Deutsche Wirtschaft Stillstand statt Wachstum
Die führenden Forschungsinstitute haben ihre Konjunkturprognose für die deutsche Wirtschaft gesenkt. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte auch 2024 zurückgehen - um 0,1 Prozent. Leichte Entspannung sehen die Ökonomen erst 2025.
Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre gemeinsame Konjunkturprognose gesenkt. Demnach rechnen sie erneut mit einer schwächeren Wirtschaftsentwicklung in Deutschland. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte nach ihrer Prognose in diesem Jahr um 0,1 Prozent sinken. Im Frühjahr hatten die Institute noch ein minimales Plus von 0,1 Prozent vorhergesagt.
Für 2025 erwarten sie nun ein Wachstum von 0,8 Prozent. In ihrer Prognose im Frühjahr hatten sie noch mit einem Plus von 1,4 Prozent gerechnet. Der jetzigen Prognose zufolge soll 2026 dann ein Wachstum von 1,3 Prozent folgen. Schon die Prognose im Frühjahr hatten die Forscher drastisch nach unten korrigiert. Seit geraumer Zeit steckt Deutschland in einer Konjunkturflaute. Bereits 2023 war die Wirtschaftsleistung in der größten Volkswirtschaft Europas um 0,3 Prozent zurückgegangen.
Strukturwandel und Konkurrenz aus China
"Neben der konjunkturellen Schwäche belastet auch der strukturelle Wandel die deutsche Wirtschaft", erklärte die Leiterin des Bereichs Prognose und Konjunkturpolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Geraldine Dany-Knedlik. "Dekarbonisierung, Digitalisierung, demografischer Wandel und wohl auch der stärkere Wettbewerb mit Unternehmen aus China haben strukturelle Anpassungsprozesse ausgelöst, die die Wachstumsperspektiven der deutschen Wirtschaft dämpfen." Diese trete daher seit mehr als zwei Jahren auf der Stelle.
Im kommenden Jahr dürfte zwar eine langsame Erholung einsetzen. Aber an den Trend vor Ausbruch der Corona-Pandemie werde das Wirtschaftswachstum vermutlich "auf absehbare Zeit nicht mehr anknüpfen können", so das DIW. Besonders unter Druck sehen die Institute die Industrie. Die Wettbewerbsfähigkeit der Investitionsgüterhersteller und der energieintensiven Zweige leide unter gestiegenen Energiekosten und der zunehmenden Konkurrenz durch hochwertige Industriegüter aus China, die deutsche Exporte auf den Weltmärkten verdrängten. Es gebe einen Mangel an Aufträgen.
Auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer blickt mit großer Sorge auf die wirtschaftliche Lage in Deutschland. "Die Stimmung in einer wachsenden Zahl von Unternehmen in allen Regionen unseres Landes ist dramatisch schlecht", betonte DIHK-Präsident Peter Adrian. "Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland machen unternehmerische Aktivitäten zunehmend unattraktiv. Produktionsverlagerung und Geschäftsschließungen nehmen zu, Investitionen bleiben aus. Wir verzeichnen Stillstand statt Wachstum."
Verbraucherlaune leicht gestiegen - auf niedrigem Niveau
Symptomatisch für die Probleme im Verarbeitenden Gewerbe ist nach Einschätzung der Institute die anhaltende Investitionsschwäche. Das nach wie vor hohe Zinsniveau und die große wirtschafts- und geopolitische Unsicherheit dürften sowohl die Investitionen der Unternehmen als auch die Anschaffungsneigung der privaten Haushalte belastet haben. "Die privaten Haushalte legen ihr Einkommen vermehrt auf die hohe Kante, statt Geld für neue Wohnbauten oder Konsumgüter auszugeben", hieß es. Gestern hatte das Statistische Bundesamt mitgeteilt, dass die deutsche Baubranche zu Beginn der zweiten Jahreshälfte einen Nachfrageeinbruch erlitten hat. Der Auftragseingang im Bauhauptgewerbe fiel im Juli um 5,9 Prozent schwächer aus als im Vormonat.
Immerhin: Im Oktober hat sich die Verbraucherlaune in Deutschland überraschend leicht aufgehellt. Das Barometer für das Konsumklima im Oktober stieg auf minus 21,2 Punkte von revidiert minus 21,9 Zählern im Vormonat, wie die GfK und das Nürnberg Institut für Marktentscheidungen (NIM) heute mitteilten. Das signalisiert aber noch keine Trendwende - ein Anstieg der Sparneigung verhindere, dass sich die Konsumstimmung stärker erhole, hieß es. Chefvolkswirt Alexander Krüger von der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank sieht weiterhin viel Verunsicherung und Zurückhaltung bei Konsumenten. "Die hohe Sparneigung zeigt, dass Geld noch immer lieber behalten statt ausgegeben wird."
Die hartnäckige Konjunkturflaute dürfte derweil auch nicht spurlos am Arbeitsmarkt vorbeigehen. In diesem und im kommenden Jahr soll die Arbeitslosenquote laut der Gemeinschaftsprognose auf sechs Prozent steigen. Zum Vergleich: 2023 betrug sie 5,7 Prozent. Dieser Wert soll dann erst 2026 wieder erreicht werden. "Auf dem Arbeitsmarkt zeigt der wirtschaftliche Stillstand mittlerweile deutlichere Spuren", so die Institute. Auch die Fachleute des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hatten zuletzt berichtet, der Arbeitsmarkt stehe zunehmend unter Druck.
Kritik an Wachstumspaket der Bundesregierung
Die Gemeinschaftsprognose wird erstellt vom DIW, dem ifo-Institut, dem Kiel Institut für Weltwirtschaft, dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle und dem RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Essen. Sie dient der Bundesregierung als Basis für ihre neuen Projektionen im Oktober, die wiederum die Grundlage für die Steuerschätzung bilden.
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hatte gestern prognostiziert, dass Deutschland bis mindestens 2025 eine der am langsamsten wachsenden Industrienationen bleibt. Von den großen Industrieländern dürfte demnach nur Japan in diesem Jahr schlechter abschneiden. Und auch der Einkaufsmanagerindex für die Industrie und Dienstleister umfassende Privatwirtschaft sank im September auf 47,2 Zähler und entfernte sich damit weiter von der Wachstumsschwelle von 50 Punkten. Dies teilte der Finanzdienstleister S&P Global zu Wochenbeginn mit.
Die Ampel-Koalition plant wegen der anhaltenden Flaute ein Wachstumspaket. Heute beschloss der Bundestag beispielsweise das sogenannte Bürokratieentlastungsgesetz. Durch verkürzte Aufbewahrungsfristen für Belege und rund 60 weitere Einzelmaßnahmen soll so der bürokratische Aufwand für Unternehmen und Bürger sinken. Die Maßnahmen reichen Wirtschaftsverbänden aber nicht aus. Sie fordern grundlegende Reformen und beklagen etwa im internationalen Vergleich hohe Energiepreise, zu viel Bürokratie und einen Fachkräftemangel.