Nach Ausstieg aus Verhaltenskodex Anti-Fake-News-Chefin Irwin verlässt Twitter
Knapp eine Woche nach dem Rückzug von Twitter aus dem EU-Verhaltenskodex verlässt die Chefin für Vertrauen und Sicherheit, Irwin, den Konzern. Das bringt neue Brisanz in die Fake-News-Debatte.
Mitten in der Debatte um ein möglicherweise zu lasches Vorgehen gegen Hassrede und Falschinformationen von Twitter hat der Konzern seine Chefin für Vertrauen und Sicherheit verloren. Sie habe ihren Job als Verantwortliche für die Moderation der Inhalte bei dem Kurznachrichtendienst aufgegeben, sagte Ella Irwin der Nachrichtenagentur Reuters. Weitere Angaben machte sie nicht. Auch die Agentur Bloomberg berichtet von ihrem Rückzug.
Irwin hatte den Posten vor etwa einem Jahr übernommen. Eigentümer und Tesla-Chef Elon Musk war für einen Kommentar zunächst nicht zu erreichen.
Twitter zieht sich aus EU-Verhaltenskodex zurück
Vergangene Woche war Twitter nach Angaben der EU-Kommission aus einem freiwilligen EU-Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Falschinformationen ausgestiegen. Dieser verlangt von den Unternehmen, gegen die Verbreitung von Fake News vorzugehen und regelmäßig einen Bericht über Fortschritte zu erstatten. Dabei geht es unter anderem darum, wie viele falsche Accounts erstellt und genutzt wurden oder wie sich Faktenchecks auf die Verbreitung von Desinformationen auswirkten.
Zu den Unternehmen, die den Kodex unterzeichnet haben, gehören neben Twitter auch Google, TikTok, Microsoft sowie Meta, der Mutterkonzern von Facebook und Instagram. Bereits im Februar hatte die EU-Kommission berichtet, dass der Bericht von Twitter zuletzt hinter den anderen zurückgeblieben sei. Was eingereicht worden sei, habe nur wenig spezifische Informationen und keine zielgerichteten Daten enthalten, hieß es von der Brüsseler Behörde.
An die dort festgelegten Verpflichtungen bleibe das Unternehmen aber gebunden, warnte EU-Industriekommissar Thierry Breton nach dem Ausstieg aus dem Verhaltenskodex. "Sie können weglaufen, aber sie können sich nicht verstecken." Über die freiwilligen Selbstverpflichtungen hinaus werde der Kampf gegen Desinformation im Rahmen des EU-Gesetzes über Digitale Dienste (DSA) vom 25. August an verpflichtend sein. "Unsere Teams werden zur Durchsetzung bereit sein."
Vorgehen laut Faeser verantwortungslos
Das DSA soll unter anderem sicherstellen, dass Plattformen illegale Inhalte auf ihren Seiten schneller entfernen. Bei Verstößen drohen Bußgelder von bis zu sechs Prozent des Jahresumsatzes. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser nannte Twitters Vorgehen verantwortungslos. "Desinformation, Lügen und Propaganda befeuern Hass und sind Gift für die Demokratie", so die SPD-Politikerin in der vergangenen Woche. "Unser Recht gilt für alle Plattformen, wir werden es durchsetzen."
Schon andere Maßnahmen des Tech-Milliardärs Elon Musk, der den Kurznachrichtendienst im Oktober 2022 für 44 Milliarden Dollar (heute rund 40 Milliarden Euro) übernommen hatte, hatten Aufsehen erregt. Im Zuge eines chaotischen Konzernumbaus feuerte der Unternehmer das Spitzenmanagement und mehr als zwei Drittel der 7500 Mitarbeiter. Zudem ließ er den blauen Verifizierungshaken von Konten zahlreicher Nutzer entfernen, die kein Bezahlabo haben.
Auch eine Amnestie für zuvor gesperrte Nutzer wie den ehemaligen Präsidenten Donald Trump hatte für Aufregung gesorgt. Einige strategische Entscheidungen schreckten offenbar einige Nutzer und Anzeigenkunden ab. So sind Marktbeobachtern zufolge die Einnahmen von Twitter zuletzt zurückgegangen. Demnächst will Musk seinen Chefposten abgeben, Ende Juni folgt Werbe-Expertin Linda Yaccarino.