Ein Mitarbeiter montiert ein Druckwerk.
hintergrund

Stellenabbau Der Wegfall von Industriejobs hat seinen Preis

Stand: 27.09.2024 10:14 Uhr

Der Arbeitsmarkt sei stabil, betont die Regierung. Doch ein Branchenvergleich zeigt: Der Arbeitsmarkt erlebt einen Strukturwandel - mit negativen Folgen für die Beschäftigten und den Wohlstand des Landes.

Der Ärger hat bei Erdal Tahta nicht nachgelassen. "Das kopflose Kaputtsparen der Standorte geht weiter. Das ist keine Strategie für mehr Zukunft, sondern ein Sparprogramm ohne Sinn und ohne Verstand." Tahta ist in Koblenz Betriebsratsvorsitzender des Automobilzulieferers ZF. Das Unternehmen will bis 2028 insgesamt 14.000 Stellen in Deutschland streichen. Welche Folgen das Sparprogramm für den Standort Koblenz in Rheinland-Pfalz hat, ist noch unklar.

Die Geschäftsführung begründet den Stellenabbau mit der schwierigen Marktsituation: Die weltweite Auto-Produktion liege noch immer deutlich unter dem Vor-Corona-Niveau, sagte ein ZF-Sprecher dem SWR. Außerdem machten chinesische Autobauer auf dem Weltmarkt auch den deutschen Firmen verstärkt Konkurrenz.

Vor gut zwei Wochen gab es am Werk in Koblenz schon mal eine Protestkundgebung. Olaf Gensch, Leiter der IG Metall Vertrauensleute bei ZF Koblenz, warnt: "Das reine Kürzen nach Zahlen wird zum Kollaps ganzer Abteilungen führen. Gut funktionierende Arbeitsprozesse werden kurzfristigen Einsparungen geopfert. Gehen Sparmaßnahmen und Stellenabbau auf diese Weise weiter, drohen am Ende ganze Bereiche nicht mehr zu funktionieren."

Zulieferer in der Krise

Der Frust über den drohenden Stellenabbau ist groß. Aber nicht nur ZF steckt in einer Krise. Auch anderen Betrieben aus der Zulieferindustrie geht es ähnlich. Beim Stoßdämpferhersteller Bilstein, der zur ThyssenKrupp AG gehört, will der Mutterkonzern 200 Stellen im Werk im Kreis Trier-Saarburg streichen.

In Landau trifft es die Räderfabrik Ronal. Der Hersteller von Leichtmetallfelgen will Ende März 2025 seinen Standort in der südpfälzischen Stadt schließen. Etwa 550 Beschäftigte werden dann ihren Arbeitsplatz verlieren. Bei der Eberspächer-Gruppe mit Standorten in Herxheim und Landau sind in diesem Jahr bereits mehr als 200 Arbeitsplätze weggefallen. Auch der Reifenhersteller Michelin mit Werken in Bad Kreuznach und Trier steckt mitten in einem Umbauprozess. Das Werk in Trier wird bis Ende des Jahres komplett geschlossen.

Niedrigere Löhne in anderen Sektoren

Wirtschaftsfachmann Jens Südekum von der Universität Düsseldorf kennt derzeit viele solcher Beispiele. Eine Strukturkrise habe nicht nur die Automobilindustrie, sondern die gesamte verarbeitende Industrie erfasst - also Automobil-, Maschinenbau- und Pharmabranche. "Die Zahl der Erwerbstätigen insgesamt sieht mit rund 46 Millionen auf den ersten Blick noch gut aus", so Südekum.

Er verweist aber auf die Entwicklung in den unterschiedlichen Branchen. "Die Beschäftigung wächst seit Monaten stark in den Bereichen Gesundheit, Pflege und öffentlicher Dienst. Das sind wichtige Sektoren, aber die Löhne sind im Vergleich zu Industriearbeitsplätzen deutlich niedriger."

Beschäftigung zeigt Anzeichen der Deindustrialisierung

Südekum zieht Zahlen aus den vergangenen Monaten hervor. Danach werden Jobs in den Bereichen Metall-, Elektro-, Stahl- oder Bauindustrie abgebaut. "Die Wertschöpfung ist insgesamt noch stabil, aber bei der Beschäftigung sehen wir bereits die Deindustrialisierung. Die Rückgänge in den Unternehmen sind in den vergangenen Monaten stärker geworden. Volkswagen oder Thyssenkrupp sind die aktuellen Beispiele, die auch in den Medien sind. Die Entwicklung vollzieht sich aber auch im Mittelstand", bilanziert Südekum.

Es handele sich aus seiner Sicht nicht um einen konjunkturellen Abschwung, sondern um einen Strukturwandel am Arbeitsmarkt. "Das Problem ist, dass Industriearbeitsplätze überdurchschnittlich gut bezahlt werden. Sie haben im internationalen Vergleich eine hohe Produktivität, sind gewerkschaftlich organisiert und innovativ", so Südekum. Wer von einem Industriearbeitsplatz in eine andere Branche wechsele, der müsse sich meist auf ein niedrigeres Gehalt einstellen.

Dauerhaft weniger Wohlstand

Insgesamt habe der Strukturwandel weitreichende Folgen. "Die Forschungs- und Entwicklungsausgaben sind in der Industrie hoch. Die Patente befeuern den gesamten Innovationsmotor der Volkswirtschaft." Sinke dort die Dynamik, dann habe das Auswirkungen auf Steuern, Sozialkassen und den gesamten Wohlstand eines Landes.

Südekum gibt hierzu ein Beispiel: "Vor allem Kommunen sind von der Gewerbesteuer abhängig. Entlässt etwa Thyssenkrupp in Duisburg Mitarbeiter, dann gehen diese Steuereinnahmen zurück. Das Geld fehlt dann für Schulen, Bibliotheken oder Schwimmbäder, und so hat das auch Folgen für die Bevölkerung."  

Konkurrenz aus China und den USA

Der Druck auf die deutsche Industrie dürfte wachsen. China drängt mit subventionierten Industrieprodukten immer stärker auf den Weltmarkt vor. Auch die USA versuchen weltweit, Industrieunternehmen ins Land zu locken. In Deutschland haben Firmen mit inzwischen chronischen Standort-Problemen zu kämpfen: Hohe Energiekosten, zu viel Bürokratie, zu wenig Fachkräfte, schlechte Infrastruktur und eine alternde Bevölkerung.

Ökonom Südekum kommt zum Schluss: "Wenn sich an den Rahmenbedingungen nichts ändert, sehe ich einen beschleunigten Abbau von Industriearbeitsplätzen - mit allen gesellschaftlichen Konsequenzen hierzulande."

Trübe Aussichten

Die Analyse des Wirtschaftswissenschaftlers aus Düsseldorf bestätigt der neueste ifo-Geschäftsklimaindex. Das Wirtschaftsinstitut kommt in seiner jüngsten Untersuchung zu dem Ergebnis, dass sich die Stimmung in der deutschen Wirtschaft überraschend stark verschlechtert hat. Es ist der vierte Rückgang in Folge.

Auch im Verarbeitenden Gewerbe beurteilen die Unternehmen ihre aktuelle Lage merklich schlechter. Nachfrage und Investitionen sind schwach. Auch die Erwartungen fallen deutlich pessimistischer aus. Die Kernbranchen der deutschen Industrie stecken in Schwierigkeiten.    

Ministerium bestätigt Trend

Das grüne Bundeswirtschaftsministerium von Robert Habeck kommt in seinem Bericht zur aktuellen wirtschaftlichen Lage ebenfalls zu einem ernüchternden Ergebnis - auch für den Arbeitsmarkt. Die deutsche Wirtschaft befinde sich weiterhin in einer Stagnation, zu Beginn des dritten Quartals sei die Produktion wieder gesunken. "Die Industrieproduktion ist vor allem infolge der anhaltend rückläufigen Auslandsnachfrage und sinkender Auftragsbestände weiterhin in einem Abschwung", so das Ministerium.

Und weiter: "Deutliche Produktionsrückgänge wurden in gewichtigen Bereichen wie der Herstellung von Kfz und Kfz-Teilen (-8,1 Prozent), dem Maschinenbau (-0,5 Prozent), der Metallerzeugnisse (-3,8 Prozent) und den chemischen Erzeugnissen (-1,3 Prozent) vermeldet. Die schwache Konjunktur lässt die Arbeitslosigkeit weiter steigen und bremst den Zuwachs bei der Erwerbstätigkeit zunehmend ab."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete br24 am 12. Juni 2024 um 13:30 Uhr.