Jeder Fünfte sein eigener Chef Immer mehr Gründer mit Migrationsgeschichte
In den letzten drei Jahren hat etwa jeder Fünfte mit Migrationshintergrund ein eigenes Unternehmen gegründet. Vorbilder wie das BioNTech-Gründerpaar inspirieren, doch der Weg in die Selbstständigkeit ist nicht einfach.
Die Gründungsquote von Personen mit Migrationshintergrund bleibt weiterhin beeindruckend hoch - deutlich höher als die der einheimischen Bevölkerung. Trotz zahlreicher Hindernisse wie komplizierten Behördengängen, Schwierigkeiten bei der Finanzierung und fehlenden Netzwerken erzielen sie bemerkenswerte unternehmerische Erfolge.
Innovative Idee eines Berliner Unternehmers
Ali Al-Hakim, Geschäftsführer der Boreal Light GmbH, ist einer von ihnen. Er hat eine solarbetriebene Anlage entwickelt, die in Afrika für sauberes Wasser sorgt und gleichzeitig umweltfreundlich ist, weil sie aus Salzwasser Trinkwasser gewinnt. Durch den Einsatz von Sand, Aktivkohle und UV-Licht werden die Wasserressourcen nachhaltig erschlossen. Dieser innovative Wasserkiosk wurde bereits in vielen Ländern gebaut und ermöglicht mehr als sechs Millionen Menschen den Zugang zu sauberem Trinkwasser.
Darauf ist Al-Hakim besonders stolz: "Von 2018 bis heute haben wir in mehr als 18 Ländern über 200 Anlagen installieren können. Im Prinzip werden unsere Anlagen in Afrika, in Kenia und in Tansania installiert. Insgesamt können von allen Anlagen mehr als sechs Millionen Menschen profitieren." Al-Hakim erhielt für seine herausragenden Leistungen den "Vielfalt unternimmt"-Preis der Stadt Berlin. Diese Auszeichnung würdigt Unternehmen, die von Menschen mit Migrationsgeschichte gegründet wurden und einen bedeutenden Beitrag zur Gesellschaft leisten.
Dreimal mehr Gründungen bei Migranten
Laut dem "Global Entrepreneurship Monitor" (GEM), den das RKW Kompetenzzentrum zusammen mit der Leibniz Universität Hannover herausgibt, zeigt ein deutschlandweiter Trend, dass etwa jeder fünfte Mensch mit Migrationsgeschichte in den letzten drei Jahren ein eigenes Unternehmen gegründet oder Schritte dazu unternommen hat - ein beeindruckender Anstieg im Vergleich zu 2020. Die sogenannte Gründungsquote bei Migranten (19,9 Prozent) ist damit mehr als doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Einwanderungsgeschichte (8,3 Prozent).
Doch der Einstieg in die Selbstständigkeit für Migranten verläuft nicht immer reibungslos. Viele kämpfen mit Einstiegsschwierigkeiten, fehlenden Kontakten und Krediten. Um genau diese Hürden aus dem Weg zu räumen, hat die Unternehmerin Gülsah Wilke das Netzwerk "2hearts" gegründet, um migrantische Gründer zu vernetzen.
"Grundsätzlich kann ich schon sagen, dass viele Menschen mit Migrationsgeschichte oftmals auch keine andere Option haben, um wirtschaftlich erfolgreich und unabhängig zu sein. Nur ist es leider so, das hören wir auch sehr stark in unserem "2hearts"-Netzwerk, dass viele, wenn sie dann in Deutschland sind, auch sehr negativ überrascht sind, weil sie merken, dass es doch nicht so einfach ist", erklärt die Gründerin des Netzwerks.
Finanzielle und bürokratische Hürden
Trotz ihrer Erfolge stehen migrantische Gründer vor verschiedenen Herausforderungen, die ihnen den Weg erschweren können. Zum Beispiel bei der Finanzierung. Einige berichten von kulturellen Missverständnissen, die zu Absagen bei Kreditanfragen führen können, wie Ali Al-Hakim, der von einer Begegnung mit einer Bank erzählt: "Wir haben einmal von einer Bank eine Absage bekommen, weil uns etwas zu trinken angeboten wurde, das wir höflich ablehnten, da es Ramadan war und wir nichts essen und trinken durften. Der Bankmitarbeiter fand dies sehr befremdlich." Auch weitere Hindernisse wie nicht anerkannte Berufsabschlüsse, die Sprachbarriere und bürokratische Prozesse stehen ihnen oft im Weg.
Trotz der Hürden lassen sich viele migrantische Gründer nicht entmutigen. Ein entscheidender Faktor für ihren Erfolg sei die Präsenz erfolgreicher Vorbilder, die als Inspiration dienten, sagt Wilke. "Beispiele wie BioNTech mit Özlem Türeci und Ugur Sahin haben einen wahnsinnigen Effekt und strahlen auf viele Menschen mit Migrationsgeschichte aus. Sie denken sich: 'Wenn die es schaffen, werde ich es auch schaffen'."
Erfolgreiche Familientradition
Ein weiterer Erfolgsfaktor sind familiäre Traditionen. Oft haben bereits die Eltern oder Großeltern jüngerer Gründer ein eigenes Unternehmen gehabt. Ein Beispiel für solch eine erfolgreiche Gründerfamilie ist die Fahrschule Sevim. Birol Sevim gründete die Fahrschule 2009 im Wedding. Er stammt aus einer Familie von Selbstständigen, die seit Generationen in Deutschland erfolgreich sind: "Mein Opa kam einst als Gastarbeiter hierher, und mit der Zeit kamen dann mein Vater, mein Onkel und die ganze Familie hierher. Sie haben sich dann selbstständig gemacht im Bereich von Obst und Gemüse, Kiosk, und waren immer selbstständig. Ich bin sozusagen in die Selbstständigkeit hineingeboren." Birol Sevim beschäftigt heute 90 Menschen und ist sehr zufrieden als Unternehmer.
Erfolgsgeschichten migrantischer Gründer gibt es viele. Sie zeigen, dass kulturelle Vielfalt eine bereichernde Komponente für die deutsche Wirtschaft sein kann. Ihr unternehmerischer Ehrgeiz und ihre Kreativität sind nicht mehr wegzudenken. Für die Gründerinnen und Gründer, die neu in Deutschland sind, ist ein eigenes Unternehmen auch eine gute Möglichkeit, sich in die Gesellschaft zu integrieren. In einer globalisierten Welt können sie als Brückenbauer zwischen verschiedenen Kulturen und Wirtschaftssystemen dienen.
In der ursprünglichen Fassung der Meldung hieß es zunächst, die Gründungsquote unter Menschen mit Migrationsgeschichte sei dreimal so hoch wie unter Menschen ohne Migrationshintergrund. Richtig ist, dass sie etwa doppelt so hoch ist. Wir haben den Text entsprechend angepasst.
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen