Leerstand im Einzelhandel Wenn Einkaufszentren zu Freizeitparks werden
So manchen deutschen Einkaufszentren droht die Verödung - fehlende Kunden und harte Online-Konkurrenz führen zu immer mehr Leerstand. Die Betreiber versuchen, mit kreativen Ideen dagegenzuhalten.
Mit strahlenden Augen kommt Lotta aus der "Zipline". Die Seilrutsche ist keinesfalls ein Fahrgeschäft im Freizeitpark, sondern schwebt unter dem Dach des Einkaufszentrums Loop 5 im südhessischen Weiterstadt bei Darmstadt. Damit ist die "Zipline" Teil eines neuen Konzepts, das hier Anfang November vorgestellt und offiziell eröffnet wurde. Lotta freut sich, dass sie und ihre Cousine spielen können, während die Erwachsenen einkaufen. "Ich finde das sehr cool", sagt die Zehnjährige.
Neben der "Zipline" gehören zum neuen Konzept auch ein 15 Meter hoher Freefall-Tower, ein Kletterturm über mehrere Etagen und viele weitere Attraktionen. Für einige von ihnen zahlen Besucher - je nach Uhrzeit und Tag - zwei bis sechs Euro pro Fahrt. Lottas Oma findet das ziemlich teuer: "Die Erwachsenen müssen auch ein dickes Portemonnaie mitbringen, wenn man mit mehreren Kindern kommt." Der Opa sieht im neuen Angebot trotzdem Entspannung, denn so sei den Kindern nicht mehr langweilig.
Die Eltern shoppen, die Kinder spielen: Das Loop 5 in Weiterstadt ist Einkaufszentrum und Freizeitpark zugleich.
Die Tischtennis-Lounge soll anlocken
Tobias Hein von von iVents Entertainment ist stolz auf das neue Konzept seines Unternehmens im Center: "Dieses Konzept ist einzigartig in Deutschland." In Asien oder den USA gebe es ähnliche Modelle, aber eben nicht hier, sagt der Betriebsleiter. Man habe sich entwickelt vom Shopping- zum Erlebniscenter.
Für Center-Betreiberin Nicole Kurtovic ist es der Versuch, mehr Kunden für sich zu gewinnen "und natürlich wirklich attraktive potenzielle Mietpartner ins Haus zu bekommen". Denn zuletzt hatte das Einkaufszentrum mit immer weniger Besuchern und deshalb auch mehr Leerständen zu kämpfen. Viele der Flächen bespielen die Centerbetreiber aktuell selbst, so zum Beispiel mit einer Tischtennis-Lounge. Platz gäbe es für 140 Shops, sagt Kurtovic. Wie viele genau aktuell leer stehen, will sie nicht sagen.
Viele Zentren müssen kämpfen
Das Loop 5 ist längst nicht der einzige Shoppingtempel, der in Deutschland mit Leerstand und weniger Kunden zu kämpfen hat. Die Liste ist von Nord nach Süd lang. Christian Schulze von der Frankfurt School of Finance and Management hält das Problem für ein internationales. Generell hätten es Einkaufszentren vielerorts schwer. "Wenn man erst mal anfängt, einigen Leerstand zu haben, ist die große Gefahr, dass das dann einreißt." Sobald große und wichtige Shops die Center verließen und ein Nachbesetzen nicht direkt gelinge, habe das auch einen Effekt auf andere Mieter, die sich dann zurückzögen.
Maßgeblich für die Schieflage seien zwei Gründe: Zum einen sei der Onlinehandel eine große Konkurrenz. Hinzu komme noch die aktuell angespannte wirtschaftliche Situation. Nach einigen Ladenschließungen während der Corona-Pandemie und der hohen Inflation gebe es nun die politische Unsicherheit, die für Händler und Zentren nicht einfach sei.
Ein großer Magnet kann helfen
Doch es gibt auch immer noch Zentren in Deutschland, die gut laufen. Ein Beispiel hierfür das Main-Taunus-Zentrum (MTZ) in Sulzbach. Nach Angaben des Centermanagements ist es eines der Umsatzstärksten in der Republik. Von den insgesamt 170 Läden steht aktuell keiner leer. Hier habe man es geschafft durch große, attraktive Shops wie zum Beispiel den Apple-Store Kunden und Mieter für sich zu gewinnen, so Schulze. Wenn man auf diese Weise attraktiv geworden sei, habe man "auch eine gute Chance, das zu bleiben".
Für Centermanager Daniel Quaas ist es vor allem das offene Konzept und die Größe des Zentrums, die Möglichkeiten biete, Vielfalt darzustellen. Das Center feierte in diesem Jahr sein 60-jähriges Bestehen. Für Quaas ist auch die lange Historie und der Bezug der Menschen zum Center Teil des Erfolgs. Außerdem sei man stetig im Wandel gewesen und habe die Bedürfnisse der Kunden dabei berücksichtigt. Beleg dafür sind die traditionell kostenlosen Parkflächen.
Einzugsgebiet und Kaufkraft wichtig
Nicht unwesentlich dürfte auch das Einzugsgebiet sein. So gehört das MTZ laut Jones Lang LaSalle zu den Top Ten der Zentren mit dem größten Einzugsgebiet. Dazu zählen unter anderem auch der Ruhr-Park in Bochum, die Rathaus-Galerie und die Luminaden in Leverkusen sowie das Rhein-Center in Köln.
Auch die Kaufkraft der Einwohner im Einzugsgebiet des MTZ ist unter den zehn höchsten in Deutschland. Genauso ist es zum Beispiel im Rhein-Center in Weil am Rhein, in vier Einkaufszentren in München und im Stern Center in Sindelfingen.
Im Loop 5 findet man nicht nur Bekleidungsgeschäfte, sondern viele andere Dienstleister.
Der Mix macht's
Im MTZ will man sich trotzdem nicht auf seinem Erfolg ausruhen. Bereits im kommenden Frühjahr wird hier ein neuer "Food Garden" eröffnet. Gerade wird noch gebaut, doch die acht Gastronomie-Flächen seien bereits komplett vermietet, so Centermanager Quaas. Mit dabei sind unter anderem große Ketten, wie MoschMosch oder The Ash.
Der "Food Garden" erweitert auch den Brachen-Mix, den man deutschlandweit in den Shoppingcentern sieht. Denn laut EHI Retail Institute sind nur auf 23 Prozent der Flächen in Einkaufszentren Bekleidungsgeschäfte zu finden. Auch im Loop 5 wird dieser Mix deutlich. Neben klassischen Dienstleistern wie Frisör und Nagelstudio findet man hier auch ein Theater und eine Kfz-Zulassungsstelle.
Das neue Konzept mit Attraktionen und sogar Fahrgeschäften für jede Altersgruppe soll das nun abrunden. Die Betreiber hoffen, so langfristig erfolgreich zu sein. Erste Erfolge sind bereits sichtbar: Die Besucherzahlen seien in den ersten Novembertagen im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent gestiegen, so Centermanagerin Nicole Kurtivic.