Deutsche Firmen in der Ukraine Mit Zurückhaltung in den Startlöchern
Kanzler Scholz setzt beim Wiederaufbau der Ukraine auf deutsche Firmen. Auch die Regierung in Kiew umwirbt sie. Viele Unternehmen allerdings zögern. Und das nicht nur, weil der Krieg noch andauert.
Als Russland beginnt, wieder verstärkt Wohnhäuser und Einrichtungen der kritischen Infrastruktur der Ukraine anzugreifen, will Michael Kraus gerade nach Lwiw reisen. Es ist der 10. Oktober, und der Geschäftsführer der Fixit-Gruppe aus Bayern befindet sich genau an der Grenze zwischen Polen und der Ukraine, als der Strom ausfällt und die Grenze geschlossen wird. Unverrichteter Dinge fährt er wieder zurück nach Deutschland. Eigentlich wollte Kraus mit seinen Kollegen über den Bau eines zweiten Werks im Westen des Landes sprechen. Er verschiebt den Termin.
Durchgängige Ausnahmesituation
Die Fixit-Gruppe von Kraus betreibt 80 Kilometer südlich von Kiew eine Fabrik für Baustoffe. Dort und in der Zentrale in der Hauptstadt arbeiten rund 130 Mitarbeiter, sie stellen Dämmmaterial und Farben her. Der Mittelständler gehört zu den rund 2000 deutschen Unternehmen, die in der Ukraine aktiv sind - unter zum Teil extrem schwierigen Bedingungen. Der deutsche Manager berichtet von häufigem Luftalarm und Versorgungsengpässen. "Es gibt auch Stromausfälle, oder es fehlen Lkw oder Bahnwaggons. Trotzdem haben wir es geschafft, dass der Jahresumsatz bei 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahr liegt."
Keine Welle von Neuinvestitionen
Deutsche Unternehmen wie die Fixit-Gruppe könnten eine entscheidende Rolle beim Wiederaufbau der Ukraine sprechen. Bundeskanzler Olaf Scholz hat beim deutsch-ukrainischen Wirtschaftsforum sogar gerade erst verdeutlicht, dass es ohne sie gar nicht gehen wird. Wie das gelingen kann, darüber wird im Ostausschuss der deutschen Wirtschaft seit Wochen gesprochen. Das Interesse deutscher Unternehmen ist groß, berichtet Geschäftsführer Michael Harms. Gleichzeitig dämpft er die Erwartungen und fordert mehr Realismus in der Debatte über den Wiederaufbau. "Solange die Kampfhandlungen andauern, werden wir nicht von einer großen Welle von Neuinvestitionen sprechen können. Es geht erst einmal darum, die Unternehmen am Laufen zu halten, die schon da sind."
Teure Kriegsversicherungen
Eine Einschätzung, die Friedrich Haas teilt. Der Bielefelder erstellt Risikoanalysen und Sicherheitskonzepte für mittelständische Unternehmen, die sich im Ausland niederlassen wollen. "Viele Firmen stehen in den Startlöchern. Gleichzeitig gibt es eine große Zurückhaltung deutscher Unternehmen". Laut Haas liegt das zum einen an den noch andauernden Kampfhandlungen und zum anderen an Versicherungsproblemen.
Weil in der Ukraine Krieg herrscht, greifen normale Versicherungen, die ein Unternehmen oder ein Mitarbeiter abgeschlossen hat nicht mehr, Versicherungen für Unfälle oder Berufsunfähigkeit beispielsweise. Die Firmen müssen deshalb teure Kriegsdeckungen abschließen. Die Tagessätze für einen Mitarbeiter haben in den vergangenen Monaten zwischen 100 und 500 Euro gelegen. "Für ein mittelständisches Unternehmen, das nur mal einen Verkäufer für ein paar Tage in die Ukraine schicken will, ist das versicherungstechnisch oft eine große Herausforderung", so der Risikoanalyst.
Korruption bleibt ein Problem
Ein anderes Thema, das deutsche Unternehmen umtreibt, ist die Korruption in der Ukraine. Im Index von Transparency International belegt das Land Platz 122 von 180. Auf dem europäischen Kontinent steht nur Russland noch schlechter da. Ein Thema auch für Scholz. Mehr Transparenz und ein entschiedener Kampf gegen die Korruption seien neben der Demokratie die Basis für die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Ukraine, so der Kanzler. Der Geschäftsführer der Fixit-Gruppe Kraus kennt die Ukraine seit 2007 aus erster Hand. Seit 2014 sieht er eine positive Entwicklung in den Bereichen Compliance und Wirtschaftsrecht. "Die Richtung stimmt und die Ukraine weiß ganz genau, welche Hausaufgaben sie machen muss, um für Investoren attraktiver zu werden."
Netzwerken für die Zeit nach dem Krieg
Nicht nur ukrainische Politiker wie Ministerpräsident Denys Schmyhal sind gerade in Deutschland unterwegs, um über den Wiederaufbau zu sprechen. Auch Anna Derevyanko ist gekommen und führt seit Tagen ein Gespräch nach dem anderen. Sie ist die Exekutivdirektorin der European Business Association, einem Interessenverband der Wirtschaft. Die Frau aus Kiew knüpft Kontakte zu Unternehmen und wirbt für deutsches Engagement in der Ukraine. Es geht ihr um ein Netzwerk für die Zeit nach dem Krieg. Sie berichtet von Unsicherheit, von Raketenbeschuss aber auch davon, dass die meisten Unternehmen einfach weitermachen, sich anpassen. Generatoren kaufen zum Beispiel, um weiter produzieren zu können. "Natürlich ist es möglich in der Ukraine gerade Geld zu verdienen und sie können als Unternehmen auch erfolgreich sein, ohne Schmiergeld zu zahlen."