraucht, für Pellets, für die Trägerschicht von Fertigparkett", sagt Feltrin. "Der Preis ist dabei nicht sehr hoch, doch die technische Funktionalität ist entscheidend. Jetzt wird es wirklich schwierig. Die Parketthersteller geraten in eine Krise, weil sie das Material nicht beschaffen können."
Andere Zulieferer aus Südostasien
Plötzlich müssen sich die Unternehmen nach neuen Lieferanten umsehen. Die Stahlfirma von Emma Marcegaglia zählt zu den zehn größten Familienunternehmen Italiens. Jedes Jahr verarbeitet sie rund 6,2 Millionen Tonnen Stahl. "Wir haben einen Teil des Rohstoffs von Russland und der Ukraine gekauft. Jetzt versuchen wir die Quellen zu diversifizieren", sagt Marcegaglia. "Wir waren plötzlich ohne diese Zulieferer und deshalb versuchen wir, und ich muss sagen, es gelingt uns auch, andere Zulieferer von Rohstoffen aufzutun, besonders in Südostasien."
Trotz aller Schwierigkeiten, davon ist die Unternehmerin überzeugt, wolle Italien seine Reformen vorantreiben und das Land modernisieren. Die Europäische Union stellt dafür über den Wiederaufbaufonds fast 200 Milliarden Euro an Krediten und Zuschüssen bereit, das Geld soll ins Digitale fließen, in erneuerbare Energien, in eine nachhaltige Wirtschaft. "Es ist klar, dass es Verzögerungen bei der Umsetzung geben wird, sollte der Mangel an Rohstoffen weiter anhalten", so Marcegaglia. Aber unsere Regierung und ganz Italien will die Ziele weiterverfolgen, die es mit der EU ausgemacht hat. Und wir werden alles tun, um es zur vereinbarten Zeit zu erreichen."