Konsum und Glück Ich shoppe, also bin ich
Die Geschäfte sind wieder auf. Für viele Menschen war der Lockdown wie Entzug, denn Shoppen kann Glücksgefühle auslösen wie Drogen. Aber ist weniger vielleicht mehr - und macht es sogar glücklicher?
Um die 10.000 Dinge besitzt ein durchschnittlicher Haushalt in Europa laut Statistischem Bundesamt. Vor 100 Jahren hatte ein durchschnittlicher deutscher Haushalt 180 Dinge. Schätzungsweise knapp drei Millionen Menschen leben hierzulande in einem Haushalt mit drei Autos und mehr. In Schubladen liegen zwei Millionen alte Handys. Diese Liste könnte man fortführen: Fernseher, Kleidung, Deko-Artikel, die Ausstattung der Haushalte mit Gebrauchsgütern nimmt ständig zu und übersteigt bei weitem die Zahl der Dinge, die wir wirklich brauchen.
Das Raffen ist offensichtlich ein Instinkt, der dem Menschen in der Evolution angelegt worden ist. Verlässlich Dinge zu besitzen, sicherte das Überleben. Kaufen löst, zumindest kurzfristig, ein Hochgefühl aus. Es kann sogar eine richtige Sucht daraus werden, die Kaufsucht. Wer konsumiert, sucht damit auch Bestätigung, will dazugehören - es geht ums Mithalten, aber auch um Abgrenzung und um den Ausdruck von Individualität. Dabei sind Käufer oft ihren Instinkten ausgeliefert. Zwei Drittel aller Kaufentscheidungen werden spontan im Geschäft getroffen, als sogenannte Impulskäufe.
Das Teelichter-Phänomen
Marketing-Strategen und Werbeexperten nutzen diese Verhaltensweisen aus, um die Menschen zum Kaufen zu animieren. Wie sehr das Handwerk der Verführung perfektioniert sein kann, zeigt ein Gang durch eine Ikea-Filiale. Es scheint unmöglich, nichts zu kaufen. Ein Kissen hier, eine Karaffe dort, zum Schluss noch Teelichter. Spontan greifen wir zu, auch wenn wir solche Produkte längst daheim haben. Warum? "Das kann einmal ein rein funktionaler Bedarf sein, aber auf der anderen Seite eben auch ein emotionaler: Ich möchte es gemütlicher haben, ich möchte es einfach schöner haben", sagt Janet Wittmaack, stellvertretende Filialleiterin von Ikea in Frankfurt.
Der Psychologe Jens Förster weist auf den Nachteil hin: Der Kick beim Shoppen ist immer ganz schnell weg. "Wenn man unbedingt Geld ausgeben möchte, dann bieten sich Erlebnisgüter an, das sind solche Dinge wie Reisen", sagt Förster. Da bleibe die Erinnerung, "und das macht nachhaltig gesehen glücklicher".
Konsumtrend Minimalismus
Eine ganze Industrie propagiert inzwischen das Gegenteil. Denn viel zu besitzen, ist heute nicht mehr so en vogue. Wenig zu besitzen, aber dafür das Richtige, ist ein Megatrend. Die japanische Bestsellerautorin Marie Kondo etwa, die auch als "Königin des Minimalismus" gilt, verkauft in ihrem Online-Shop Gegenstände für ein minimalistisches Leben. Sonst schreibt sie Ratgeber darüber, wie glücklich Aufräumen und Aussortieren machen.
Birgit Blättel-Mink ist Professorin für Soziologie an der Goethe-Universität in Frankfurt und forscht unter anderem zu Konsum-Themen. Statt Konsumverzicht gebe es oft einfach nur eine Konsumverschiebung, glaubt sie: "Wenn jemand sagt, ich verzichte auf Kleidung, ich brauche eigentlich nicht so viel - dann beobachten wir oft so etwas wie einen sogenannten Rebound-Effekt. Also ich spare hier. Dafür kann ich mir an einer anderen Seite mehr leisten." In solchen Fällen gehe es dann vielleicht nicht um einen tiefgreifenden Wandel oder mehr Nachhaltigkeit, sondern eher um ein "subjektiv gutes Gewissen". Dann sind es eben nur drei sehr teure Shirts statt zehn günstigere. Minimalismus wie er auf Instagram und Co. zelebriert wird, muss man sich leisten können.
Konsum ist die Arbeit der anderen
Konsum ist die Voraussetzung dafür, dass unsere Wirtschaft läuft. Verzichten alle auf Konsum, wäre das eine Katastrophe, sagt Adalbert Winkler, Wirtschaftswissenschaftler an der Frankfurt School of Finance and Management. Er erforscht die Folgen des Corona-Lockdowns. "Diejenigen, die Güter und Dienstleistungen angeboten haben, hatten kein Einkommen, und wenn der Staat nicht mit Transferzahlungen geholfen hätte, dann hätte dieser Einkommensrückgang bedeutet, dass diese Personen wiederum auch nicht hätten konsumieren können, was wiederum alle anderen betroffen hätte", sagt Winkler. "Wir wären in eine dramatische Rezession hineingekommen."
Zugespitzt heißt das: Wenn alle asketisch leben, droht der volkswirtschaftliche Ruin. Es ist relativ leicht, Konsumverzicht zu propagieren, wenn das eigene Einkommen nicht belastet wird. Was denn nun also? Ganz spartanisch zu leben und auf Konsum zu verzichten scheint auch keine Lösung zu sein. Genauso wenig wie minimalistisches, elitäres Kaufverhalten für die breite Gesellschaft eine Option ist.
Für die meisten dürfte gelten: Darüber nachzudenken, wie man konsumiert, kann nicht falsch sein. Dazu gehört die Einsicht, dass der Glücksrausch beim Shoppen nur kurzfristig ist. Und viele Dinge schnell zur Belastung werden können - wenn der Keller voll ist und man sich fragen muss: Wohin eigentlich mit dem ganzen Zeugs?